Rennerod/Rheinland-Pfalz
Lernort Bauernhof: Wo nicht nur Schülern in Rheinland-Pfalz gezeigt wird, wie Lebensmittel entstehen
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Bei den pädagogischen Programmen auf dem Albertshof sollen die Schüler erfahren, wie genau das Leben auf einem Bauernhof funktioniert. Hier zeigt Sozialpädagogin Sarah Schell-Hahn den Kindern, worauf bei dem Umgang mit Hühnern geachtet werden sollte.
Lara Kempf

Einblicke in die Öko-Landwirtschaft und das Leben auf einem Bauernhof geben - das hat sich der Albertshof in Rennerod zur Aufgabe gemacht. Seit fast 20 Jahren ist der Hof ein außerschulischer Lernort und bringt sowohl Kindern als auch Erwachsenen näher, wo Milch, Fleisch und Eier herkommen. Wie ein pädagogisches Programm für Gruppen aber konkret abläuft, hat sich die RZ einmal selbst angeschaut.

Als sich die mehr als 25 Viertklässler einer Lüdenscheider Grundschule voller Vorfreude auf die in einem Kreis angeordneten Strohballen im Begrüßungsraum des Bauernhofes setzen, ertönt ein lautes Knistern. Der Duft von frischem Heu und Stroh liegt in der Luft. Gebannt lauschen die Kinder den Willkommensworten von Kerstin Doppstadt. Zusammen mit ihrem Mann Peter führt sie den Bioland-Betrieb Albertshof in Rennerod (Westerwaldkreis) und wird den Schülern und ihren Lehrern in den kommenden vier Stunden das Leben auf einem Bauernhof näherbringen. Was fressen eigentlich Hühner? Wie sollten diese am besten gehalten werden? Und wie sieht es aus, wenn eine Kuh gemolken wird?

Bereits seit 2006 ist der Hof im hohen Westerwald, der sich neben 140 Hektar Grünland auch noch um rund 130 Milchkühe und 200 Hühner kümmert, ein „außerschulischer Lernort“. Die Klasse der Lüdenscheider Grundschule ist im Zuge des Bildungsprogramms mit der Deutschen Pfadfindergesellschaft St. Georg (DPSG) auf dem Hof zu Gast. Zudem ist der Albertshof als Demonstrationsbetrieb „Ökologischer Landbau“ bereits zum dritten Mal Teil des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL).

Von der Krabbelgruppe bis zu Rentnern

Dabei geht es vor allem darum, interessierten Gruppen über ein erlebnispädagogisches Programm Einblicke in die ökologische Landwirtschaft zu geben. Von Krabbelgruppen bis hin zu Rentnern besuchten schon alle Altersklassen den Renneroder Bauernhof. „Wir wollen die Bildung zu den Menschen bringen und ihnen zeigen, wie Lebensmittel entstehen“, erklärt Doppstadt. Die 46-Jährige ist studierte Diplom-Sozialpädagogin und betreut zusammen mit Sozialarbeiterin Sarah Schell-Hahn die Gruppen auf dem Hof.

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Die 10-jährige Mia (links) ist überrascht, wie weich das Federkleid eines Huhns eigentlich ist.
Lara Kempf

Bevor der Tag auf dem Bauernhof für die Schüler aber beginnt, führt die Landwirtin sie mit Fragen wie „Wer kann mir denn eine Getreidesorte nennen?“ in die landwirtschaftliche Welt ein. Sofort schnellen zahlreiche Arme in die Höhe, und Doppstadt zeigt sich positiv überrascht von Antworten wie „Weizen“, „Gerste“ und „Hafer“. Nach einem ersten theoretischen Überblick ist es dann soweit: Die 46-Jährige Sozialpädagogin fordert die Viertklässler auf, ihre mitgebrachten Gummistiefel anzuziehen und sich draußen auf dem Hof zu versammeln. Die Aufregung steht den Kindern ins Gesicht geschrieben. Kichernd und tuschelnd laufen sie nach draußen.

20 Kälber wollen gefüttert werden

Dort wartet auch schon die erste Aufgabe. Ohne Umwege geht es in einen Stall, in dem rund 20 Kälber gefüttert werden wollen. Das hungrige „Muhen“ der jüngsten Hofbewohner schallt durch den ganzen Stall. Freudestrahlend begrüßen die Schüler die Tiere mit Worten wie „Oh, die sind ja süß“. Angeleitet von Schell-Hahn steigen sie dann zu den Kälbchen in die Boxen und füttern sie mit der vorbereiteten Milch. Während manche Schüler eher zögerlich sind, packen andere ordentlich mit an und scheinen sich sichtlich darüber zu freuen, bei der Fütterung helfen zu können.

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Auch bei den erst kürzlich geborenen Kälbchen dürfen die Kinder selbst Hand anlegen und bei der Fütterung helfen.
Lara Kempf

Von den Kälbern führt der Weg direkt zu den Hühnern. Bevor sie jedoch das Gehege betreten dürfen, zeigt die Sozialarbeiterin der Klasse das Futter der Tiere. Es macht sich Verwirrung in den Gesichtern breit. „Das sind ja auch Muscheln und Steine“, bemerken die Viertklässler, während sie das Futter genau unter die Lupe nehmen. Dann dürfen die Kinder endlich den Stall betreten, aus dem bereits ein lautes Gackern und Krähen nach draußen dringt. Im Gehege übernehmen einige Schüler die Aufgabe, die Hühner zu füttern, andere versorgen sie mit frischem Stroh und wieder andere sammeln die gelegten Eier ein. Anschließend erklärt Schell-Hahn der Klasse etwas über das Wesen von Hühnern und wie ein Huhn am besten gefangen und gehalten werden sollte.

„Oh, die sind ja ganz weich“

Das dürfen die Schüler auch gleich selbst ausprobieren. Langsam und mit vorsichtigen Schritten pirschen sie sich an die Tiere heran. Während manche Kinder etwas zurückhaltender sind, laufen andere den Hühnern hoch konzentriert hinterher. Obwohl die Tiere ziemlich schnell unterwegs sind, sind einige Schüler erfolgreich und fangen ein Huhn. Dabei zeigen sich die meisten überrascht davon, wie weich das Gefieder der Tiere ist. „Oh, die sind ja ganz weich“, sagt eine Schülerin, als sie das erste Mal über das Federkleid streicht.

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Bei den pädagogischen Programmen auf dem Albertshof sollen die Gruppen erfahren, wie genau das Leben auf einem Bauernhof funktioniert. Hier zeigt Sozialpädagogin Sarah Schell-Hahn einer Schülerin, wie Hühner am Besten gehalten werden sollten.
Lara Kempf

„Erlebnispädagogik ist hier das Stichwort. Die Schüler sollen aus direkter Nähe sehen, wie die Lebensmittel entstehen“, erklärt Kerstin Doppstadt den Sinn ihres Programms. Dabei sei es ihr besonders wichtig, den Kindern ganz viel Wissen mitzugeben, damit sie in Zukunft selbst lernen, Dinge abzuwägen und zu entscheiden. „Wir handeln hier nach der Devise: Nur das, was du liebst, kannst du auch schützen“, betont die Landwirtin.

Auf Tuchfühlung mit den Kühen

Nach einigen Kuscheleinheiten und einer kurzen Pause, in der der Hofladen erkundet werden darf, geht es weiter in den Kuhstall, wo Doppstadt die Schüler bereits erwartet. Mit den Worten „Geht mal in den Stall und zählt mal die Kühe“ führt sie die Klasse spielerisch an die größten ihrer Hoftiere heran. Voller Vorfreude laufen die Kinder in den Stall, wo die Kühe, an der Zahl rund 110, sie mit ihrer langen Zunge neugierig begrüßen. Überrascht von der Länge und rauen Beschaffenheit der Zunge, bricht ein Kichern unter den Viertklässlern aus. Dieses wird nur unterbrochen durch die plötzlichen Ausscheidungen einiger Kühe, die von den Schülern mit einem einstimmigen „Ihh!“ beurteilt werden.

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Hier erklärt Landwirtin Kerstin Doppstadt den Viertklässlern, wie genau die Melkroboter eigentlich funktionieren.
Lara Kempf

Die Diplom-Sozialpädagogin erzählt den Kindern zudem einiges über die Haltung ihrer Kühe und die Milchproduktion. Danach führt sie sie zu den erst vor rund zwei Jahren erworbenen Melkrobotern – es wird laut. Fasziniert von den großen Maschinen schauen die Viertklässler zu, wie die Kühe in einer Schlange stehen und es kaum abwarten können, gemolken zu werden. „Unsere Kühe gehen von ganz allein hier rein, da es hier etwas zu fressen gibt und sie außerdem den Druck im Euter loswerden wollen“, erklärt Doppstadt. Als die Westerwälder Landwirtin ihnen schließlich erklärt, wie genau die Roboter funktionieren, hören die Viertklässler interessiert zu und stellen zahlreiche Nachfragen.

Wie Kälbchen gemacht werden

Zum Abschluss steht ein Besuch beim Bullen sowie bei den Kühen, die kurz vor der Geburt ihrer Kälbchen stehen, an. Hier erklärt die Diplom-Sozialpädagogin der Klasse wie Kälbchen eigentlich entstehen und sorgt damit für teils staunende, teils peinlich berührte Gesichter bei den Kindern.

Damit neigt sich der Besuch der Klasse auf dem Albertshof dem Ende zu. Zurück im Begrüßungsraum, in dem die Schüler am Anfang des Tages aufgeregt auf den Strohballen saßen und nicht wussten, was sie erwartet, dürfen die Viertklässler nun in einer Feedback-Runde erzählen, was ihnen am besten gefallen hat. Dabei sind sich fast alle Kinder einig: Die Kälbchen und der Hofladen. „Ich habe viel dazu gelernt, was ich vorher nicht wusste. Der Tag war echt toll“, lässt ein Schüler das Programm Revue passieren. Auch Doppstadt und Schell-Hahn loben die Viertklässler für ihre Offenheit und tolle Mitarbeit. „Ihr habt eure Ängste überwunden, das war toll zu sehen“, sagt Schell-Hahn und Doppstadt ergänzt: „Ihr seid hier jederzeit wieder herzlich willkommen.“

Bauernhöfe als Netzwerke und Lernorte

Das Netzwerk „Demonstrationsbetriebe ökologischer Landbau“ ist eine Maßnahme im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau (BÖL), das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Jahr 2001 ins Leben gerufen wurde. Es gehört damit europaweit zu den renommiertesten landwirtschaftlichen Netzwerken und hat sich kontinuierlich weiterentwickelt.

Die mittlerweile 290 Demonstrationsbetriebe Ökologischer Landbau verkörpern die ganze Bandbreite der landwirtschaftlichen Ausrichtung, liefern Einblicke in regionaltypische Produktionsschwerpunkte und spiegeln die Vielfalt des Ökolandbaus in Deutschland wieder. Sie bündeln Expertise über Besonderheiten, Vorzüge und Herausforderungen des Ökolandbaus.

Durch Führungen, Hoffeste und Aktionstage bieten sie einen Dialog und Vernetzung für Interessierte jeder Altersklasse, darunter Schüler, Auszubildende oder Praktiker. Zudem fördert das Landwirtschaftsministerium den „Lernort Bauernhof“ (LOB) aus dem Entwicklungsprogramm „Umweltmaßnahmen, Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft, Ernährung“ (EULLE) mit rund 800.000 Euro. Aufgrund der großen Nachfrage wurden die Mittel für Schulbesuche aufgestockt.

66 Betriebe in Rheinland-Pfalz sind als LOB-Betrieb anerkannt. Im Jahr 2023 fanden in 39 Betrieben 452 Schulbesuche mit 8245 Schülern statt. Zusätzlich gibt es den Zertifikatslehrgang „Bauernhofpädagogik“ als eine freiwillige Zusatzqualifikation. Der Lehrgang besteht aus vier Modulen zu je drei Tagen. Hauptausbildungspartner für den Lehrgang ist das Hofgut Neumühle in Münchweiler an der Alsenz. kel

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