Mitten im Telefongespräch mit Christiane Müller ertönt im Hintergrund der Schulgong. „Große Pause“, sagt die Schulleiterin. 12 Uhr. Jetzt stürmen Kinder nach draußen. Vom Pausenhof erklingt ein wilder Sprachenmix. Die Grundschule Pfingstweide in Ludwigshafen ist multikulturell. In der Trabantenstadt mit ihren Hochsiedlungen unweit des Rheins leben Dutzende Nationen. Ein großer Teil der Kinder, die bei Christiane Müller von der ersten bis zur vierten Klasse unterrichtet werden, hat Migrationshintergrund.
Die Schulleiterin hat die konkreten Zahlen mit nur wenigen Klicks am Computer parat. Insgesamt 119 ihrer 295 Grundschüler sind Muslime. Die meisten davon Türken. Aber auch Syrier, Bosnier und Albaner. „Also rund 40 Prozent“, sagt die Rektorin. Für sie steht deshalb schon seit rund 20 Jahren Islamunterricht auf dem Stundenplan. „Bei uns ist das völlige Normalität“, sagt Christiane Müller. Ein Erfolgsmodell, sagt sie. „Ich hatte kürzlich einen türkischen Vater hier, der sich das auch für sich gewünscht hätte, als er noch zur Schule ging.“
Alle Lehrer sind selbst Muslime. „Einige sind ganz normale Grundschullehrer“, sagt die Rektorin. Viele lehren bereits Herkunftssprachenunterricht. „Das ist ganz bunt gemischt“, sagt sie. Gleich um die Ecke in Karlsruhe können sich die Pädagogen an der Hochschule fortbilden lassen. Die Islamlehrer werden dann meist an mehreren Schulen eingesetzt. „Der Unterricht erfolgt unter staatlicher Aufsicht – und in deutscher Sprache“, betont die Schulleiterin.

Wie muss man sich Islamunterricht denn konkret vorstellen? „Wir vermitteln die Grundlagen“, erklärt Christiane Müller. Also nicht etwa die Unterschiede zwischen Sunniten, Schiiten und Alawiten. Dafür seien die Kinder noch zu klein. Zudem hätten auch Muslime längst nicht alle die gleichen Voraussetzungen. „Es gibt viele Kinder, die in Religion gar nichts mitbringen“, sagt sie. Wie bei Katholiken und Protestanten auch. Die Jungs und Mädchen lernen etwa Suren im Koran. Auf Arabisch. Aber immer mit deutscher Übersetzung. Schon allein, weil etwa auch die meisten Türken es sonst nicht verstehen würden. Lernziel ist vor allem interkulturelle Kompetenz. Die Rektorin nennt ein Beispiel: „Jesus im Christentum und Jesus im Islam. Da gibt es ihn ja auch.“
Zudem besuchen christliche Kinder regelmäßig Moscheen, muslimische Kirchen. Die Kinder schlüpfen dann in die Rolle von Experten. Was ist denn eine Hostie? Und wann wird eigentlich Ramadan gefeiert? „Die Kinder können alle Fragen stellen“, betont Christiane Müller. Der Islamunterricht sei grundsätzlich auch offen für andere Religionen. Und für muslimische Kinder ist er nicht verpflichtend. Die Eltern können etwa auch Ethik wählen.
Die Grundschule Pfingstweide ist eine von 31 Modellprojekten in Rheinland-Pfalz, in der bereits Islamunterricht erteilt wird. Die meisten liegen rund um Ludwigshafen und in Mainz. Künftig soll das Fach auch auf alle anderen Schulen in Rheinland-Pfalz ausgedehnt werden. Möglicherweise schon ab dem kommenden Schuljahr, heißt es aus dem Mainzer Bildungsministerium. Voraussetzung dafür sei es, dass die Kernelemente des laufenden Modellprojekts für den Unterricht beibehalten werden, sagte Philipp Wilhelm, der in für Grundsatzfragen in Religion, Ethik und Philosophie verantwortlich ist.

Die Gespräche für einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht mit den beteiligten muslimischen Verbänden sollen zeitnah aufgenommen werden. Sollte es über die Inhalte der Lehrpläne keine schnelle Einigung geben, könnte es auch erst im übernächsten Schuljahr losgehen. „Ich bin zuversichtlich, dass wir gute und konstruktive Gespräche führen und gemeinsam mit unseren Vertragspartnern vorankommen werden“, erklärte Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). „Denn Rheinland-Pfalz hat seine Hausaufgaben gemacht.“
Die Mainzer Landesregierung hatte sich nach langen Verhandlungen im Dezember mit den vier islamischen Religionsgemeinschaften vertraglich auf Vereinbarungen zu Themen wie dem Religionsunterricht sowie den Umgang mit Feiertagen und Bestattungen geeinigt. Die beteiligten Verbände sind die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), die Schura Rheinland-Pfalz Landesverband der Muslime, der Landesverband islamischer Kulturzentren Rheinland-Pfalz (LVIKZ) und Ahmadiyya Muslim Jamaat.
Sicher ist bereits, dass an der Universität Koblenz ein Institut für Islamische Theologie aufgebaut werden soll, um die künftigen Religionslehrer auszubilden. Wann die ersten Studenten an den Start gehen, kann man bei der Uni Koblenz aber noch nicht sagen. Zunächst müssten die Studieninhalte erarbeitet werden, erklärt Uni-Sprecher Christoph Asche auf Anfrage unserer Zeitung. „Zum jetzigen Zeitpunkt können wir deshalb noch keine konkreten Angaben dazu machen, zu welchem Semester wir die Islamische Theologie in unser Studienangebot aufnehmen können.“ Bis dahin können muslimische Lehrkräfte die Unterrichtserlaubnis über einen Weiterbildungsstudiengang an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und am Pädagogischen Landesinstitut erwerben.

Der Bedarf an Lehrern dürfte hoch sein. Derzeit unterrichten laut Bildungsministerium an den 31 Modellschulen 26 Lehrkräfte 2423 muslimische Schüler. Zum Vergleich: Die Schulstatistik weist für das Schuljahr 2023/2024 fast 54.000 Schüler muslimischen Glaubens an allgemeinbildenden Schulen in Rheinland-Pfalz aus. Der Pressesprecher des Mainzer Bildungsministeriums nennt die Zahlen nur als grobe Einordnung. „Der genaue Bedarf kann im Moment noch nicht abgeschätzt werden“, sagt Ulrich Gerecke auf Anfrage unserer Zeitung.
Alle Lehrer, die islamischen Religionsunterricht erteilen, müssen Muslime sein. Zudem benötigen sie eine Bevollmächtigung der Verbände. „Die Voraussetzungen zur Erteilung der Idschaza werden von den den Vertragspartnern festgelegt“, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium. Denn: „Anders als ein religionskundlicher Unterricht vertritt der Religionsunterricht die Perspektive des jeweiligen Bekenntnisses.“
Sie haben sich in den Schlussprotokollen dazu bereit erklärt, inwiefern bestehende Lehrpläne in einem islamischen Religionsunterricht in ihrer religiösen Verantwortung Berücksichtigung finden.“
Bildungsministerium Mainz
Einen Entwurf für einen Lehrplan hat eine fachdidaktische Kommission bereits für die Modellschulen erarbeitet. Beteiligt waren neben Erziehungs-, Religions- und Islamwissenschaftlern auch Lehrkräfte. Jetzt kommen die muslimischen Verbände als Vertragspartner ins Spiel. „Sie haben sich in den Schlussprotokollen dazu bereit erklärt, inwiefern bestehende Lehrpläne in einem islamischen Religionsunterricht in ihrer religiösen Verantwortung Berücksichtigung finden“, heißt es dazu aus dem Bildungsministerium.
Im Vertrag, der seit 2012 verhandelt worden ist, wird klar betont, dass der islamische Religionsunterricht die Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft fördern soll. Dort heißt es unter anderem, „dass die Schule zur Anerkennung ethischer Normen, zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, zur Achtung vor der Überzeugung anderer und zum gewaltfreien Zusammenleben erzieht.“
Über zwölf Jahre wurde verhandelt
Erste Gespräche über einen Vertrag mit den muslimischen Verbänden haben dem Mainzer Wissenschaftsministerium zufolge 2012 begonnen. Nach dem Putschversuch in der Türkei 2016 seien die Gespräche einvernehmlich ausgesetzt und Zusatzgutachten erstellt worden, um die hinreichende Unabhängigkeit von Einflüssen Dritter auf die Landesverbände zu untersuchen. „Diese sind im Rahmen von Zielvereinbarungen erfüllt worden“, heißt es aus Mainz. Später kam den Vertragspartnern noch die Pandemie in die Quere. Mittlerweile haben alle Verbände ihre Beiträge eingereicht, die evaluiert worden sind. „Die Gutachter kamen zu einem positiven Ergebnis, sodass die Landesregierung die 2016 ausgesetzten Vertragsverhandlungen am 1. Juni 2023 wiederaufgenommen hatte, um die Zusammenarbeit mit den vier islamischen Religionsgemeinschaften auf eine vertragliche Grundlage zu stellen“, erklärt das Wissenschaftsministerium auf Anfrage unserer Zeitung. Diese Verhandlungen seien nun zum Abschluss gebracht worden. de