Rheinland-Pfalz
Millionengrab Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein: So ernst ist die Lage wirklich
Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein
Die Zukunft des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein ist seit Monaten Gegenstand von Verhandlungen.
Sascha Ditscher

Beim Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein (GKM) klafft ein Millionenloch – und das könnte noch viel größer sein als bislang offiziell bekannt: In informierten Kreisen kursieren Zahlen aus einem Gutachten, wonach nach schlimmster Konstellation mindestens 26 Millionen Euro fehlen könnten. Bislang war das GKM-Management von einem Minus von 8 Millionen Euro ausgegangen. Wie soll es nun weitergehen?

Das finanziell angeschlagene Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein (GKM) mit seinen fünf Standorten bereitet derzeit etlichen politisch Verantwortlichen viel Stress: Droht die nächste Klinikinsolvenz im Norden von Rheinland-Pfalz? Es fehlt jedenfalls an Geld, die Finanzierungslücke scheint gewaltig. Wie kann es weitergehen – in Koblenz, in Mayen, insbesondere aber auch an den kleineren Standorten in Nastätten und Boppard? Wir geben einen Überblick über die aktuelle Lage – angesichts immer dramatischer klingender Zahlen.

Das GKM bestimmt derzeit in vielerlei Hinsicht den kommunalpolitischen Takt für die Verantwortlichen im Kreis Mayen-Koblenz und in der Stadt Koblenz: Kreisausschuss am Montag, interne Runden und Sondersitzungen, Stadtrat am Donnerstag und Kreistag am Montag. Die Gremienmitglieder stehen vor der schweren Aufgabe, nicht nur den laufenden Betrieb in dem zuletzt mit zusätzlichen 5 Millionen Euro über verzinsliche Darlehen von Kreis und Stadt gestützten Klinikum zu finanzieren, sondern perspektivisch auch die Koblenzer Einstandortlösung mit dem Neubau für die beiden Krankenhäuser Evangelisches Stift und Kemperhof fest im Blick zu halten – ohne einen privaten Investor. „Das ist das Kunststück“, meint ein Entscheider.

Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein
Der Kemperhof in Koblenz
Sascha Ditscher

Fehlen 26 Millionen Euro?

Dabei verlangt schon die Bilanz für das laufende Jahr ein Meisterstück, seit die die Übernahmeverhandlungen mit der Sana AG geplatzt sind. Nach der Kalkulation des GKM-Managements droht in diesem Jahr ein Minus 8 Millionen Euro. Aber es kursieren aus einem Gutachten von Roland Berger auch Zahlen in gut informierten Kreisen, wonach nach in schlimmster Konstellation auch ein Finanzloch von mindestens 26 Millionen Euro klaffen könnte.

Diese nicht nur für die Kommunalpolitiker erschreckende Summe will ein Sprecher des Kreises, der derzeit den Vorsitz in der GKM-Gesellschafterversammlung führt, auf Anfrage „weder bestätigen noch dementieren“. Alle arbeiteten mit Hochdruck daran, richtige und wichtige Weichen für die Zukunft des Klinikums zu stellen, heißt es. Dabei wird auch mit den vier Stiftungen verhandelt, die sich finanziell an Rettungsaktionen nicht beteiligen, aber über ein Vetorecht verfügen. Deshalb fordern Stadt- und Kreispolitiker um Koblenz und Mayen deren Rückzug möglichst zum Nulltarif – sowie eine finanzielle Beteiligung der Nachbarkreise Rhein-Hunsrück und Rhein-Lahn für die Krankenhäuser in Boppard und Nastätten.

Rechtlich gehört die medizinische Versorgung in Kreis und Stadt nach dem Landeskrankenhausgesetz zur Pflichtaufgabe der Kommunen, solange kein Privater dafür sorgt, heißt es im Kreis. Dabei gebe es für das finanzielle Engagement daher „keine festgelegte Schallmauer“, wie sich ein Insider ausdrückt. Allerdings mussten bereits etliche Krankenhäuser im Großraum Koblenz zuletzt auch eine Insolvenz ankündigen. Rein rechtlich darf das Land nur Investitionen fördern, nicht aber bei defizitärem Betrieb finanziell unter die Arme greifen.

Frostiger Tonfall hinter verschlossenen Türen

In der Stadt Koblenz waren die Debatten hinter verschlossenen Türen zum Gemeinschaftsklinikum zuletzt alles andere als vergnügungssteuerpflichtig, den Tonfall zwischen Verwaltungsspitze und einzelnen Fraktionen haben Stadträte mitunter als frostig wahrgenommen. Der Druck ist mit Blick auf das große Finanzloch groß: Die fünf Millionen Euro reichen wohl nur wenige Wochen, um die Finanzierungslücken zu füllen. Schon bald könnten die Stadtratsmitglieder in Koblenz und die Kreistagsmitglieder in Mayen-Koblenz wieder vor der Entscheidung stehen, weitere Millionen öffentlicher Gelder nachzuschieben – was, zumal kurz vor den Kommunalwahlen, immer schwieriger zu verargumentieren wird.

Kemperhof - Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein
Das St.-Elisabeth-Krankenhaus Mayen
Sascha Ditscher

In einer nichtöffentlichen Sitzung Mitte Februar knüpfte eine Mehrheit im Stadtrat die Freigabe weiterer Mittel zur Sicherstellung der Liquidität an die Anpassung der Gesellschafter-Struktur. Die CDU machte etwa deutlich, wie wichtig ihr die “kommunale Führung" des Klinikums sei. Grüne und CDU, zwei der großen Fraktionen im Koblenzer Stadtrat, forderten zudem ein Zukunftskonzept – bis Ende März sollen entsprechende Expertenbewertungen vorliegen. Für viele Entscheider aus der Koblenzer Stadtpolitik ist klar: Sie können sich eine kommunale Kliniklösung für Koblenz vorstellen. Die Motivation, die Häuser in Boppard und Nastätten noch mitzufinanzieren, ist gering, zumindest ohne strukturelle Veränderungen. Kurz gesagt stellt sich die Gefechtslage aus Sicht vieler Stadträte wie folgt dar: Die Stiftungen entscheiden bitte nicht mehr wie bisher mit, sonst fließen auch die Gelder nicht mehr wie zuletzt – selbst wenn damit die Gefahr einer regulären Insolvenz über dem Klinikum schwebt wie das Schwert des Damokles.

Ev. Stift St. Martin - Gemeinschaftsklinikum Mittelrhein
Das Ev. Stift St. Martin in Koblenz
Sascha Ditscher

Zuletzt hatten die Stiftungen signalisiert, einer kommunalen Trägerschaft keine Steine in den Weg zu legen. Man sei bereit, „sich weitestgehend zurückzuziehen“, wie die Verwaltungsratsvorsitzende der Koblenzer Stiftung Evangelisches Stift St. Martin, Brigitte Bollinger-Wechsler, unserer Zeitung sagte.

Paulinenstift in Nastätten wird dringend gebraucht

Und wie sieht es in den beiden Landkreisen südlich von Koblenz aus? Im Rhein-Lahn-Kreis hat die Krankenhausmisere nochmal eine andere Dimension: In nur wenigen Jahren hat der rechtsrheinische Kreis das Krankenhaus in Nassau, die Paracelsusklinik in Bad Ems und zuletzt auch die meisten Abteilungen im St. Elisabeth in Lahnstein verloren. Kreisweit bleibt nur noch der Standort der St.-Vincenz-Krankenhausgesellschaft in Diez und als einziges Akutkrankenhaus das relativ kleine Paulinenstift in Nastätten, das zum GKM gehört. Entsprechend groß sind die Sorgen, auch wenn der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch jüngst als Gast im Kreisausschuss in Bad Ems erklärte, dass die stationäre Versorgung im Rhein-Lahn-Kreis dank der Krankenhausstandorte in Limburg, Wiesbaden, Montabaur und vor allem Koblenz „vernünftig und auskömmlich“ sei, selbst wenn jetzt Häuser im Kreis dicht gemacht wurden.

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Das Paulinenstift in Nastätten gehört zum GKM.
Markus Eschenauer

Allerdings gilt das nur so lange, wie es das Paulinenstift gibt. Wenn das Haus nämlich morgen zumachen müsste, so der Minister, dann hätten 30.000 Menschen in diesem Teil des Kreises Wege von mehr als einer halben Stunde zum nächstgelegenen Krankenhaus. Hoch sagt: „Wir brauchen den Standort Nastätten zur medizinischen Grundversorgung der Bevölkerung.“

Große Standorte sollten kleine unterstützen

Das sehen natürlich auch die Verantwortlichen im Rhein-Lahn-Kreis so, vor allem eben weil in der Koblenzer Kommunalpolitik vermehrt Stimmen laut werden, die fragen, warum die Stadt Koblenz und der Kreis Mayen-Koblenz Millionen in das GKM zuschießen, um damit auch Standorte wie Nastätten und Heilig-Geist in Boppard mitzufinanzieren. Fakt ist: Ein kleiner Standort wie Nastätten ist strukturell bedingt immer defizitär. Das war auch seinerzeit Sinn der Fusion, da, wie vom Land gefordert, die großen Standorte die Kleinen unterstützen sollten. Selbst wenn man wollte, könnte die Kommunalpolitik das Paulinenstift nicht so einfach fallen lassen.

Kristian Brinkmann, Vorstand der Diakoniegemeinschaft Paulinenstift, eine der Gesellschafterinnen des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein, hat dazu in unserer Zeitung erklärt: „Das GKM hat einen Versorgungsvertrag mit dem Land, durch den das GKM die stationäre Versorgung in Koblenz, in Mayen, in Boppard und in Nastätten sicherstellen muss. Es handelt sich nicht um fünf separate Krankenhäuser, sondern um ein Krankenhaus mit fünf Betriebsstätten. Weder der Landkreis Mayen-Koblenz noch die Stadt Koblenz haben momentan eine Sicherstellungsverpflichtung oder einen Versorgungsvertrag, sondern dieser liegt allein beim GKM.“ Was also den Bestand des Krankenhauses in Nastätten angeht, müsse sich jeder Eigentümer des GKM letztendlich mit dem Land ins Benehmen setzen, da es nicht möglich ist, von sich aus einzelne Einrichtungen zu schließen, die fester Bestandteil des Versorgungsvertrages sind. Heißt: Erst einmal ist das Paulinenstift nicht in Gefahr.

Dürfen die Landkreise überhaupt Geld zuschießen?

Nun wird darüber diskutiert, ob die beiden Kreise Rhein-Hunsrück und Rhein-Lahn nicht auch einen Beitrag zur Liquiditätsstützung leisten könnten. Was nicht so einfach ist. Würden die beiden Kreise nämlich, ohne selbst Anteilseigner zu sein, solche Beiträge leisten, könnte dies einen Verstoß gegen europäisches Beihilferecht darstellen. Hierzu wollen die zwei Kreise gemeinsam zeitnah ein Gutachten einholen. Daneben, so die Landräte, muss auch das Haushaltsrecht betrachtet werden, denn beide Kreise sind in der Situation, dass aufgrund des hohen Jahresfehlbetrages noch keine Haushaltsgenehmigung durch die Aufsichtsbehörde erteilt wurde. In dieser Phase dürfen nur Aufwendungen getätigt oder Auszahlungen geleistet werden, zu denen eine Rechtspflicht besteht. Eine solche Rechtspflicht ist gegenwärtig nicht gegeben, da der sogenannte Sicherstellungsauftrag zur medizinischen Versorgung allein vom Gemeinschaftsklinikum wahrgenommen wird.

GKM-Standort in Boppard: das Heilig-Geist-Krankenhaus
Philipp Lauer

So weist der Haushaltsplan des Rhein-Hunsrück-Kreises derzeit ein Defizit von 12 Millionen Euro auf, das laut Prüfung der Verwaltung voraussichtlich auf 10 Millionen Euro gedrückt werden kann. Der Kreis ist also mehr als klamm. Und: Mit dem Heilig Geist Hospital in Boppard kommt er nicht seiner Vorsorgepflicht nach, denn diese ist mit der Hunsrück-Klinik der Kreuznacher Diakonie in Simmern abgedeckt. Eventuelle Zuschüsse zum Bopparder Krankenhaus wären also eine freiwillige Leistung, die mit Blick auf die Haushaltslage des Kreises unmöglich erscheint.

Rhein-Hunsrück-Kreis braucht mehr Informationen

Landrat Volker Boch (parteilos) will am kommenden Montag im Kreistag über den aktuellen Sachstand berichten. Gegenüber unserer Zeitung erklärt Boch, dass es bislang im Februar eine erste Bearbeitung des Themas im Rahmen einer Sitzung des Kreisausschusses gegeben habe – Boch berichtete dort von den Gesprächen, die er mit den anderen betroffenen Landräten und OB Langner sowie anschließend im Gesundheitsministerium in Mainz geführt hatte. „Über diese beiden ersten Informationsgespräche hinaus liegen unserer Verwaltung bislang nur sehr wenige Detailkenntnisse zur aktuellen Situation des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein vor“, sagt Boch. „Wir haben deshalb gemeinsam mit dem Rhein-Lahn-Kreis im Nachgang dieser beiden Auftaktgespräche ein Schreiben an die Geschäftsführung des GKM auf den Weg gebracht, um wesentliche Grundsatzfragen beantwortet zu bekommen. Bislang liegt dazu noch keine Resonanz vor.“

Die Beantwortung dieser grundsätzlichen Fragen sei zur Information der Kreisgremien und als Grundlage für etwaige Beschlüsse über die weitere Vorgehensweise von großer Bedeutung. Zudem habe es auf Bochs Wunsch hin ein Gespräch am Standort Boppard mit Vertretern der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist, Ansprechpartnern aus dem Betriebsrat, seitens der Stadt Boppard und der Klinikleitung gegeben. Boch: „Dieses Gespräch war sehr konstruktiv und hat dazu beigetragen, weitere Informationen zu erhalten.“ Krankenhäuser hat übrigens auch der Rhein-Hunsrück-Kreis in jüngster Vergangenheit bereits verloren: Die ehemaligen Loreley-Kliniken in St. Goar und Oberwesel waren trotz starker Proteste im September 2020 geschlossen worden. Träger war die Marienhaus-Gruppe.

Krankenhauskrise auch anderswo: Wie es im Westerwald und in Adenau weitergehen soll
Die Krise des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein reiht sich ein in eine ganze Serie von Hiobsbotschaften aus der Krankenhauslandschaft im nördlichen Rheinland-Pfalz. Eine Klinikinsolvenz droht. Dabei ist man beispielsweise im Westerwald schon ein paar Schritte weiter: Mit der Schließung der Geburtshilfe in Hachenburg Ende Februar hat die DRK-Trägergesellschaft Rheinland-Pfalz einen Kernpunkt des Sanierungskonzepts im Rahmen des fast abgeschlossenen Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung umgesetzt. Damit wurde auch Platz geschaffen, kardiologische und internistische Eingriffe, die bislang in Altenkirchen vorgenommen wurden, künftig in Hachenburg zu leisten. Entsprechend sollen gastroenterologische Operationen dann in Kirchen oder Neuwied erfolgen.

„Altenkirchen wird ab Mai zu einem wichtigen Steuerungszentrum, in dem man sich zuerst die Patienten anschaut und entscheidet, wer eine stationäre Versorgung benötigt, bei wem eine halb-ambulante Versorgung notwendig ist – und wer möglicherweise auch wieder entlassen werden kann. In einem zweiten Schritt werden die Patienten dann bei Bedarf in das für sie richtige Haus verlegt“, erläutert Hazem Zakri, Ärztlicher Direktor des DRK-Verbundkrankenhauses Altenkirchen-Hachenburg, das Konzept. Diese Struktur erlaube es, dass akute Erkrankungen weiterhin in Altenkirchen erstversorgt würden, aber für die Patienten auch eine stationäre Behandlungsgarantie in den umliegenden Häusern geschaffen werde“, so Zakri weiter.

In der Verbandsgemeinde Adenau ist derweil das Ende des St.-Josef-Krankenhauses längst besiegelt. Zum 31. März vergangenen Jahres hat sich die Marienhaus-Gruppe als Krankenhausträgerin zurückgezogen. Begründet worden war diese Entscheidung damit, dass ein Weiterbetrieb des Krankenhauses aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr tragfähig gewesen sei. Insbesondere hätten sinkende Patientenzahlen und fehlendes Klinikpersonal zu dieser Entscheidung geführt, so die Marienhaus-Gruppe.

Um die medizinische Versorgung in der Verbandsgemeinde Adenau künftig aufrechtzuerhalten, sind Land, Kreis und Verbandsgemeinde bestrebt, ein alternatives Konzept für eine notfallmedizinische Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit einer ambulanten Überwachungsmöglichkeit von unklaren Diagnosen in der Verbandsgemeinde Adenau zu etablieren. Auch soll das bereits in Adenau vorhandene ambulante medizinische Angebot ausgebaut werden und eine Stelle für einen sogenannten Durchgangsarzt geschaffen werden. Für die Konzepterstellung hat die Verbandsgemeinde einen Projektierer beauftragt, der in den kommenden Wochen entsprechende Ergebnisse präsentieren soll.

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