Meinung zum AfD-Gutachten
Wer überzeugen will, muss überzeugen
Lars Hennemann, Chefredakteur der Rhein-Zeitung
Kevin Ruehle

Das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes liegt auf dem Tisch – und mit ihm die Frage nach einem Verbot der Partei. Auch für Rheinland-Pfalz zeigt sich ein ungutes Bild. Chefredakteur Lars Hennemann hielte ein Verbot dennoch für den falschen Ansatz.

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Nur wenige Tropfen Öl reichen aus, um eine viel größere Menge Wasser dauerhaft zu verschmutzen. Ähnlich verhielt es sich über einen langen Zeitraum mit der AfD: Gegründet von keineswegs extremistischen Wirtschaftshonoratioren, wurde sie von Hetzern und Demokratiefeinden immer weiter unterwandert. Und dennoch wuchs sie im Zuspruch immer weiter – bis auf das heutige Niveau von mehr als einem Fünftel der Wahlberechtigten.

Dies zwar nicht nur, aber maßgeblich auch deshalb, weil der politischen Konkurrenz – und auch den Medien – viel zu lange als Reaktion nichts anderes einfiel als die Beschimpfung der Wählerschaft. Frei nach dem Motto „Wer bei denen sein Kreuz macht, ist entweder doof oder selbst ein Extremist.“ Zumindest Letzteres stimmt in Teilen wohl leider auch, aber die ganze Erklärung ist das beileibe nicht.

Die Politik der übrigen Parteien hat das Wachstum der AfD befeuert

Nein, die AfD konnte auch deshalb so groß werden, weil die Politik der etablierten Parteien dies befeuerte. Nicht jeder, der fragt, ob es clever ist, unser ohnehin schon völlig marodes Sozialsystem mit immer mehr Anspruchsberechtigten und Ansprüchen weiter zu belasten, ist ein Nazi, nur weil er diese Frage stellt. Auch der aus teilweise apokalyptischer Endzeit-Rhetorik abgeleitete und mitunter unzureichend bis widerwillig erklärte ökologische Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft wird von vielen Menschen nicht mehr als Notwendigkeit oder gar Chance empfunden, sondern als komplette Gängelung.

In diese ungute Stimmung konnten zudem seit Jahren digitale und menschliche Desinformanten hineinstoßen wie das Messer in die Butter. Die Reaktion der Politik darauf? Sie ließ die Lügner in den sozialen Netzwerken gewähren und strangulierte stattdessen weiter die freie, der Demokratie verpflichtete Presse. In der Steuerpolitik der Regierung Merz zum Beispiel genießen McDonalds und Burger King einen höheren Stellenwert als Journalistinnen und Journalisten. Es gab Zeiten, da sollte die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden. Jetzt offensichtlich an der Whopper-Ausgabe.

Das Gutachten ist nicht grundstürzend neu

Damit wir uns nicht missverstehen: Die AfD ist trotz aller Defizite der demokratischen Parteien absolut keine Alternative zu ihnen. Sie ist unheilbar durchsetzt von Gegnern von Freiheit, Rechtsstaat und Menschenwürde. Es gibt auch nicht die gute AfD oder die schlechte. Jeder, der sie wählt, wählt automatisch – das Beispiel mit dem Öl im Wasser zeigt es – die Axt an der Wurzel unseres demokratischen Staates. Ja, man darf die AfD wählen – und doch verbietet es sich, unter allen Umständen.

Dann also am besten die Partei verbieten? Das jetzt auf dem Tisch liegende Gutachten liefert bei der Suche nach einer Antwort wenig Überraschendes. Es zeichnet – leider gerade auch für Rheinland-Pfalz – zweifellos ein sehr dichtes Bild der ekligen und justiziablen Umtriebe bekannter Funktionäre. Aber grundstürzend neu ist das alles nicht.

Für einen Verbotsantrag benötigt man aktuell juristisches Gottvertrauen

Warum also sollten jetzt auf dieser Basis Richter das erledigen, was die Politik seit Jahren nicht hinbekommt? Zweifellos hat jeder entsprechend mandatierte Feind der blau-braunen Demokratiefeinde das gute Recht, einen Verbotsantrag zu stellen. Auf Basis des Gutachtens braucht man dafür juristisches Gottvertrauen. Noch wichtiger als das ist allerdings die Frage, ob ein Verbotsversuch klug wäre.

Die Antwort zur Stunde: nein, so weh das auch tut. Millionen von Menschen werden ihre verfestigten Haltungen nicht mehr einfach aufgeben. Schon gar nicht auf Basis dessen, was jetzt auf dem Tisch liegt. Der Kampf um ihre Ratio und ihre Herzen muss in Parlamenten gewonnen werden sowie durch Regierungen in Bund und Ländern, die Bürger und Unternehmen nicht nur als möglichst vollumfänglich zu bevormundende Objekte betrachten. Die Justiz kann heute schon völlig losgelöst davon mit Blick auf die AfD und einzelne ihrer Protagonisten ihre Arbeit tun. Aber um an der Urne zu überzeugen, muss Demokratie überzeugen – und nicht verbieten. Dafür, und nur dafür, wird es höchste Zeit. Dafür müssen wir alle antreten. Im Alltag, nicht im Gerichtssaal.

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