Probleme mit Briefwahl in RLP
Kritik an verzerrten Wahlergebnisgrafiken wird lauter
In Rheinland-Pfalz werden Briefwahlstimmen zumeist nicht auf Ortsgemeinde-, sondern nur auf Verbandsgemeindeebene ausgezählt. Das sorgt mitunter für verwirrende Darstellungen der Ergebnisse.
Bernd Weißbrod. picture alliance/dpa

Wer in den offiziellen Wahlergebnisgrafiken des Landeswahlleiters auf eine einzelne Ortsgemeinde klickt, bekommt meist nicht das komplette Wahlergebnis angezeigt, sondern nur das der Urnenwahl. Die Briefwahlstimmen fehlen. Darf das so bleiben?

1,16 Millionen Rheinland-Pfälzer haben sich an der jüngsten Bundestagswahl per Briefwahl beteiligt – das entspricht einem Anteil von 46,2 Prozent. Nur bei der Bundestagswahl 2021 in Corona-Zeiten war der Anteil noch höher (60,9 Prozent). Diese Fülle an Briefwahlstimmen stellt die Menschen, die mit der Organisation der Wahl befasst sind, vor gewaltige Probleme. Und sie hat Folgen für die Transparenz bei der Darstellung der Wahlergebnisse. Die Kritik daran wird lauter.

Denn: Die allermeisten Briefwahlstimmen werden in Rheinland-Pfalz nicht auf der Ebene der Ortsgemeinden (OGs) ausgezählt, sondern gebündelt auf der nächsthöheren Verwaltungsebene, also in den Verbandsgemeinden (VGs). Sie können dann den Ortsgemeinden nicht mehr zugeordnet werden. Dennoch weist der Landeswahlleiter in seinen Ergebnisübersichten und -grafiken Ortsgemeinde-Ergebnisse aus, die in den allermeisten Fällen aber nur die Urnenwahl berücksichtigen, was mitunter zu erheblichen Verzerrungen führt – auch in allen weiteren Ergebnisveröffentlichungen, die auf den Daten des Landeswahlleiters basieren, der freilich, wie auch unsere Zeitung, immer wieder gut sichtbar auf die Diskrepanz hinweist.

Dennoch: Es ist ein wenig so, als würde man nach einem Bundesliga-Spieltag eine Tabelle veröffentlichen, in der nur die Tore berücksichtigt werden, die jeweils in der ersten Halbzeit gefallen sind.

„Ja.“
Martin Groth, Bürgermeister der VG Rhein-Selz, auf die Frage, ob er wieder mit großem Personalaufwand dafür sorgen würde, dass komplette Ergebnisse auf Ortsgemeindeebene ausgewiesen werden können.

Man könnte auch sagen: Die Ortsgemeinde-Ergebnisse sind im Zweifel wertlos. Zumal keine Einheitlichkeit besteht. In der Verbandsgemeinde (VG) Rhein-Selz im Kreis Mainz-Bingen beispielsweise werden sehr wohl Gesamtergebnisse aus Urnen- und Briefwahl auf Ortsgemeindeebene veröffentlicht. Die Entscheidung dafür sei lange vor der Wahl in einer Bürgermeisterdienstbesprechung gefallen, berichtet VG-Bürgermeister Martin Groth (FWG) gegenüber unserer Zeitung: „Die Ortsbürgermeister waren sehr daran interessiert, genaue Ergebnisse zu bekommen.“

Der Personalaufwand war immens, etwa doppelt so hoch wie bei der vorherigen Bundestagswahl, als die VG die Briefwahlergebnisse noch zentral auszählte. Groth beziffert: „2021 hatten wir 266 ehrenamtliche Wahlhelfer und 59 Kräfte der VG im Einsatz, diesmal waren es 537 Ehrenamtliche und 113 VG-Leute. Wobei es kein Problem war, genügend Wahlhelfer zu finden.“ Würde er es also wieder so entscheiden: „Ja.“

Einer, der die rheinland-pfälzische Praxis schon seit Jahren kritisiert, ist Jens Güllering, VG-Bürgermeister in Nastätten im Rhein-Lahn-Kreis. Durch die starke Zunahme der Briefwähler „wird das durch die zentrale Auszählung entstehende falsche Bild der örtlichen Ergebnisse weiter verstärkt“, schrieb der CDU-Kommunalpolitiker an Landeswahlleiter Marcel Hürter – und zwar 2017, nach der damaligen Bundestagswahl. Seitdem greift Güllering das Thema in (un-)schöner Regelmäßigkeit auf, auch nach der jüngsten Wahl.

In seiner Darstellung wird das Problem dabei eher größer – weil der Briefwahlanteil auch ohne Corona-Sondereffekt tendenziell steigt, weil die Diskrepanzen größer werden, weil durch sozusagen falsche Ergebnisgrafiken „ein Bild auf bestimmte Gemeinden fällt, welches nicht das vermeintlich korrekte Stimmabgabeverhalten der Bevölkerung widerspiegelt“.

Mit seiner Kritik ist Güllering alles andere als allein. Auch aus anderen Regionen hagelte es mindestens Nachfragen, oftmals auch handfeste Beschwerden, etwa aus dem Westerwaldkreis, wo es auf der Seite des Landeswahlleiters so aussah, als wären rund 40 Prozent der Gemeinden blau eingefärbt und es liege eine relative Mehrheit der AfD vor. Dies spiegelte allerdings wie andernorts eben auch nur die Urnenwahl wider, die bei vielen AfD-Wählern beliebter ist als die Briefwahl.

„Die Legitimität von Wahlen hängt wesentlich auch an der transparenten Darstellung der Ergebnisse.“
Politikwissenschaftler Uwe Jun, Uni Trier

Diese Darstellung ist also mindestens verwirrend – findet auch Uwe Jun. Der renommierte Politikwissenschaftler der Uni Trier sagt gegenüber unserer Zeitung: „Wenn Ergebnisse so dargestellt werden, also ohne die zugehörigen Briefwahlergebnisse, sind die Ergebnisse für viele im Ganzen kaum nachvollziehbar.“ Wählerinnen und Wähler haben ein Anrecht auf Transparenz, betont Jun und fordert: „Wahlergebnisse müssen so transparent wie möglich dargestellt werden. Der derzeit offenbar in Rheinland-Pfalz gepflegte Umgang mit den Briefwahlergebnissen sollte überprüft und verändert werden.“

Er sagt auch, dass das Transparenzgebot gerade bei Wahlen absolut an erster Stelle stehe: „Wenn es an Personalverfügbarkeit liegt, dann muss die Manpower zur Verfügung gestellt werden.“ Denn es geht um deutlich mehr als nur geschmäcklerische Fragen oder Farbflächen auf Grafiken: „Die Legitimität von Wahlen hängt wesentlich auch an der transparenten Darstellung der Ergebnisse“, sagt Jun.

In Rheinland-Pfalz werden Briefwahlstimmen zumeist nicht auf Ortsgemeinde-, sondern nur auf Verbandsgemeindeebene ausgezählt. Das sorgt mitunter für verwirrende Darstellungen der Ergebnisse.
Christophe Gateau. picture alliance/dpa

„Leider ist es nicht möglich, auf der Ebene der Gemeinde Urnen- und Briefwahlergebnisse zusammen auszuzählen und darzustellen“, schreibt die Landeswahlleitung in ihrem Antwortbrief an VG-Bürgermeister Güllering. Warum eigentlich nicht? Die Landeswahlleitung verweist in ihrer ausführlichen Antwort auf diese Nachfrage unserer Zeitung auf das Bundeswahlgesetz, das bei Bundestagswahlen vorschreibt, dass für jeden Wahlkreis ein Briefwahlergebnis ausgewiesen werden muss. Dies müssen die jeweiligen Kreiswahlleitungen gewährleisten – und Briefwahlvorstände für einzelne oder mehrere Gemeinden oder Landkreise oder gleich den ganzen Wahlkreis bilden. „In diesen Fällen haben wir die Kreiswahlleitungen gebeten, Ergebnisse auf Verbandsgemeindeebene zu ermöglichen“, heißt es aus dem Statistischen Landesamt, das für die Abwicklung der Wahlen zuständig ist.

Wolle man jedenfalls für jede Ortsgemeinde ein Briefwahlergebnis ermitteln, brauche es auch einen Briefwahlvorstand auf OG-Ebene – was zum hohen Personalaufwand führt, wie ihn Martin Groth aus der VG Rhein-Selz schildert. Flächendeckend sei das aber nicht umsetzbar, so die Landeswahlleitung. Nach ihrer Kenntnis liegt das Gesamtergebnis aus Brief- und Urnenwahl nur für rund 100 der 2260 verbandsangehörigen Gemeinden vor. Wollte man das nach der jetzigen Rechtslage auf alle OGs ausrollen, wären rund 1000 Briefwahlvorstände mehr erforderlich als derzeit – das wären zwischen 5000 und 9000 Personen mehr als am vergangenen Sonntag, an dem 45.000 Menschen im Einsatz waren.

In Rheinland-Pfalz werden Briefwahlstimmen zumeist nicht auf Ortsgemeinde-, sondern nur auf Verbandsgemeindeebene ausgezählt. Das sorgt mitunter für verwirrende Darstellungen der Ergebnisse.
Bernd Weißbrod. picture alliance/dpa

Hinzu kommt das Thema Wahlgeheimnis. Bei der Urnenwahl dürfen keine Urnen allein ausgezählt werden, die weniger als 30 Stimmzettel enthalten, bei der Briefwahl sollen auf einen Wahlvorstand mindestens 50 Wahlbriefe entfallen – in kleinen Gemeinden müssten also eventuell gemeinsame Bezirke mit Nachbardörfern gebildet werden.

Überhaupt – die Sache mit den Minigemeinden ... Dass das Thema der OG-Wahlergebnisse in Rheinland-Pfalz mal wieder aufkommt, liegt letztlich an der kleinteiligen Kommunalstruktur im Bundesland – Kritik daran wiederum hatte zuletzt ausgerechnet der noch bis Ende März amtierende Landeswahlleiter Marcel Hürter in seiner neuen Rolle als Präsident des Landesrechnungshofs geübt. Im Kommunalbericht 2024 hatte er einer Reform das Wort geredet, Unterstützung gab es aus der FDP. Rheinland-Pfalz leistet sich zig Ebenen, von der Ortsgemeinde über die VGs und die Landkreise bis zum Land.

In Hessen stellt sich die Frage gar nicht

Hessen beispielsweise hat eine andere Kommunalstruktur als Rheinland-Pfalz. „Es gibt keine Orts- und Verbandsgemeinden, daher stellen sich diese Fragen hier nicht“, erklärt ein Sprecher des Innenministeriums kurz und knapp. Und fügt an: „Die Wahlergebnisse in den 421 Städten und Gemeinden in Hessen werden jeweils aus den Urnen- und Briefwahlbezirken zusammengestellt. In kleineren Gemeinden gibt es gegebenenfalls nur einen Briefwahlbezirk.“ Kehrseite: Im Nachbarland kann man nicht ganz granular erfahren, wie die direkte Nachbarschaft gewählt hat. Aber das kann man mit der gegenwärtigen Praxis in Rheinland-Pfalz verlässlich eben auch nicht.

Es ist und bleibt eben ein Zwiespalt, solange sich die Vorgaben nicht ändern – worauf Landeswahlleitung und Innenministerium schon länger drängen, wie es im Antwortschreiben an Jens Güllering heißt. Auf unsere Nachfrage, ob es bis dahin nicht konsequenter sei, gar keine Ergebnisse mehr auf OG-Ebene auszuweisen, heißt es, man habe sich „in der Abwägung zwischen den bekannten Einschränkungen der Ergebnisdarstellung und dem Informationsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger für die Präsentation der Ergebnisse auf Gemeindeebene entschieden“. Die Landeswahlleitung verweist hier auf die begleitenden Erläuterungen, die transparent mitgegeben, aber nicht überall ausreichend berücksichtigt worden seien.

Und schließlich: Die Ergebnisse der einzelnen Stimmbezirke müssen letztlich ohnehin öffentlich verkündet werden – Grafik hin, Onlinetabelle her. Das Grundgesetz sähe schließlich die Öffentlichkeit der Wahl als einen der Wahlrechtsgrundsätze vor. Also: Besser alles veröffentlichen, was man veröffentlichen kann, so die Landeswahlleitung: „Ein Weniger an Information kann unseres Erachtens eher zur Delegitimierung führen.“

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