Dann und wann durchzuckt Georg C. Pick der Gedanke, dass eine kleinere Wohnung vielleicht doch gar nicht so schlecht wäre. Dann, wenn er ans Putzen seines Heims denkt, insbesondere der Fenster. 63 sind es, allesamt innen wie außen mit Sprossen aufgeteilt, macht 1296 einzelne Glasquader, die gesäubert werden wollen. „Das ist wirklich viel Arbeit“, sagt Pick. Doch der jugendlich wirkende Mann mit den runden Brillengläsern lacht bei diesen Worten auf, seine Hand zeichnet eine wegwischende Bewegung in die Luft. Soll heißen: So schlimm ist das eigentlich nicht – und wirklich ernst ist der Gedanke an eine kleinere Wohnung erst recht nicht gemeint. Denn die haben Pick (35) und sein Mann Dennis Woesthaus (41) vor ein paar Jahren bewusst hinter sich gelassen.
60 Quadratmeter im Neubau im Frankfurter Stadtteil Riedberg gehören seit sechs Jahren der Vergangenheit an. Gegenwart und Zukunft verbringt das Paar samt zwei Katzen lieber auf dem Land, genauer in einem Gebäude mit zehnmal so viel Wohnfläche wie zuvor in Frankfurt und einer jahrhundertealten Geschichte: dem Haus Monreal in der Altstadt von Diez, am Ufer der Lahn gelegen. Viel Bruchstein, viel Fachwerk, viel Holz, Platz, Charme und noch mehr Historie.
Letztlich sind auch wir nur eine Episode in der Historie dieses Hauses, der berühmte Wimpernschlag.
Georg C. Pick
Diese beginnt im Jahr 1329 mit dem Bau der Stadtmauer, an die der nassauische Amtsmann Dietrich von Monreal im 15. Jahrhundert einen gotischen Bau anfügen ließ, auf den wiederum Ende des 16. Jahrhunderts das heutige Fachwerkhaus errichtet wurde. Seitdem sah das Anwesen mitten in der Diezer Altstadt Generationen von Menschen kommen und gehen. „Letztlich sind auch wir nur eine Episode in der Historie dieses Hauses, der berühmte Wimpernschlag“, sagt Pick.
Eine ewige Baustelle
Doch nun ist es erst einmal an ihm und seinem Mann, diese Geschichte fortzuschreiben – wohl wissend, dass dies eine nicht zu erfüllende Aufgabe ist: Das Haus benötigt Liebe, Aufmerksamkeit, Respekt und Verständnis für seine jahrhundertealte Bausubstanz. Oder anders gesagt: „Es ist eine ewige Baustelle“, meint Pick. Das müsse man aushalten können.
Während er das sagt, scheint ihm die spätherbstliche Sonne ins Gesicht. Er steht auf dem Balkon im ersten Obergeschoss auf der Rückseite des Hauses. Hier fußt wirklich jeder Schritt auf Historischem: Der Balkon ist der frühere Wehrgang der drei Meter dicken Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert. Erhaben.
Der Blick fällt von hier aus in den großen Garten auf der Rückseite des Gebäudes. Eine weiße Katze aus der Nachbarschaft quert die Wiese. Links steht eine große, um diese Jahreszeit blätter- und blütenlose Magnolie. Im Frühling muss sie prächtig sein. Daneben, von einer Ufermauer getrennt, fließt die Lahn in all ihrer Gelassenheit, und dort vorn an der alten Lahnbrücke geht es ins Grüne. Beschaulich ist es hier, ruhig. „Schön, oder?“, fragt Pick, die Unterarme auf die Brüstung gelegt, die Sonnenstrahlen genießend.
Er kennt die Antwort auf seine Frage. Er weiß um die Wirkung dieser Aussicht wie auch um den Charme des gesamten Hauses. Dem konnte sich das Paar damals nicht entziehen, als es das Anwesen zum ersten Mal sah: Die Lage am Fluss, die Altstadt vor der Haustür, gekrönt vom Ausblick auf das Diezer Grafenschloss – „wir waren sofort hin und weg“. Genau wie von dem Gedanken, dort zu leben, wo andere Urlaub machen, zumal den beiden Männern die Frankfurter Vorstadt öd und öder vorkam.
Wir schwimmen nicht im Geld, weshalb wir peu à peu sanieren, natürlich energetisch und ökologisch.
Georg C. Pick
Nach Jahren in Trier und Frankfurt sollte es lieber wieder raus aus der Stadt gehen, wenn auch unter einer Bedingung: Die wo auch immer zu findende neue Heimat musste mit der Bahn pendelbar für Woesthaus sein, der regelmäßig nach Frankfurt ins Büro muss. Die Fahrzeit sollte nicht länger als die 40 Minuten dauern, die er innerhalb von Frankfurt benötigte, um von der Wohnung zur Arbeitsstelle zu fahren. Mit dieser Prämisse war der Radius definiert, sogar mit dem Zirkel auf der Landkarte geschlagen – und die Suche begann. Sie endete in Diez an der Lahn. Von dort ist der ICE-Bahnhof in Limburg-Süd zügig erreicht. Und damit auch die große Stadt am Main.
Um das seit ein paar Jahren leer stehende Haus kaufen zu können, kratzte das Paar alles Geld zusammen – eine große Investition, gerade weil Pick damals noch studierte. Er ist Kunsthistoriker, wohl ein Grund, weshalb er die Historie und die Materie des Hauses so schätzt und versteht, was es braucht. „Man kann jedenfalls mit den Denkmalschutzbehörden ganz anders reden“, sagt Pick und lacht. All das kostet – und das natürlich deutlich mehr als ein Leben auf 60 Quadratmetern. „Wir schwimmen nicht im Geld, weshalb wir peu à peu sanieren, natürlich energetisch und ökologisch“, erzählt der Hausherr.
In der alten Amtsstube mit dem hölzernen Fußboden und den Fachwerkwänden – heute mit Küche und Wohnzimmer der Lebensmittelpunkt des Hauses – ging es seinerzeit los, um zuallererst dort ein Zuhause zu schaffen. Wie eine Scholle, ein Rückzugsort von der Baustelle, auf der vieles in Eigenleistung, mit Freunden und Familie, aber eben auch von Fachleuten erledigt werden musste. Oberste Priorität bei den Arbeiten: zwei Ferienwohnungen im ersten Obergeschoss des Hauses. „So kam Geld rein, so konnten wir weitermachen“, sagt Pick, gibt aber auch zu: So manche Nacht konnte er nicht ruhig schlafen, zu sehr kreisten die Gedanken, ob das alles zu schaffen sei.
Wenn genügend Geld auf dem Konto war, floss es zurück ins Haus – und das tut es auch heute noch. Mal in Kleinigkeiten, mal in große Vorhaben. Gerade laufen Arbeiten im Erdgeschoss, um eine Wohnung für Picks Eltern herzurichten. Sie ziehen zu Sohn und Schwiegersohn ins 400 Jahre alte Haus.
Was aus Kostengründen zeitig nach dem Umzug aufs Land abgeschafft wurde: das Auto. Ohne eigenen Wagen in einer Kleinstadt zu leben, noch dazu auf einer Baustelle, für die permanent Material transportiert werden muss, das mag unpraktisch klingen, das gibt auch Pick zu. Er sagt aber auch: „Es war die beste Entscheidung überhaupt.“ Wochenmarkt, Metzger und Bioladen sind mit ein paar Schritten zu erreichen. „Wir haben hier eine bessere Nahversorgung als in der Frankfurter Vorstadt“, sagt er. Was auch passé ist: die „zelebrierte Anonymität“ der Städter. Die Nachbarn in den Diezer Altstadtgässchen waren schnell kennengelernt – und alsbald der ein oder andere Autoschlüssel immer verfügbar, wenn Pick und Woesthaus Bedarf haben sollten. „Wir haben wirklich Glück gehabt.“
„Das Haus führt Regie“
Regie über dieses Glück führt das Haus Monreal, genau genommen auch über das Leben der beiden Männer: „Dieses Haus ist alles: Hobby, Leidenschaft, es ist Urlaub und Beruf“, sagt Pick. Er kümmert sich um Vermietung und Verwaltung der Ferienwohnungen – und er kümmert sich auch maßgeblich um das neueste Projekt: Das Paar hat ein weiteres Haus gekauft, Baujahr 1906, direkt neben dem Haus Monreal, mit dem es sich einen beschaulichen Innenhof teilt.
Den Neuererwerb lassen die Männer originalgetreu im Jugendstil wieder herrichten, dafür gibt es sogar EU-Fördergelder. Die Arbeiten laufen – und zwar ähnlich detailverliebt wie nebenan im historischen Amtshaus. Die Türen im Jugendstilgebäude stammen beispielsweise aus der Bauzeit des Hauses. Pick und Woesthaus haben sie eigens aus einer weniger wertgeschätzten Jugendstilvilla in Kiel geholt – und die passenden Zargen direkt mit ausbauen lassen. Original Jugendstilfliesen haben sie in Kiel mit aller Vorsicht von der Wand gestemmt, um sie in Diez wieder anzubringen.
Fünf Ferienwohnungen entstehen hier, barrierefrei und mit viel Platz für Freunde und Familie. Ab Mai soll vermietet werden. Als Jugendstiltraum vermarkten beide das Haus, um ein paar Meter weiter den eigenen Traum zu leben: Denkmal mit viel Platz, Charme und Historie.