Kritik am Führungsduo
Kampfkandidatur bei den rheinland-pfälzischen Grünen
Beim Parteitag im Dezember müssen die rheinland-pfälzischen Grünen über den Landesvorsitz abstimmen.
Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Beim Parteitag der rheinland-pfälzischen Grünen in zweieinhalb Wochen in Idar-Oberstein wird es zu einer Kampfkandidatur kommen. Es gibt erhebliche Kritik an der Parteispitze und eine Kandidatin aus dem Kreis MYK, die den Führungsstil ändern möchte.

Seit März 2022 sind Natalie Cramme-Hill (Kreisverband Trier) und Paul Bunjes (Kreisverband Kaiserslautern) Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen Grünen. Beim Parteitag am 7. und 8. Dezember in Idar-Oberstein wollen sie sich als Führungsduo wiederwählen lassen. Doch ganz so einfach wird das nicht, weil es eine Kampfkandidatur geben wird: Rebecca Stallbaumer aus Urbar (Kreis Mayen-Koblenz) bewirbt sich ebenfalls als Landesvorsitzende – gegen Paul Bunjes. Das hat unsere Zeitung aus Parteikreisen erfahren.

Auf Anfrage unserer Zeitung bestätigt Rebecca Stallbaumer, dass sie ihre Kandidatur offiziell eingereicht hat. Für den sogenannten offenen Platz. Beim Vorsitzendenduo muss mindestens eine grüne Frau dabei sein, das sehen Parteileitlinien so vor. Die 44-jährige Stallbaumer ist seit 2023 Kreissprecherin der Grünen im Kreis Mayen-Koblenz und gilt in Parteikreisen als politisches Talent. Spricht man mit Grünen, fallen Worte wie „richtig klug“, „fachlich hoch geeignet“, „sehr strukturiert“, „gut im Organisationsaufbau“ und „kosmopolitische Pragmatikerin“. Wer ist diese Frau, die die rheinland-pfälzischen Grünen von sich überzeugen möchte?

Rebecca Stallbaumer (Mitte) war als Landesdelegierte beim Bundesparteitag der Grünen in Wiesbaden.
Ingrid Bäumler

Rebecca Stallbaumer ist in Düsseldorf geboren, hat aber viele Jahre ihrer Kindheit in Kamerun verbracht. Dort war ihr Vater in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit tätig. Als Jugendliche verbrachte sie ein Auslandsjahr in Mexiko, bevor sie Abitur an einem Internat im westfälischen Hamm machte und dann an der renommierten WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar internationale Betriebswirtschaftslehre studierte.

Nach ihrem Diplom 2002 arbeitete sie drei Jahre in München bei Siemens Mobile Phones, dann sieben Jahre in den Vereinigten Staaten, zunächst als Projektleiterin bei einer Unternehmensberatung in Texas, dann bei einem Institut für Entwicklungszusammenarbeit im Raum Washington DC. Nach einem Sabbatical kehrte Rebecca Stallbaumer zurück nach Deutschland, zurück an den Rhein und an die WHU. Dort unterstützte sie zunächst internationale Studierende bei der Karriereplanung in Deutschland. Heute entwickelt sie Ansätze, um Nachhaltigkeitsmanagement und Diversitätsfragen in der Strategie und Ausbildung der Hochschule zu verankern.

„Ich habe viele verschiedene politische Systeme erlebt“, sagt sie über ihren Lebenslauf. „Das hat mich sehr geprägt.“ Und es hat sie schließlich zu den Grünen geführt. 2013 ist sie in die Partei eingetreten – überzeugt von den großen Leitlinien grüner Politik bei Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit sowie einer offenen und vielfältigen Demokratie.

Sie sagt auch – und da spricht die Pragmatikerin aus ihr: „Wir erleben, wenn man beispielsweise Bahn fährt, wenn man sich eine durchschnittliche deutsche Brücke anschaut oder versucht, in der Verwaltung etwas auf digitalem Wege zu erledigen, was passiert, wenn langfristige Transformationsthemen immer weiter aufgeschoben werden: Die Probleme werden größer und schwerer zu lösen.“

Natalie Cramme-Hill ist seit März 2022 Landesvorsitzende der rheinland-pfälzischen Grünen - gemeinsam mit Paul Bunjes.
Harald Tittel/dpa

Dass die Landespartei schlagkräftiger an der Spitze werden muss, sehen zumindest grüne Kreisverbände im nördlichen Rheinland-Pfalz so. Der Landesvorstand müsse in der Öffentlichkeit mehr wahrgenommen werden, sagen einige. Andere wünschen sich mehr Aufmerksamkeit für die Probleme im ländlichen Raum. Rebecca Stallbaumer sagt: „Ich sehe Verbesserungspotenzial. Wir könnten sichtbarer und wirkungsvoller sein.“ Deshalb wolle sie den Delegierten im Dezember ein Angebot machen: „Wahlen haben auch mit Auswahl zu tun.“ Immerhin vertrete sie den fünftgrößten grünen Kreisverband in Rheinland-Pfalz.

Und auch aus diesem Kreisverband gibt es Kritik an der Führungsspitze in Mainz: Der Landesvorstand sei kein Gegenpol zur Landtagsfraktion in Mainz, sagen einige. Er werde deshalb auch nicht wahrgenommen. Vor allem Paul Bunjes sei blass.

Wo die Knackpunkte sind

Aber auch außerhalb des Kreises Mayen-Koblenz gibt es Unzufriedenheit mit dem amtierenden Vorsitzendenduo, die Kritik bleibt dabei eher an Bunjes hängen. Immer wieder werden die innerparteiliche Kommunikation und eine Organisationsschwäche, mitunter auch Führungsschwäche, kritisiert. Kreisvorstände wünschten sich eine zeitnahe und umfassende Information des Landesvorstands zu aktuellen Entwicklungen, wünschten sich, dass die Landesvorsitzenden nah bei den Mitgliedern und den Problemen vor Ort im Land sind, heißt es. Ob da ein Newsletter und eine Videokonferenz pro Monat in diesen politisch turbulenten Zeiten ausreichen?

Giuseppe Guzzo, Sprecher der Grünen Jugend in Rheinland-Pfalz, kommt zu einer anderen Einschätzung: Paul Bunjes sei für die Jugendorganisation ein gut erreichbarer Ansprechpartner. Der Westerwälder sagt sogar: „Der Kontakt der Grünen Jugend zum Landesvorstand war nie besser.“ Letztlich würden die Delegierten auf dem Parteitag Anfang Dezember entscheiden, wen sie als Vorsitzende haben möchten.

Ex-Landtagsfraktionsvorsitzender und Landtagsabgeordneter Bernhard Braun – wie Bunjes aus der Pfalz – sagt unserer Zeitung: „Ich bin fest davon überzeugt, dass der Landesvorstand gute Arbeit macht und eine breite Unterstützung in der Partei hat.“

Der rheinland-pfälzische Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Paul Bunjes, bekommt Konkurrenz.
Harald Tittel/dpa

Wer hat also die besseren Chancen, sich bei einer Kampfkandidatur in Idar-Oberstein durchzusetzen? Amtsinhaber Bunjes oder Newcomerin Stallbaumer? Viele Grüne, die unsere Zeitung kontaktiert, halten sich mit einer Prognose zurück. Mehrere Gesprächspartner verweisen allerdings auf einen gewissen Amtsinhaber-Bonus, den offensichtlich nicht nur amtierende Regierungschefs, sondern auch Grüne-Landesvorsitzende genießen. Cramme-Hill und Bunjes seien in der Partei im Land bekannt, Stallbaumer hingegen nicht. Manch Grüner kennt bei einem Anruf nicht mal den Namen der 44-Jährigen.

So mancher verweist auch darauf, dass es ein Wagnis sein könnte, ein paar Wochen vor der Bundestagswahl und weniger als anderthalb Jahre vor der Landtagswahl das Führungsduo auszutauschen. Eine Ansprechpartnerin erklärt: „Normalerweise müsste Paul Bunjes das Rennen gewinnen.“ Fest steht: Die Kandidatur bringt viel Unruhe in die Partei, die schon bessere Zeiten erlebte. Hinzu kommt: Mindestens für die ersten beiden Plätze der Grünen-Bundestagsliste wird es Kampfkandidaturen geben. Also weitere Unruhe.

Bunjes gibt sich gelassen

Und wie sieht Bunjes selbst seine Chancen? Wie äußert er sich zur Bewerbung von Stallbaumer? Gegenüber unserer Zeitung sagt der Parteichef: „Es ist gelebte Praxis bei den Grünen, dass sich Mitglieder gegen Amtsinhaber bewerben und somit ein Angebot machen. Ich sehe die Kandidatur von Rebecca Stallbaumer sehr gelassen. Wir haben als Landesvorstand gut gearbeitet, und ich gehe selbstbewusst in die Wahl.“

Am Führungsduo gebe es immer wieder „konstruktive Kritik“, mit der man umgehe. „Aber es gab keine Kritik, die mich hätte erahnen lassen, dass es zu einer dritten Kandidatur kommen wird“, erklärt der Pfälzer.

„Als Grüne insgesamt müssen wir vermitteln, wie unsere Politik das Leben im ländlichen Raum spürbar verbessert. Ich bin überzeugt, dass starke rheinland-pfälzische Grüne hier entscheidende Impulse für die Gesamtpartei liefern können.“
Rebecca Stallbaumer, Vorsitzende des Grünen-Kreisverbands Mayen-Koblenz und Kandidatin für den Landesvorsitz

„Wir müssen uns viel aufmerksamer mit den konkreten Sorgen der Menschen beschäftigen“, fordert Rebecca Stallbaumer. Und: „Als Grüne insgesamt müssen wir vermitteln, wie unsere Politik das Leben im ländlichen Raum spürbar verbessert. Ich bin überzeugt, dass starke rheinland-pfälzische Grüne hier entscheidende Impulse für die Gesamtpartei liefern können.“ Man müsse außerdem „wieder in einen Modus kommen, wo wir zumindest Zuversicht, wenn nicht Freude an der Veränderung vermitteln“. Von der Freude an der Veränderung will sie im Dezember die Landesdelegierten in Idar-Oberstein überzeugen.

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