In Neuwied und Mainz beschaffen Ärzte Impfdosen für ältere Jugendliche - Das ist zwar legal, doch es gibt Kritik an diesem Vorgehen
Jetzt wird auch an Schulen geimpft: In Neuwied und Mainz beschaffen Ärzte Impfdosen für ältere Jugendliche
Am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Neuwied konnten sich Schülerinnen und Schüler aus dem ganzen Kreis am Freitag impfen lassen. 400 nahmen das Angebot eines Arztes aus der Region an. Foto: Markus Killian

Rheinland-Pfalz. Rund 400 volljährige Schüler aus dem Kreis Neuwied haben sich am Freitagnachmittag in der Turnhalle am Werner-Heisenberg-Gymnasium (WHG) in Neuwied gegen das Coronavirus impfen lassen. Der Neuwieder Arzt Dr. Marcus Ackermann hatte die Impfaktion in Abstimmung mit den Behörden organisiert, da er insgesamt noch gut 2000 Dosen Astrazeneca und Johnson & Johnson vorrätig gehabt habe, wie er im Gespräch mit unserer Zeitung schildert. „Ich nehme niemandem etwas weg“, sagt er. Den Patienten in seiner Datenbank habe er bereits ein Impfangebot gemacht. Dem Mediziner zufolge wollten sich allerdings viele nicht mit den Vakzinen der beiden Hersteller impfen lassen. „Die Impfstoffe sind jetzt frei verfügbar“, erklärt er. Da sein besonderes Interesse der Schule gelte – Ackermann gehört zur Elternschaft des Werner-Heisenberg-Gymnasiums –, wolle er den jüngstmöglichen Impfwilligen ein Angebot machen.

Am Werner-Heisenberg-Gymnasium in Neuwied konnten sich Schülerinnen und Schüler aus dem ganzen Kreis am Freitag impfen lassen. 400 nahmen das Angebot eines Arztes aus der Region an. Foto: Markus Killian

Aufklärung ist Pflicht

Die ständige Vertretung der Schulleitung am WHG, Christine Osenberg, macht deutlich: „Das ist keine schulische Veranstaltung.“ Die Kreisverwaltung habe die Turnhalle dem Arzt und seinen Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Sämtliche Schulen im Kreis Neuwied und deren volljährige Schüler seien angesprochen worden. In einer verpflichtenden Aufklärungsveranstaltung am Donnerstagabend konnten die jungen Männer und Frauen zuvor Fragen zur Impfung stellen.

Auch Niclas Eckstein hat an dem Informationsabend teilgenommen. „Ich gehe mit einem guten Gefühl rein“, erzählt der 18-jährige Berufsschüler, während er in der Schlange vor der Turnhalle wartet. Wie alle Schüler und das Personal hat auch er zuvor einen Test gemacht. „Ich freue mich schon seit Längerem auf die Impfung. Und dann kam plötzlich die Nachricht.“

Bereits zu Wochenbeginn hatte es eine Impfaktion an einem Mainzer Gymnasium gegeben, die einen Sturm der Entrüstung ausgelöst hatte. Ärzte aus der Elternschaft des Theresianums, einer Privatschule in Trägerschaft des Bistums Mainz, hatten 180 Dosen des Biontech-Impfstoffs besorgt. Laut SWR handelte es sich dabei um Ärzte, die in ihren eigenen Praxen nicht impfen. Auch Arztpraxen, die aus organisatorischen Gründen selbst nicht impfen können oder wollen, dürfen Impfstoff bestellen und ihn anderenorts verimpfen lassen.

150 aktuelle und ehemalige Schülerinnen und Schüler haben sich daraufhin angemeldet. Sie alle sind älter als 16 Jahre. Anders als in Neuwied stand die Aktion Schülerinnen und Schülern anderer Schulen zunächst nicht offen, Schulleiter Stefan Caspari sagte gegenüber dem SWR aber, die Aktion sei durchaus als „Pilotprojekt“ gedacht gewesen. Kolleginnen und Kollegen aus dem Raum Rheinhessen seien eingeladen worden, sich die Abläufe anzuschauen. „Ich muss mir hier nicht vorwerfen lassen, dass wir nur an uns denken. Wir denken an das Gesamtsystem“, sagte Caspari dem Sender.

Auch das Mainzer Bistum verteidigte die Aktion. „Das Impfangebot am Theresianum versteht sich als Zeichen dafür, dass auch junge Menschen, die von den Lockdown-Maßnahmen besonders getroffen wurden, das Recht haben, nicht als Letzte geimpft zu werden“, hieß es in einer Stellungnahme. Kirchenmittel seien dafür nicht geflossen.

Heftige Kritik daran, dass an der Schule mutmaßlich fitte 16-, 17- oder 18-Jährige geimpft werden, gab es dagegen von der Landesärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). „Wir sehen die Impfaktion am Theresianum ausgesprochen kritisch und halten sie zum jetzigen Zeitpunkt für nicht angemessen. Landesweit warten noch Hunderttausende aus den Priorisierungsgruppen 2 und 3 auf ihre Impfung“, sagte der Präsident der Landesärztekammer, Günther Matheis. Die KV verwies in einer Stellungnahme auf die „noch immer ausgeprägte Mangelsituation in Arztpraxen“. Impfstoff, der bei Personen mit geringem Krankheitsrisiko zum Einsatz gebracht würde, erhöhe die Wartezeiten für Risikopatienten.

Auf deutliche Distanz zu der Aktion an dem Mainzer Gymnasium ging auch das Landesgesundheitsministerium. „Seit Beginn der Impfkampagne gilt leider bis heute: Der Impfstoff ist Mangelware“, erklärte Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD). Deswegen sei es weiterhin richtig, dass zuerst Menschen mit hohem Ansteckungsrisiko oder erhöhter Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs geimpft werden. Im Sinne der Gerechtigkeit sei es selbstverständlich, dass zuerst die Menschen der festgelegten Priorisierungsgruppen zum Zug kämen. Das Land werde in seinen Impfzentren an diesem Prinzip daher vorerst festhalten.

Aktionen unsolidarisch?

Aktionen wie die im Mainzer Theresianum könnten „schlimmstenfalls zur Folge haben, dass das nötige Vertrauen und die Akzeptanz für die Impfkampagne sinken“. Dies müsse dringend verhindert werden. Den Minister hatten nach eigenen Angaben Rückmeldungen vieler Bürgerinnen und Bürger erreicht, die kein Verständnis für die schnelle Impfung der Schülerinnen und Schüler gezeigt hätten. Für die Entscheidung, die Priorisierung bei den Coronavirus-Impfungen bereits jetzt aufzuheben, sei allerdings das Bundesgesundheitsministerium verantwortlich.

In sozialen Netzwerken wurde die Initiative ebenfalls kontrovers diskutiert. „Unsolidarisch, unverantwortlich“, kommentierte der rheinland-pfälzische DGB-Landeschef Dietmar Muscheid auf Facebook. „Den Ärzten müsste man die Zulassung entziehen.“

Markus Killian/Angela Kauer-Schöneich/dpa/epd

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