Positives Gegenbeispiel ist das Katholische Klinikum Koblenz-Montabaur (KKM), das aus dem Brüderhaus und dem Marienhof Koblenz sowie dem Brüderkrankenhaus Montabaur besteht. Laut dem kaufmännischen Direktor Jérôme Korn-Fourcade hat der Klinikbereich 2018 einen Überschuss von 1,8 Millionen Euro erwirtschaftet, nach 1,7 Millionen Euro im Jahr 2017 und 1,5 Millionen Euro 2016. Es lohnt sich, das Beispiel des 667-Betten-Verbundkrankenhauses zu analysieren, weil sich daraus Erkenntnisse für die Krankenhauskrise gewinnen lassen.
Korn-Fourcade sieht die Lage nüchtern: „Wir gehen sehr demütig mit unseren positiven Zahlen um, weil wir von den Kollegen in Waldbreitbach und Dernbach wissen, wie schnell so etwas kippen kann. Der Druck ist groß. Wir haben in Rheinland-Pfalz an einigen Standorten einen immensen Investitionsstau. Und der potenziert sich mit den Anforderungen der Digitalisierung. Hinzu kommt der sich verschärfende Fachkräftemangel. Je ländlicher es wird, desto komplizierter wird es für einen Träger, ein Krankenhaus wirtschaftlich zu führen. Und je kleiner ein Haus ist, umso schwieriger ist es beispielsweise, den Weggang eines Arztes zu kompensieren.“
Selbst verschuldeter Exodus
Wer die jüngere Historie des KKM kennt, der weiß, dass man gerade in Koblenz bittere Erfahrungen mit einem selbst verschuldeten Exodus von Ärzten gesammelt hat. Den größten Aderlass musste das Klinikum zwischen 2011 und 2014 verkraften, als nach der Pensionierung des Chefkardiologen Prof. Dr. Matthias Manz unter dessen Nachfolger Prof. Dr. Bernhard Brehm viele Ärzte und Pflegekräfte der Kardiologie die Klinik verließen. Manz gilt als Doyen der Herzmedizin im nördlichen Rheinland-Pfalz. Viele seiner damaligen Oberärzte sind heute Chefkardiologen in Kliniken der Region. Zwei seiner Oberärzte hatte er vor seiner Pensionierung als seine Nachfolger in Stellung gebracht: Dr. Ralph Rüdelstein, bis vor Kurzem Chefarzt am Mayener Krankenhaus des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein (GKM), und Dr. Dietmar Burkhardt, heute Chefarzt am Evangelischen Stift, ebenfalls GKM. Doch die Geschäftsführung entschied sich für Brehm, einen Mann von außen.
Es folgte ein beispielloser Exodus von Spezialisten. Ohne einen kapitalträchtigen Träger wie die Barmherzigen Brüder Trier, sagen Kenner, hätte die Klinik diese Krise nicht so leicht weggesteckt und würde heute möglicherweise auch tiefrote Zahlen schreiben. Das unterstreicht der Fall der ViaSalus GmbH, deren Insolvenz auch durch den Weggang von Chefärzten verursacht wurde und wo nach dem Einstieg der Alexianer-Gruppe aus Münster Ruhe einkehrte.
Am KKM gelang dies erst durch die Neubesetzung des Chefarztpostens am Marienhof durch Dr. Felix Post im Jahr 2014. Einen ähnlichen Exodus erlebt gerade auch das GKM, das seinen Mayener Chefkardiologen Rüdelstein nach seiner Kündigung im Mai im August freistellte. Er wechselt ans St.-Nikolaus-Stiftshospital nach Andernach – mit vielen Ärzten und Pflegekräften.
Während das Mayener Klinikum auch wegen dieser Personalturbulenzen in eine Schieflage geraten ist, scheint man am KKM aus den Fehlern gelernt zu haben. 2016, als Experten schon vor der Krise warnten, viele Kliniken aber noch nicht reagierten, entwickelte die KKM-Leitung mit den Chefärzten eine Medizinstrategie, sagt Korn-Fourcade. „Ein wichtiger Grundsatz, den wir erarbeitet haben, ist, dass wir nicht in jedem Teich fischen wollen, sondern uns auf die Dinge konzentrieren, die wir gut können, und unsere Stärken ausbauen.“
Will heißen: Anders als etliche, auch kleine Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz konzentriert sich das KKM gerade in Koblenz, wo es mit Stift und Kemperhof sowie dem finanziell deutlich potenter aufgestellten Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZK) starke Konkurrenten gibt, auf bestimmte Eingriffe. Seit vielen Jahren sind das im Brüderhaus die Neurologie und das Bewegungszentrum sowie im Marienhof drei onkologische Zentren für Tumore im Bereich Kopf, Hals, Brust und Lunge sowie die Kardiologie. Dafür verzichtet man laut Korn-Fourcade auf OPs im Bereich der inneren Organe oder auf eine Urologie – die Belegabteilung am Brüderhaus wurde geschlossen. „Wir sind alle klug beraten, die Dinge zu tun, die wir gut können, und die Dinge, die wir nicht gut können, anderen zu überlassen oder hier Kooperationen einzugehen.“
So habe man zwar eine überregionale Schlaganfalleinheit, doch bei seltenen Hirnblutungen würden Patienten an die Neurochirurgie am Stift überwiesen. Bei Herzpatienten, die operiert werden müssen, kooperiert man mit der Herzchirurgie am BwZK und am Trierer Brüderkrankenhaus, das wie das KKM zu den Barmherzigen Brüdern Trier gehört. Und erst jüngst sind die Koblenzer bei der Behandlung von Herzklappenpatienten eine Kooperation mit der Unimedizin Mainz eingegangen.
Laut Korn-Fourcade ist diese Spezialisierung ein ganz wesentlicher Grund dafür, dass das KKM schwarze Zahlen schreibt. „Wir haben 2016 nach Antworten auf den Druck gesucht, der im System ist, und haben uns strategisch neu ausgerichtet.“ Mit Ausnahme von Gynäkologie, Geburtshilfe, Orthopädie und Kardiologie gebe es heute keine Doppelstrukturen mehr mit dem GKM. Eine solche Spezialisierung und Konzentration auf Zentren sei auch im Interesse der Patienten: „Je komplexer ein Eingriff ist, desto eher muss dieser in Zentren geschehen.“
In diesem Punkt teilt er auch die Sicht der umstrittenen Bertelsmann-Studie. „Die spannende Frage wird sein, wie sich die Landesregierung die Gesundheitsversorgung der Zukunft vorstellt. Erhalten wir 90 Klinikstandorte weiter am Leben und verteilen überall mit der Gießkanne ein bisschen Geld, wohlweislich, dass es nirgendwo reichen wird? Oder orientieren wir uns mithilfe der Mittel aus dem Krankenhausstrukturfonds nicht eher an Bayern und Baden-Württemberg? Dort wird die Krankenhausstruktur radikal umgebaut, indem kleine Standorte geschlossen und durch größere Neubauten ersetzt werden. Wenn alles wie jetzt bleibt, werden wir als Land abgehängt. In dieser Legislaturperiode können wir den Grundstein dafür legen, dies zu ändern. Ich glaube, dass man in Mainz die Zeichen der Zeit erkannt hat.“
Doch für ländliche Gebiete teilt Korn-Fourcade die Einschätzung der Bertelsmann Stiftung nicht, die von bundesweit derzeit 1400 Krankenhäusern nur noch 600 für erhaltenswert hält. Beispiel Westerwald: Das Dernbacher Krankenhaus und der geplante 120 Millionen Euro teure DRK-Neubau sind für das KKM natürlich Konkurrenz, aber: „Unser Haus kann mit seiner jetzigen Größe nicht den ganzen Westerwald versorgen. Hinzu kommt, dass die Fahrzeiten teilweise viel zu lang wären. Eine ganz zentrale Frage wird daher sein, wie wir dort künftig die Notfallversorgung organisieren.“ Auch deshalb gibt es erste Gespräche mit der neuen Geschäftsführung im ViaSalus-Krankenhaus in Dernbach, um sich besser abzustimmen.
Die Klinikwelt wird ambulanter
Doch dies allein wird aus seiner Sicht nicht reichen, um ländliche Krankenhäuser zu erhalten. „Ein großes Thema von kleinen Häusern ist, wie sie Fachkräfte in eine Region holen und dort binden können, zumal auch im niedergelassenen Bereich die Versorgung wegbricht. Daher müssen wir an den Krankenhäusern verstärkt ambulante Behandlungen ansiedeln. Denn nur die Kliniken werden künftig noch in der Lage sein, Fachärzte zu gewinnen.“ Deshalb baut das KKM am Montabaurer Brüderkrankenhaus derzeit ein Gesundheitszentrum mit mehreren Facharztpraxen. Insgesamt 27 kassenärztliche Facharztsitze hat das KKM selbst.
Diese Strategie hat auch ökonomische Gründe. Denn erstens gehen Experten davon aus, dass künftig 40 Prozent der derzeitigen Klinikbehandlungen ambulant erbracht werden (müssen). Und zweitens verwässern Patienten, die eigentlich ambulant behandelt werden können, aber stationär aufgenommen werden, die Klinikbilanzen, weil sich die Bezahlung auch nach dem Schweregrad der Fälle richtet. Zudem binden solche Patienten aus Kliniksicht unnötiges Personal, zumal sie oft relativ schnell wieder entlassen werden. „Das fährt die Pflege heiß“, drückt es Korn-Fourcade aus.
Solche „Fehlallokationen“, wie sie im Kliniksprech heißen, rufen zudem den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) auf den Plan. Auch das KKM hat hier Erfahrungen gemacht, selbst wenn diese nicht so extrem sind wie in den Loreley-Kliniken – mit Prüfquoten von bis zu 100 Prozent. Laut Korn-Fourcade liegt diese beim KKM bei 25 Prozent. „Jeder vierte Fall wird also erst einmal nicht vollständig bezahlt. Bis das Ergebnis der Prüfung feststeht und klar ist, ob das Geld fließt, können Monate vergehen; sollte es eine Klage geben, sogar Jahre. Was da mittlerweile angezweifelt wird, das nimmt schwierige Ausmaße an.“
Dann sind da noch die diversen Reformgesetze des Bundes. „Wir sind dazu gezwungen, uns jedes Jahr ein Stück weit neu zu erfinden. Und wir sind als Krankenhäuser nicht der Herr unserer eigenen Preise. Wenn in der Luftfahrtbranche das Kerosin teurer wird oder die Löhne für das Bordpersonal steigen, wird das Fliegen eben teurer. Wir haben alle zwei Jahre Tarifsteigerungen, die wir von den Kassen nicht ausreichend refinanziert bekommen.“ Im Gegenteil: Der Landesbasisfallwert, wichtige Grundlage bei der Berechnung von Klinikleistungen, sinkt bis 2021 auf ein niedrigeres Bundesniveau.
Zugleich fördert das Land Investitionen aus Sicht vieler Kliniken nur unzureichend – nur 50 Prozent seien durch Landesmittel gedeckt. Beim KKM waren es sogar noch weniger: Seit der Übernahme des Brüderkrankenhauses in Montabaur vor sieben Jahren wurden 50 Millionen Euro in die Klinik gesteckt, 32 Millionen aus Eigenmitteln. Daher ist das Bestreben von Kliniken wie dem KKM, Überschüsse zu erwirtschaften, kein Ausdruck von Profitgier. Es ist für Korn-Fourcade eine Frage des Überlebens. 2018 hat das KKM ein Ergebnis vor Abschreibungen, Steuern und Zinsen (Ebitda) in Höhe von 4 Prozent erreicht. Korn-Fourcade will es auf 5 Prozent steigern. Nur so, das weiß er, kann die Klinik auch künftig schwarze Zahlen schreiben und wird nicht zum Sorgenkind.