Rheinland-Pfalz
Kommentar zur Lage der Geburtskliniken in Rheinland-Pfalz: Geburt braucht überall die gleichen Chancen

Wie eine Gesellschaft mit Leben und Tod umgeht, sagt viel über ihren Zustand aus. Die Corona-Krise mit all ihren Verwerfungen bietet oft Anlass, über den Umgang mit dem Tod nachzudenken. Auch wenn dies zu Recht derzeit fast unsere ganze Aufmerksamkeit erhält, ist es gerade jetzt wichtig, sich auch dem Umgang unserer Gesellschaft mit neuem Leben zu widmen.

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Fast 800.000 Kinder erblicken jedes Jahr das Licht der Welt. Fast zwei Millionen Eltern, Mütter und Väter, und viele weitere Familienmitglieder sind betroffen – oft voller Glück, immer wieder aber auch erschüttert darüber, wie ökonomisiert und manchmal unwürdig Geburten in diesem reichen Land verlaufen.

Es stimmt nachdenklich, wenn Dr. Pia Müller von der Bundeselterninitiative Mother Hood sagt: „Die Corona-Krise zeigt, dass die Lobby für Eltern nicht sehr groß ist. 1,6 Millionen Wähler allein unter werdenden Eltern, das reicht wohl nicht.“ Eine bundesweite Recherche mehrerer Medien, an der sich auch unsere Zeitung beteiligt hat, zeigt: Die Lage der Geburtskliniken ist bedrohlich.

Es gibt zu wenige Hebammen, zu wenig Kinderärzte und immer weniger Geburtskliniken. Die Sterblichkeit von Neugeborenen ist in Deutschland höher als in vielen skandinavischen Ländern. Jedes zehnte Kind wird bei der Geburt von seiner Mutter getrennt und in eine andere Klinik gebracht, weil es nur dort ausreichend Hilfe erhält. In vielen Kliniken kommt mindestens jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt.

Welche Folgen all dies für die Seele, für die Gesundheit von Menschen hat, die erst am Beginn eines Lebens von im Schnitt 80 oder 90 Jahren stehen, lässt sich nur vermuten – von den Folgen für Mutter und Familie ganz zu schweigen. Ja, der Mensch ist anpassungs- und lernfähig, viele Kinder erleben später deutlich weniger Drama, als ihr Start ins Leben vermuten ließ.

Doch muss nicht jedes Kind an jedem Ort dieser Republik die gleichen Chancen auf einen bestmöglichen Start in ein hoffentlich langes Leben haben? Gerade bei der Geburt muss es gleichwertige Lebensverhältnisse geben. Was folgt daraus?

Zeit und Geld: Geburt ist nichts Grelles, Schnelles, wie es uns Hollywoodfilme weismachen wollen. Geburt braucht Zeit, Geduld, Dunkelheit, Achtsamkeit. Geburten dürfen deshalb nicht in das Korsett der Fallpauschalen gezwängt werden. Die Ökonomisierung der Geburtshilfe ist ein Frevel. Wer den Start ins Leben sicher machen will und überall gleiche Chancen geben möchte, muss die Geburt aus dem System der Fallpauschalen lösen. Stattdessen braucht es mehr Ärzte und vor allem Hebammen, die oft eine sehr intensive Beziehung zu den Eltern pflegen. Das heißt: mehr Geld, mehr Ausbildungsplätze.

Transparenz: Die Recherche zeigt, wie schwer es für Eltern ist, an gute Informationen über den Ort zu kommen, wo sie ihr Kind zur Welt bringen möchten. Manche Kliniken antworteten gar nicht, andere wollten nicht verraten, wie viele Hebammen sie haben. Dahinter steht oft die blanke Existenzangst von Kliniken. Denn wer Mängel oder Fehler zugibt, der könnte Geburten oder sogar eine Geburtshilfe verlieren – für viele das Aushängeschild. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Nur wer Transparenz schafft, kann besser werden und etwas verändern. Wir müssen reden – über den Tod und über das Leben.

E-Mail: christian.kunst@rhein-zeitung.net

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