Von unserem Redakteur Peter Seel
Herdorf – Dass er mit den drei Schritten von seinem Büro in den Aufenthaltsraum jedesmal die Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen überschreitet, das nimmt der Herdorfer Kfz-Meister Dieter Müller längst nicht mehr wahr.
Und dass er immer, wenn er die Arbeit an der einen Hebebühne beendet hat und zum nächsten Wagen an der anderen geht, von Herdorf nach Struthütten wechselt – auch daran hat er sich gewöhnt. Doch all die Unannehmlichkeiten, die in den vergangenen 20 Jahren damit verbunden waren, die kommentiert der 57-Jährige auch heute noch mit einem Kopfschütteln. „Aber zum Lachen ist das immer noch nicht“, sagt er. Kein Wunder: Seit Mitte der 90er-Jahre muss er seine Steuererklärung Jahr für Jahr zwei Mal machen: Einmal für seine Herdorfer Firma im Kreis Altenkirchen, zum anderen für seine GmbH, die er damals im Kreis Siegen-Wittgenstein und bei der Gemeindeverwaltung Struthütten anmelden musste.
Der Ein-Mann-Betrieb „Dieter Müller Autoteile“ (DTA) am Ortsende von Herdorf liegt mitten auf der Grenze beider Kommunen, beider Kreise, beider Bundesländer. Nur wenige Meter hinter und parallel zur Kölner Straße von Struthütten verläuft diese Linie – unsichtbar, aber sehr wirkungsvoll. Sie durchschneidet seine Werkstatt, geht zwischen beiden Hebebühnen durch und über die Schwelle zwischen zwei Arbeitsräumen.
Mit Bußgeld gedroht
Wenn Müller sich die Hände im Aufenthaltsraum wäscht, tut er dies im AK-Land, während seine Frau Helga (52) nebenan am Schreibtisch in NRW sitzt. Bis 1996 war das nur ein Kuriosum. Dann kam plötzlich ein Schreiben von der Gemeindeverwaltung Neunkirchen: Man hatte „entdeckt“, dass Müller hier einem Gewerbe nachgeht, das „bisher von Ihnen nicht angezeigt wurde.“ Seine Werkstatt befinde sich „teilweise auf dem Gebiet der Gemeinde Neunkirchen, so dass eine Anmeldepflicht, gegebenenfalls als unselbstständige Zweigstelle, gegeben ist.“
Sogar mit Bußgeld wurde ihm gedroht, von einem „Tatbestand“ war in dem Behördenbrief die Rede. Müller, der in Herdorf wohnt, aus Niederfischbach stammt und das Gebäude 1988 nichts ahnend kaufte, kann es auch heute noch nicht fassen: „Ich konnte tun und sagen, was ich wollte: Ich musste nach acht Jahren nun jedes Jahr zwei Mal Gewerbesteuer zahlen. Die zweite Steuererklärung kostet mich seitdem pro Jahr 3000 Euro.“
Eigene GmbH für jede Werkstattseite
Müller blieb nichts übrig, als für die nordrhein-westfälische Seite seiner Werkstatt, für die Hebebühne in Struthütten eine GmbH zu gründen. Jedes Jahr muss er zwei Bilanzen vorlegen, zwei getrennte Buchhaltungen führen. Seit 2001 jedoch arbeitet er allein, so dass er mit beiden Firmen nun immer im Bereich des Steuerfreibetrags bleibt. „Dadurch bekommt weder Herdorf noch Struthütten Steuern von mir. Lachender Dritte ist nur die Stadt Wissen, denn da sitzt mein Steuerberater, und durch die Zahlungen, die wir an ihn leisten, kriegt Wissen ein paar Steuergroschen.“
Die verrückte Landesgrenze sorgte bereits 1988 für Ärger, als Müller hier anfing: „Da wollte der Herdorfer Briefträger kein Stück über Nordrhein-Westfalen gehen“, erinnert sich der Kfz-Experte, „da müsse er ja über unversichertes Gebiet.“ Nach Müllers Beschwerde schlug die Post vor, Müllers Briefe immer erst nach Struthütten weiterzuverschicken, damit sie von dort aus regulär zugestellt werden könne. „Als ich mich wieder beschwerte, kamen drei Mann von der Post zu einem Ortstermin, um zu schauen, ob der Eingang auf Herdorfer Seite liegt.“ Am Ende einigte man sich, dass der Briefträger, der täglich nach Dermbach (Kreis Altenkirchen) fährt, bei Dieter Müllers Werkstatt anhalten und ihm seine Briefe bringen darf.
Ähnlich war es bei den Baugenehmigungen: Die sollte Müller, als er seine Werkstatt in den 90ern vergrößern wollte, zwei Mal einholen: In Siegen und in Altenkirchen. Und natürlich zwei Mal bezahlen. Da ließ er das Gebäude, das aus den 30er-Jahren stammt, so wie es war.