St. Ingbert (dpa/lrs) – Die alten Menschen, die in großer Runde zusammensitzen, sind sichtlich gespannt, was ihnen die Mitarbeiterinnen des Caritas-Pflegezentrums St. Barbara in St. Ingbert an diesem Morgen vorlesen. Immer wieder greifen Rita Schmitt und Cäcilia Gutheil in den großen Stapel von Postkarten, zeigen die bunten Bilder vom Strand, den Bergen oder Kirchen und fangen an zu lesen. «Wunderbar», sagen die Zuhörerinnen und Zuhörer und lächeln. Oder: «Da war ich auch schon». Und: «Das kenne ich – da ist es schön».
Seit einigen Tagen bekommen die Bewohner der Pflegeeinrichtung reichlich Post. Nicht die übliche von der Pflege- oder Rentenkasse. Sondern handschriftlich geschriebene Karten: von Nord- und Ostsee, aus bekannten Städten wie Dresden oder kleineren wie Unna, aus Frankreich, Holland und Griechenland – und einige sogar aus Afrika, Indien, Thailand und Hawaii.
Die Menschen, die ihnen schreiben und Urlaubsgrüße aus der ganzen Welt schicken, kennen die Senioren im Saarland nicht persönlich. Aber sie haben einen Beitrag im Internet gelesen: «Unsere Bewohner würden sich freuen», postete Mitarbeiterin Isabell Meyers und veröffentlichte einen Aufruf, der eigentlich für die Angehörigen gedacht war. «St. Barbara geht auf Reisen – und Sie nehmen uns mit!», lautete die Überschrift in dem Aushang.
«Jede Karte bringt Abwechslung in den Alltag»
«Auch wenn unsere Bewohnerinnen und Bewohner derzeit nicht selbst in den Urlaub fahren können, möchten wir sie dennoch auf eine Reise mitnehmen – in Gedanken und mit viel Herz. Dazu brauchen wir Ihre Unterstützung», schrieb Leiterin Karina Titze. Und so wurden die Angehörigen, Gäste und «liebe Menschen mit Herz» aufgefordert, eine traditionelle Postkarte zu schicken, damit man mit den Bewohnern auf diese Weise «verreisen» könne. Denn: «Jede Karte bringt ein Stück Urlaub, Freude und Abwechslung in den Alltag».
Was als kleine Auflockerung im Heimalltag gedacht war, hat Dimensionen erreicht, die das Team des Altenzentrums fast sprachlos machen: Innerhalb weniger Tage trafen mehr als 400 Karten ein. Mit Urlaubserlebnissen, Informationen über Sehenswürdigkeiten oder auch guten Wünschen. Eine Frau brachte gleich 30 Karten vorbei, eine andere schenkte ein Sammelbuch für Postkarten und eine weitere aus Bremen gestaltete ein eigenes Album.
Mehr als 6.000 Reaktionen
«Das ist einfach unglaublich», sagt Sozialdienstleiterin Evelyne Bahr, die mit dem Leitungsteam die Idee zu dieser Aktion vom Caritas-Altenzentrum Heilig Geist im pfälzischen Frankenthal übernommen hatte. Nach Angaben des dortigen Leiters Florian Kutschke-Käß hatte man schon 2016 ein solches Projekt gestartet und es im vergangenen Jahr wiederholt. Damals trafen 380 Karten ein – «und die Bewohner waren alle begeistert».
Nachdem sich der Aufruf in den sozialen Medien verbreitet hat, dürfte die Aktion im Saarland noch größere Kreise ziehen. Tausende Menschen likten den Aufruf oder teilten ihn. So ganz kann Evelyne Bahr noch nicht fassen, welchen Stein sie und ihre Kolleginnen damit ins Rollen gebracht haben. «Das ist einfach der Wahnsinn, mit so etwas haben wir überhaupt nicht gerechnet», sagt sie.
Tür in die Erinnerung geöffnet
Die Hoffnung, den alten Menschen eine Freude zu machen, sie an frühere Reisen und Erlebnisse zu erinnern und zumindest in Gedanken an andere Orte mitzunehmen, ist schon jetzt mehr als erfüllt worden. Wenn die Karten vorgelesen werden, werden die Bewohnerinnen und Bewohner auf einmal ganz lebendig: Sie fangen an, von eigenen Urlauben zu berichten, von den Tagen im Zelt und Wohnwagen oder von Erlebnissen mit ihren Kindern. Einige seien durch die Morgenrunden mit den Postkarten richtig «aufgeblüht», berichtet Sozialarbeiterin Rita Schmitt.
Eigene Erlebnisse werden wieder lebendig
Auch an diesem Morgen geht es nach dem Gesprächskreis mit persönlichen Erzählungen weiter. «Wir waren überall, trotz drei Kindern. In Frankreich und auch auf Kreta, das ist eine Insel, die zu Griechenland gehört. Wunderschön war es da», berichtet Hildegard Hellenthal (86). Dann erzählt sie, wie «goldig» es war, als «die Kleine und die beiden Buben» in Südfrankreich im Meer schwimmen gelernt haben.
Unabhängig davon, wie viele Postkarten noch eintreffen werden, hofft Evelyne Bahr, dass es nicht bei dieser einmaligen Aktion bleibt. «Ich würde mich freuen, wenn auch andere Altenzentren oder Behindertenheime Post bekommen», sagt sie. Denn das Bedürfnis in der Gesellschaft, anderen Menschen etwas die Einsamkeit zu vertreiben und ihnen Freude zu bereiten, sei offensichtlich groß.
Bewohner sind «Glückspilze»
Dabei sind es nicht nur Urlaubsmotive, die für Abwechslung sorgen: Auch das Bild eines Bademoden-Modells aus früherer Zeit sorgt für Unterhaltung. «Liebe Bewohner, was gab es doch für tolle Mode in den vergangenen Jahrzehnten. Viel Spaß mit Euren Erinnerungen», schreibt eine Anja.
Und die Karte mit der Frage «Bist Du ein Glückspilz?» beantwortet die Schreiberin selbst mit den Worten: «Liebe Bewohner, natürlich seid ihr alle Glückspilze bei so einfallsreichen Betreuerinnen und Betreuern!» Da applaudieren die Senioren. Silke aus Stuttgart hinterlässt als eine von wenigen ihre Adresse. «Leute, wisst Ihr, was das heißt?», fragt Betreuerin Gutheil. «Wir schreiben zurück.»
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