Der Kieler Krisenforscher Frank Roselieb hält den neu aufgestellten Katastrophenschutz des Mainzer Innenministers Michael Ebling (SPD) für unausgegoren. „Das ist alles andere als ein großer Wurf“, erklärt der Geschäftsführende Direktor des Krisennavigator auf Anfrage unserer Zeitung. Und schon gar kein „Novum für Flächenländer“, wie Ebling bei der Vorstellung seines Konzepts in Koblenz betont hatte. Dazu müsse er nur mal über den Rhein schauen. In Wiesbaden gebe es schon seit 2005 ein hochmodernes Krisenzentrum. „Warum der Innenminister in Rheinland-Pfalz erst im Spätsommer 2022 auf den Gedanken kam, sich damit zu beschäftigen, erschließt sich mir nicht“, sagt Roselieb.
Das ist alles andere als ein großer Wurf.
Der Kieler Krisenexperte Frank Roselieb zum neuen Katastrophenschutz des Landes.
Besonders irritiert hat den Krisenexperten, dass sich Ebling dazu entschieden hat, ausgerechnet die Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzakademie in Koblenz als Standort für die neuen operativ-taktischen Stabsräume für Großlagen auszuwählen. „Nichts gegen Koblenz: Als Ausweichquartier ist das prima“, betont er im Gespräch mit unserer Zeitung. „Aber als Hauptquartier?“ Normalerweise seien Krisenstäbe im Innenministerium angesiedelt. Dort stünden neben der erforderlichen Infrastruktur auch die wichtigsten Akteure und Verbände bereit.
Und jedes Bundesland benötige ohnehin zwingend ein 24/7-Lagezentrum bei der Polizei oder im Innenministerium. Dort liefen sämtliche Meldeketten zusammen. „Bildlich gesprochen, rufen die diensthabenden Beamten die Bildungsministerin nachts um 3 Uhr an und empfehlen schulfrei. Oder sie wecken den Landrat wegen einer Sturmflut mit dem Hinweis: eventuell Katastrophenalarm auslösen.“ Die Nachbarräume würden dann für den Krisenstab genutzt, wenn die Lage eskalieren sollte. „Warum man dafür in Rheinland-Pfalz erst 100 Kilometer nach Koblenz fahren muss, erschließt sich mir nicht.“ Zumal mit der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) ja bereits eine Alternative vorhanden sei.
Roselieb konstatiert dem neuen Mainzer Innenminister zwar, sich große Mühe zu geben. „Ebling kocht aber noch zu sehr im eigenen Saft“, sagt er. In der Präsentation seines neuen Katastrophenschutzkonzeptes sieht Frank Roselieb deshalb auch ein Stück weit Aktionismus. Nach dem Motto: „Ich brauche mal was Schönes für die Medien“, sagt der Kieler.
Fehlt die neuste Technologie?
Auch der Sicherheitsexperte Ralph Thiele aus Nickenich bei Andernach sieht beim neu aufgestellten Katastrophenschutz des Landes noch Luft nach oben. Sein Urteil: „Solide, aber es fehlt noch ein Schuss Innovation“, erklärt der Oberst a. D. auf Anfrage unserer Zeitung. Was Thiele beim neuen Konzept besonders vermisst, ist die neueste Technologie. Die digitalen Lagekarten in dem neuen Koblenzer Stabsraum beeindrucken den Experten dabei nicht sonderlich. „Ein guter erster Schritt, der aber auch noch zukunftsfähig gemacht werden muss.“ Die Landesregierung solle deshalb unbedingt Drohnen anschaffen, um etwa bei Flutkatastrophen oder Waldbränden Informationen aus erster Hand sammeln zu können.
Das Land zieht seine Lehren aus der Ahrflut. Dazu wird der Katastrophenschutz im Land neu aufgestellt. Und Koblenz spielt dabei eine entscheidende Rolle.Krisenmanagement mit Profis: Land koordiniert Gefahrenlagen künftig aus Koblenz
Drohnen bieten für Thiele vor allem zwei Vorteile. „Zum einen sind sie billig.“ Und: Drohnen könnten auch überall da eingesetzt werden, wo das Leben von Einsatzkräften gefährdet wäre. „Die fliegen auch durch Giftwolken hindurch und liefern trotzdem noch sehr gute Bilder“, erklärt der frühere Bundeswehroffizier. Konkret in der Flutnacht hätten sie seiner Ansicht nach einen weiteren Vorteil geboten: „Wenn jemand im Baum hängt oder auf dem Dach sitzt, können sie exakte Koordinaten liefern“, um Rettungsflüge zu koordinieren und zu den Opfern zu lotsen.
Kann künstliche Intelligenz helfen?
Für die Auswertung der Informationen fordert Thiele zudem den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Angesichts gigantischer Datenmengen sei das für Menschen oft kaum noch zu bewältigen. Selbst für Spezialisten im Krisenstab, der künftig bei Großlagen in der Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzakademie in Koblenz zusammengezogen wird. „Da kommen jetzt Profis ins Rennen.“ Das sei wichtig, um Großlagen beurteilen zu können. „Ich kenne keine Krise ohne Chaos“ – zumindest am Anfang. Bei der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) sieht er vor allem Verwaltungskompetenz. „Die Frage ist aber schon, ob man die ADD da in dieser Form braucht“, sagt Thiele.
Hessen ist Rheinland-Pfalz beim Katastrophenschutz voraus
Seit 2005 hat die hessische Landesregierung alle Fachleute an einen Tisch geholt, die zur Bewältigung von Krisen und Katastrophen mit einer landesweiten Bedeutung erforderlich sind. Dieses zentrale Krisenzentrum ist im Wiesbadener Innenministerium untergebracht und wurde für 2,3 Millionen Euro mit modernster Technik ausgestattet. Im zwölften Stock des Ministeriums stehen insgesamt 60 moderne Arbeitsplätze bereit, die rund um die Uhr ausschließlich vom Krisenstab genutzt werden. Die Mitarbeiter arbeiten im Drei-Schicht-Betrieb. Auf der politischen Leitungsebene arbeiten dabei die Staatssekretäre der Ministerien mit Fachleuten von Polizei, Brand- und Katastrophenschutz sowie der Pressearbeit zusammen. Den Vorsitz hat der hessische Innenminister, der bei Konflikten auch die letzte Entscheidung trifft. Hessen gilt mit seinem Großflughafen und als deutsche Bankenmetropole als besonders anfällig für potenzielle Angriffe, Krisen und Katastrophen. Quelle: Krisenmagazin