Nach Anschlag von München
Landesregierung schmettert markige CDU-Forderungen ab
Das Archivbild zeigt das Gebäude mit den Zellen der Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige (GfA) in Ingelheim.
picture alliance / Peter Zschunke/dpa

„Wir müssen handeln – und zwar jetzt!“: markige Worte von CDU-Innenpolitiker Dirk Herber nach dem Anschlag von München. Herber nahm die Landesregierung in die Pflicht, forderte, ausländische Intensivstraftäter hinter Gitter zu bringen. Aber geht das?

Nach dem schrecklichen, mutmaßlich islamistisch motivierten Autoanschlag eines 24-jährigen Afghanen in München mit zwei Toten am vergangenen Donnerstag meldete sich die rheinland-pfälzische CDU-Landtagsfraktion mit markigen Forderungen zu Wort. Der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Dirk Herber, sagte, die Menschen wollten endlich Taten sehen „und keine politische Betroffenheitsrhetorik. Jetzt muss gehandelt werden“.

Herber verlangte gemeinsam mit CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder, dass die rund 160 im Land bekannten ausländischen Intensivstraftäter in Ausreisegewahrsam, Ausreisehaft oder Präventivgewahrsam müssten. Die CDU drängte die Landesregierung, „sofort aktiv zu werden“. Schließlich sei das Anschlagsrisiko so hoch wie noch nie.

Dirk Herber verlangte nach dem Anschlag in München gemeinsam mit CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder, dass die rund 160 im Land bekannten ausländischen Intensivstraftäter in Ausreisegewahrsam, Ausreisehaft oder Präventivgewahrsam müssten. Ist diese Forderung realistisch umsetzbar?
Sebastian Gollnow/dpa

Bei aller gerechtfertigten Entrüstung nach den schlimmen Taten stellt sich die Frage: Sind diese Forderungen realistisch umsetzbar? Oder geht es doch eher um populistische Pläne? Zunächst einmal: Was sind Intensivstraftäter, und wie kommt die Zahl von 160 zustande? Wie das rheinland-pfälzische Innenministerium auf Anfrage erklärt, handelt es sich bei Intensivstraftätern nicht zwangsläufig um Geflüchtete. Die Identifizierung der 160 ausländischen Intensivstraftäter beziehe sich auf das Auswerteprojekt „Erkennen von Risikopersonen aus der Zuwanderungsbewegung im Bereich des islamistischen Terrorismus“, kurz „AERBiT“, des Landeskriminalamtes (LKA).

Das Ziel des Auswerteprojektes sei es, Personen zu erkennen, die Berührungspunkte zur politisch – religiös-ideologisch – motivierten Kriminalität aufweisen könnten und bisher im Zusammenhang mit allgemeiner Kriminalität aufgefallen sind, so ein Ministeriumssprecher.

Wichtig: Nicht alle der Verdachtspersonen wohnen letztlich in Rheinland-Pfalz. Ausschlaggebend ist die Frage, ob die Täter bereits in Rheinland-Pfalz straffällig geworden sind. Weiter wichtig: Bei den ermittelten Personen handelt es sich nicht automatisch um Intensivstraftäter, eine Vielzahl der Kriminellen habe nach polizeilichen Erkenntnissen nur eine Straftat begangen. Es gebe aber auch solche, die mehr als zehn strafbare Handlungen begangen hätten, erläutert der Innenministeriumssprecher.

Die meisten gemeldeten Intensivstraftäter kommen aus Syrien

Aus einer Kleinen Anfrage der CDU vom Oktober des vergangenen Jahres geht hervor, dass 147 der 160 zum Stichtag Mitte September ausländischen Intensivstraftäter bei rheinland-pfälzischen Ausländerbehörden gemeldet waren – 13 eben nicht. In Koblenz etwa waren es 11, im Kreis Mayen-Koblenz 8. Die meisten von ihnen (53 von 147) kommen laut Antwort des Integrationsministeriums von Katharina Binz (Grüne) aus Syrien. Danach folgt Afghanistan (25).

In der Antwort ist weiter aufgeführt, dass bei insgesamt 61 Personen der Asylantrag abgelehnt worden oder eine Schutzanerkennung widerrufen worden ist. Von den übermittelten Personen sind nach Angaben des Binz-Ministeriums 41 vollziehbar ausreisepflichtig, 29 verfügen allerdings über Duldungsgründe, können also derzeit nicht abgeschoben werden. Tatsächlich abgeschoben wurden 8 Personen, eine weitere ist freiwillig ausgereist.

Landesregierung hält die Forderung der Opposition für realitätsfern

In Haft waren nach Auskunft des Integrationsministeriums Mitte September nach LKA-Erkenntnissen 17 Personen. Bedeutet: Intensivstraftäter sitzen nicht automatisch im Knast – das müssen sie auch nicht. Das Justizministerium ordnet für die Straf- oder Untersuchungshaft ein: Die Täter sitzen nicht (mehr) im Gefängnis, weil entweder die Strafhaft beendet ist oder ein Haftgrund für eine mögliche Untersuchungshaft nicht vorliegt.

Wie steht nun aber die Landesregierung zum CDU-Appell, die ausländischen Intensivstraftäter sofort in Ausreisegewahrsam, Ausreisehaft oder Präventivgewahrsam zu stecken? Die Kurzantwort: Die Landesregierung hält die Forderung der Opposition für realitätsfern. Das Integrationsministerium antwortet auf die Frage, ob dies rechtlich möglich wäre: „Dafür fehlt die rechtliche Grundlage.“

Zunächst betont ein Sprecher, dass Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam nur von (Amts-)Gerichten angeordnet werden könnten. Hierfür müssten ganz bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Dass die Landesregierung für die Intensivstraftäter eine sofortige Maßnahme einfach anordnet – unrealistisch.

So werde Abschiebungshaft für bis zu sechs Monate von Gerichten angeordnet, wenn eine Rückführung unmittelbar bevorsteht und die Person etwa fliehen könnte – oder die Person ohne Erlaubnis eingereist ist und Deutschland verlassen muss – oder die Person trotz eines Einreiseverbots wieder nach Deutschland gekommen ist.

Ausreisegewahrsam wiederum könne für maximal 28 Tage angeordnet werden, wenn die Frist zur Ausreise abgelaufen sei, so der Sprecher. Das passiere vor allem, wenn zum Beispiel die Abschiebung innerhalb dieser Zeit möglich sei oder die Person eine Straftat begangen habe oder die Ausreisefrist um mehr als 30 Tage überschritten worden sei.

Bleibt noch der sogenannte Präventivgewahrsam: Der Sprecher des Innenministeriums fügt hinzu, dass die Polizei nach dem Landespolizei- und Ordnungsbehördengesetz eine Person in Gewahrsam nehmen kann, wenn das unerlässlich sei, um „die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat zu verhindern“. Diese Gewahrsamsform nutzten manche Bundesländer bei den sogenannten „Klimaklebern“.

Aber auch hier ist eine richterliche Entscheidung nötig, der Gewahrsam sei auf höchstens sieben Tage begrenzt. Der Sprecher ergänzt außerdem noch: Liegen bei einer Person psychische Erkrankungen vor, könne auf Grundlage eines Landesgesetzes eine Unterbringung in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus infrage kommen.

Integrationsministerin Katharina Binz sprach sich im vergangenen Jahr für die Anwendung einer Verwaltungshaft bei Ausländern aus, die Mehrfach- oder Intensivstraftäter sind.
Boris Roessler/dpa

Der Sprecher des Integrationsministeriums von Katharina Binz erläutert: Die Rückführung von Mehrfach- und Intensivstraftätern scheitere oft an der Kooperationsbereitschaft der Herkunftsstaaten. Eine freiwillige Ausreise – diese Option unterstützt Rheinland-Pfalz –, sei jedoch möglich.

Der Sprecher erinnert daran, dass sich Ministerin Binz im vergangenen Jahr für die Anwendung einer Verwaltungshaft bei Ausländern ausgesprochen habe, die Mehrfach- oder Intensivstraftäter sind, also immer wieder straffällig werden – und bei denen zwar keine Abschiebung, aber eine freiwillige Ausreise möglich sei. Die Inhaftierten könnten die Haft zur freiwilligen Ausreise verlassen. Hierfür brauche es allerdings europa- und ausländerrechtliche Voraussetzungen, die von der Bundesregierung geschaffen werden müssten.

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