Starke Darstellung
Er bewegt sich langsam, oft steht er still da wie eine Statue. Seine Gesten sind extrem sparsam, doch zugleich jedes Mal mit symbolischem Gehalt aufgeladen. Aus dem meist wie versteinert ausdruckslosen Gesicht dieses Woyzecks blicken die Augen in die Ferne, oft unverwandt ins Publikum, durch Menschen und Dinge hindurch, schauen äußere, mehr noch innere Welten, die sonst keiner sieht. Riecke zeigt in wunderbar disziplinierter Reduziertheit einen Mann, den Leben und Verhältnisse am untersten Ende der Gesellschaft gemeißelt haben. Einen, der nun auf die späten Tage aus sozialer Not sich auch noch als Versuchskaninchen eines nervös überdrehten Karrieristen von Wissenschaftler (Stephen Appleton) missbrauchen lassen muss.
Woyzecks einziges Glück ist die Liebe zu Marie, mit der er ein uneheliches Kind hat. Der hier deutlich jüngeren Frau wird der verhärmte Alte bald unheimlich. Urwüchsige Lust auf Lebensfreude zieht sie zu ihrer Generation auf den Tanzboden, treibt sie in die Begierde nach den gierigen Armen des schmucken Tambourmajors (Cédric Cavatore). Jana Gwosdek spielt – ebenfalls sehr schön zurückgenommen, dafür umso intensiver – die Marie als innerlich zerrissene Frau: einerseits trotzig ihren unausweichlichen Drang auf ein bisschen Lebensfreude im ärmlichen Dasein als Recht behauptend, andererseits gerade deshalb von Schuldgefühlen gequält.
Machtlos kämpft der Alte gegen solchen Gang der Natur an, der ihm Marie zu rauben droht. Die starken Jungen stoßen den Schwächlichen herum, schlagen ihn. Die Regie hütet sich, die in der Dramenvorlage angelegte soziale Konfrontation durch die Alterskonfrontation etwa zu ersetzen. Das Zusammenwirken beider Aspekte verschärft vielmehr beide sinnfällig. Woyzeck frisst die Eifersucht in sich hinein, kauft jenes Messer, mit dem er den Knoten seiner elenden Umstände durch Ermordung Maries zerschneiden will.
Büchners letztes Werk – und das erste der Theatergeschichte mit einer Hauptfigur aus niedrigstem Sozialmilieu – blieb Fragment. Die vorliegenden vier unvollständigen Fassungen sind eher lose Szenensammlungen. Die hatte er 1836 zum Stück verarbeiten wollen, erlag aber vorher 23-jährig einer Typhuserkrankung. Weshalb das Theater, beginnend mit der Münchner Uraufführung 1913, von jeher freie Hand hat bei der Auswahl und Reihenfolge der Szenen.
Olga Wildgruber stellt der in Koblenz nur 80-minütigen Vorstellung die Jahrmarktszene voran. Der bunte Marktschreier (Claudia Felke) präsentiert dem Publikum ein kurioses Tier, auf dass dessen „viehische Vernünftigkeit die menschliche Sozietät beschäme“. Es ist Woyzeck, der da mit dem Kopf eines alten Esels als kratzfüßig dienernde Dressurattraktion vorgeführt wird – derweil hinter dem sich öffnenden Vorhang aus Goldlametta das Jungvolk wie Puppen an der Strippe in Reihe schwoft.
Jeder Mensch ein Getriebener
Dieser Prolog formuliert einen das gesamte Geschehen durchziehenden Gedanken Büchners: Kein Mensch ist wirklich frei. Soziale Verhältnisse, gesellschaftliche Stellung, Normen, Trends, ja auch die menschliche Natur selbst macht jeden zum Getriebenen. Wie die Kostüme von Claudia Rüll Calame-Rosset verfremdete Elemente von der Antike bis in die Gegenwart vereinen, so stellt das Bühnenbild Franz Gronemeyers eine Verbindung zwischen Bühnengeschehen und Zuschauern her: Eine rostfarbene Rampe reicht aus der Bühnentiefe bis ins Parkett. Darüber schwebt die Last des Lebens in Form eines Mühlsteins. Der wird während der Partyszenen vorübergehend verdrängt, durch einen – was immer das bedeuten mag – riesigen qualmenden Topf.
„Woyzeck“ in Koblenz: Eine klug, ernsthaft und interessant gearbeitete Sache, von einem reihum ordentlich bis sehr gut aufspielenden Ensemble präsentiert. Zudem atmosphärisch verdichtet, durch per Akkordeon von Wolfram Karrer live eingeflochtene Musikelemente zwischen Volkstümlichkeit und Klangcollage. Sehenswert, bedenkenswert.
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