Es ist schon erstaunlich, dass es erst einer Regierungskommission bedurfte, um die lange bekannten Leiden des seit Jahren schwer kranken Patienten Krankenhaus zu benennen: ein Finanzierungssystem, das Masse statt Klasse fördert, das Ärzte und Pflegekräfte in ein derart brutales Hamsterrad schickt, dass sie bis weit über ihre Grenzen schuften und schon lange vor Corona in Scharen aus dem Beruf geflohen sind, ein Fallpauschalensystem, das den Profit über das Patientenwohl stellt, und ja, das wie gemacht ist für die auf Profitabilität und Effizienz getrimmten privaten Klinikketten wie Asklepios, Helios und Sana.
Jedes System, jede Revolution entlässt eben ihre Kinder. Spätestens seit der Pandemie wissen wir, dass die Kliniken zwar der Kern eines Gesundheitssystems sind, um das uns die Welt beneidet, dass in ihnen aber – um im Bild zu bleiben – bösartige Tumore wachsen, an denen sie sterben werden, wenn nicht schnell gehandelt wird. Dass nun auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach diese schonungslose Diagnose öffentlich formuliert, ehrt ihn. Seinen Mut, sein wahres Können wird er aber erst beweisen, wenn auf seine Diagnose eine zeitnahe und wirkungsvolle Therapie folgt.
Langes Fingerhakeln mit den Landesregierungen
Doch genau daran mangelt es. Fünf Jahre soll der Reformprozess dauern. Reförmchen soll sich an Reförmchen reihen. Mal ganz abgesehen davon, dass es bis dahin eine Bundestagswahl inklusive Wahlkampf geben wird, braucht Lauterbach für seine „Revolution“ die Zustimmung der Bundesländer, die viel von ihrer Hoheit bei der Krankenhausplanung abgeben müssen. Wenn man bedenkt, dass viele Kliniken für Städte und Kreise ein Heiligtum sind, kann sich der Minister auf ein langes Fingerhakeln mit den Landesregierungen einstellen.
Denn natürlich wird es in teils völlig überversorgten Städten zu Klinikschließungen kommen müssen. Auf dem Land werden Krankenhäuser viele Behandlungen nicht mehr anbieten dürfen. Beides ist vernünftig, weil es dem Patientenwohl dient und die ohnehin enger geschnürten Geldbeutel von Beitrags- und Steuerzahlern schont. Doch dies den Bürgern zu vermitteln, wird eine Herkulesaufgabe, die man dem nicht gerade für seine gute Kommunikation bekannten Minister Lauterbach nicht unbedingt zutraut.
Lauterbach steht vor einem riesigen Dilemma
Eine weitere Frage, die Lauterbach mit seinem Fokus auf das Fallpauschalensystem unerwähnt lässt, betrifft die zweite Säule des Finanzierungssystems: Wer trägt künftig die Investitionskosten der Kliniken, die derzeit die Bundesländer übernehmen? Auch hier beklagen die Krankenhausträger seit Jahren eine Unterfinanzierung, die von den Landesregierungen bestritten wird. Dies wird ein weiteres Feld sein, bei dem Lauterbach die Unterstützung der Bundesländer braucht.
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Letztlich steht Lauterbach vor einem riesigen Dilemma: Er weiß, dass er für die Therapie des kranken Patienten Krankenhaus wegen der komplexen Verhandlungen mit Bundesländern, Kassen und niedergelassenen Ärzten Jahre brauchen wird. Doch weil alle seine Vorgänger im Amt trotz bekannter Diagnose nur am Patienten herumgedoktert haben, ist dieser jetzt so schwer krank, dass er auf der Intensivstation liegt. Dies wird die Bürger teuer zu stehen kommen. Daher wird Lauterbach ein Versprechen schnell einkassieren müssen: dass diese Reform keine zusätzlichen Kosten verursacht.
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