Die Koblenzerin Mareike Bernhard wird bald eine Verfassungsbeschwerde gegen die Klimapolitik und das überarbeitete Klimaschutzgesetz der Bundesregierung einlegen – gemeinsam mit drei weiteren Einzelklägern sowie dem Solarenergie-Förderverein Deutschland (SFV) und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der Vorwurf der Kläger: Die Ziele der deutschen Klimapolitik seien vor dem Hintergrund des 1,5-Grad-Ziels nicht ausreichend. Und: Die Maßnahmen im Klimaschutzgesetz reichten nicht einmal aus, um die selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Mit unserer Zeitung hat Bernhard – 35 Jahre alt, Assistenzärztin im Fachgebiet Innere Medizin und dreifache Mutter – über ihre Beweggründe gesprochen.
Frau Bernhard, was ist Ihre persönliche Motivation für die Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht?
In allererster Linie meine Kinder und die Ungerechtigkeit, die der Klimawandel mit sich bringt. Die Industrienationen haben den Klimawandel maßgeblich verursacht. Aus meiner Sicht werden die Maßnahmen, die getroffen werden müssten, nicht ehrlich kommuniziert und nicht umgesetzt. Die Folgen müssen hinterher von unseren Kindern getragen werden – und von Menschen, die in ärmeren Teilen der Welt wohnen. Dort werden die Menschen den Klimawandel mit voller Wucht spüren, oder sie tun es jetzt schon. Ich bin zum Teil in Tansania aufgewachsen und dort in den Kindergarten gegangen. Während meines Studiums war ich noch mal in Tansania, wo ich in Gastfamilien gelebt habe.
Ich habe dort viele Freunde und weiß, was es dort bedeutet, wenn ein Erdrutsch alles wegfegt. Da gibt es keine Regierung, die Hilfszahlungen macht. Wenn Flutkatastrophen wie im Ahrtal öfter kommen, wird vielleicht auch hierzulande irgendwann das Geld nicht mehr reichen, um immer wieder Hilfsleistungen zu zahlen. Und wenn Menschen aus Spanien kommen, weil es da vielleicht kein Trinkwasser mehr gibt – wie groß wird unsere Hilfsbereitschaft noch innerhalb der EU sein? Das sind die Ängste, die mich umtreiben.
Was sind die Kernpunkte, die Sie in Ihrer Verfassungsbeschwerde vorbringen?
Wir klagen gegen die Bundesregierung, ihre Ziele mit Blick aufs Klima und gegen das Klimaschutzgesetz. Unsere Klage beruht auf drei Säulen. Als erstes Problem führen wir die mangelhaften Klimaschutzziele in Deutschland an. Deutschland hat sich eigene Klimaschutzziele gesetzt, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Die Wissenschaft zeigt jedoch immer wieder, dass diese Ziele nicht ausreichen, um die 1,5-Grad-Grenze einzuhalten. Der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen hat zum Beispiel berechnet, dass Deutschland das faire Restbudget an CO2, das wir zur Wahrung des 1,5-Grad-Ziels emittieren dürfen, dieses Jahr aufgebraucht hat.
Als zweite Säule führen wir die mangelhaften Klimaschutzmaßnahmen der Bundesregierung auf. Diese reichen nicht einmal, um die ungenügenden deutschen Klimaschutzziele einzuhalten. Der dritte Argumentationsstrang bezieht sich auf die aktuelle Verwässerung des Klimaschutzgesetzes.
Als erstes Problem führen wir die mangelhaften Klimaschutzziele in Deutschland an.
Mareike Bernhard über den Inhalt der Klimaklage
Sie glauben, dass Deutschland die Klimaneutralität bis 2045 mit den aktuellen Maßnahmen nicht erreichen kann?
Genau, da ist uns eine zu große Unsicherheit drin. Wenn es richtig gut läuft und wir Glück haben, kann es funktionieren. Aber die Klimaschutznovelle, die jüngst in Kraft getreten ist, macht das noch mal unwahrscheinlicher. Die Neuerungen nehmen viel Druck aus den einzelnen Sektoren, also den verschiedenen Ministerien, raus, wenn es um das Erreichen der Klimaziele geht.
Sie spielen auf die Abschaffung der Sektorziele an. Während es bisher für verschiedene Sektoren wie Verkehr oder Gebäude jährliche Treibhausgas-Reduktionsziele gab, sieht die Gesetzesnovelle nun eine sektorübergreifende, mehrjährige Gesamtberechnung vor.
Genau. Diese Aufhebung der Sektorziele führt dazu, dass die einzelnen Sektoren ihre eigene Arbeit nicht mehr erledigen müssen. Wenn einer keine Ambitionen hat, in seinem Sektor CO2 einzusparen, müssen es die anderen umso mehr tun, damit die Gesamtbilanz passt. Wir müssen zuerst die ganzen einfachen Maßnahmen umsetzen, um vorwärtszukommen. Aber wenn einzelne Sektoren diese auf der Hand liegenden Dinge nicht umsetzen, sondern sich zurücklehnen können, dann macht es das für die anderen Sektoren umso schwieriger.
Hinzu kommt, dass der Zwang zur Nachbesserung viel später kommt als beim bisherigen Klimaschutzgesetz. Bislang war es so, dass ein Sofortprogramm geschrieben werden musste, wenn einzelne Sektoren ihre CO2-Ziele nicht erreicht haben. Durch die Novelle wird erst nachgesteuert, wenn sich zwei Jahre hintereinander zeigt, dass die Ziele wohl verfehlt werden. Die „taz“ hat online eine CO2-Uhr, die sich etwa auf den Bericht „Indicators of Global Climate Change“ und andere, aktuelle wissenschaftliche Daten stützt. Danach haben wir noch drei Jahre und etwa einen Monat Zeit, bis das weltweite CO2-Budget für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels aufgebraucht ist. Und dann wollen wir Fehler erst nach zwei Jahren korrigieren? Das muss schneller gehen.
Aber bei allem muss bedacht werden, dass zu wenig oder ineffizienter Klimaschutz den größten sozialen Sprengstoff mit sich bringt.
Mareike Bernhard zur Sozialverträglichkeit von Klimaschutzmaßnahmen
Die Bundesregierung schreibt zu der neuen sektorübergreifenden Regelung in einer Mitteilung: „Indem die Emissionen insbesondere dort gemindert werden, wo die größten Einsparpotentiale vorhanden sind, können die Klimaziele sozial gerecht und volkswirtschaftlich effizient erreicht werden.“ Was sagen Sie zu dieser Argumentation?
Die Bundesregierung macht es sich zu einfach, weil sie damit Bereiche aus der Verantwortung nimmt, bei denen es leicht möglich wäre, Treibhausgase einzusparen. Nach dem alten Gesetz hätte es für den Verkehrssektor ein Sofortprogramm geben müssen, weil hier Vorgaben nicht eingehalten wurden. Das hat Verkehrsminister Wissing aber abgelehnt. Dabei gibt es im Verkehrssektor relativ einfach umzusetzende Dinge, mit denen wir massiv CO2 sparen könnten – Stichwort Tempolimit. Aus meiner Sicht gibt es kein vernünftiges Argument dagegen.
Im Gegenteil, ein Tempolimit würde weniger CO2-Ausstoß bedeuten, einen besseren Verkehrsfluss und weniger Verkehrstote. Bei mir entsteht der Eindruck, dass das Gesetz auf das Verkehrsministerium zugeschnitten ist. Prinzipiell bin ich aber mit dem Satz der Bundesregierung einverstanden: Natürlich soll man zuerst da anfangen, einzusparen, wo es am leichtesten geht, weil es auch am sozialverträglichsten ist. Aber dann müssen das eben alle Sektoren tun. Aber bei allem muss bedacht werden, dass zu wenig oder ineffizienter Klimaschutz den größten sozialen Sprengstoff mit sich bringt. Reiche Menschen werden sich immer eine Klimaanlage oder enorm hohe Gaspreise leisten können – Arme nicht.
Erleben Sie als Ärztin, dass der Klimawandel bereits Auswirkungen auf unsere körperliche und geistige Gesundheit hat?
Ich bin Assistenzärztin für Innere Medizin. Den Klimawandel habe ich bei meiner Arbeit in den letzten Jahren auf jeden Fall gespürt. Durch die zunehmende Hitze im Sommer haben wir unglaublich volle Notaufnahmen. Der Grund: Die Menschen gehen weiter ihren Gewohnheiten nach. Sie sind es gewohnt, dass man im August den ganzen Tag wandern gehen kann. Aber das geht oft nicht mehr. Die Menschen kippen um.
Viele Ältere kommen auch zu uns in die Notaufnahme, weil sie über Tage hinweg zu wenig getrunken haben. Das kann Harnwegsinfekte zur Folge haben, oder der Blutdruck fällt unheimlich ab, was Stürze begünstigt. Und das Krankenhauspersonal selbst ist bei Hitze auch nicht so leistungsfähig. Auswirkungen auf das Gesundheitswesen haben natürlich auch Naturkatastrophen: In den Tagen und Wochen nach dem Ahrtalunglück hatten wir ein enorm hohes Patientenaufkommen, weil Praxen dort von der Flut zerstört worden sind. Und für die Betroffenen ziehen sich die psychischen Folgen solcher Katastrophen über Jahre.
Ich will dazu motivieren, sich für etwas einzusetzen. Dazu muss man nicht immer alles perfekt machen. Das tue ich auch nicht.
Mareike Bernhard will dazu motivieren, sich zu engagieren
Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Sie mit Ihrer Verfassungsbeschwerde Erfolg haben werden?
Ich bin sehr optimistisch. Der Solarenergie-Förderverein und der BUND haben bereits 2018 gemeinsam mit Einzelklägern eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Damals hatten wir bereits Erfolg. Das Verfassungsgericht hat das damalige Klimaschutzgesetz teils für verfassungswidrig erklärt. Im Urteil wurde festgestellt, dass die Klimaschutzmaßnahmen nicht ausreichen, um die Freiheit nachfolgender Generationen zu schützen. Dieses und andere Urteile zeigen, dass die Rechtsgrundlagen da sind, um Klimaschutz konsequent beschreiten zu müssen.
Was kann jeder Einzelne aus Ihrer Sicht gegen den Klimawandel tun?
Wir können die eigenen Prioritäten zurechtrücken, am besten bei jeder Entscheidung, die wir treffen. Es wären jedoch die Gesetze, die wirklich Änderungen herbeiführen. Also müssen wir Einzelnen dringend auf den Staat einwirken und uns beispielsweise an der Wahlurne fragen: Was ist uns wichtiger: der Klimaschutz oder die Einhaltung der Schuldenbremse um jeden Preis? Ist es uns wichtiger, einen zweiwöchigen All-inclusive-Urlaub in der Türkei zu machen – oder geht es uns eigentlich darum, als Familie eine gute Zeit miteinander zu verbringen? Und reicht da auch ein Urlaubsort, zu dem man nicht fliegen muss?
Ich will dazu motivieren, sich für etwas einzusetzen. Dazu muss man nicht immer alles perfekt machen. Das tue ich auch nicht. Nur weil man letztes Jahr in den Urlaub geflogen ist, heißt das nicht, dass man heute nicht auf eine Klimademo gehen darf.
Das Gespräch führte Cordula Sailer-Röttgers