Rheinland-Pfalz
Ist der Nürburgring nur noch 77 Millionen Euro wert?
Formel 1-Training am Nürburgring
Wie geht es mit dem Nürburgring weiter? Foto: Roland Weihrauch/Archiv
DPA

Rheinland-Pfalz - Ist der mit mindestens 330 Millionen Euro Steuergeld ausgebaute Nürburgring nur noch rund rund 77 Millionen Euro wert? Der Vorsitzende Richter Winfried Hetger mag beim Aktenstudium für den Nürburgring-Prozess gegen den früheren Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) und den früheren Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz (SPD) gestutzt haben.

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Rheinland-Pfalz – Ist der mit mindestens 330 Millionen Euro Steuergeld ausgebaute Nürburgring nur noch rund rund 77 Millionen Euro wert? Der Vorsitzende Richter Winfried Hetger mag beim Aktenstudium für den Nürburgring-Prozess gegen den früheren Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) und den früheren Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz (SPD) gestutzt haben.

Von unserer Redakteurin Ursula Samary

Aber diesen Verkehrswert hat der weltweit agierende Immobilienspezialist Jones Lang LaSalle schwarz auf weiß für den derzeit laufenden Verkaufsprozess ermittelt, wie der im Insolvenzverfahren tätige Sachwalter Jens Lieser (Koblenz) als Zeuge in dem Untreueverfahren vor Gericht bestätigte.

Das wertvollste ist die Rennstrecke

Dabei stellt die legendäre Rennstrecke mit Tribünen und Boxen mit 53,9 Millionen Euro eindeutig den größten Wert dar. Der an die Rückseite der Tribüne angebaute gigantisch (leere) Boulevard, der Freizeitpark (mit nicht laufender Achterbahn) oder die heute schwer nutzbare Arena steigern den Wert kaum – mit ihnen hat die Rennstrecke einen Verkehrswert von 59,95 Millionen Euro.

Die Projekte des klammen Investors Kai Richter ließ Deubel über die Förderbank des Landes (ISB) mit 85,5 Millionen Euro an stillen Anlagen stützen, abgesichert mit 100-prozentiger Landesbürgschaft. Der Erfolg? Das Lindner Hotel kommt auf einen Verkehrswert von 10,22 Millionen Euro, das Dreisternehotel, das Gastronomiedorf „Grüne Hölle“, das Feriendorf und das Personalhaus zusammen noch auf ganze 6,91 Millionen Euro.

Allerdings betonte Lieser, dass die Datenbasis für die Gutachten im Herbst 2012 teils nur rudimentär war, weil die gekündigten Pächter Jörg Lindner und Kai Richter nur widerwillig Zahlen offenlegten. Die genauen Umsätze liegen Lieser erst seit dem Vergleich vor. Außerdem werde das Dorf „Grüne Hölle“, das vom Schimmel befallen war, inzwischen saniert.

Sachverwalter Lieser: Wert inklusive „Mythos“ oder Markenrechte schwer kalkulierbar

Hetger will natürlich wissen, mit welchem Verkaufserlös Lieser denn rechnet. Da legt sich der Insolvenzprofi bei „dieser Spezialimmobilie“ auf keine Prognose fest, zumal der mit der Rennstrecke verbundene „Mythos“ oder Markenrechte schwer kalkulierbar seien. Aber er hofft, dass die „vorsichtige Schätzung“ von 77 Millionen Euro nur die untere Grenze markiert und sich ein höherer Preis erzielen lässt.

Bei Nachfragen zum wahren Wert bei erfolgreichen Formel-1-Rennen in Serie warnte Lieser vor übertriebenen Hoffnungen. Diese Rennen, die in die Region großen Umsatz bringen und volkswirtschaftlich wichtig sind, sind betriebswirtschaftlich defizitär. Der Nürburgring sei auf die Formel 1 weniger angewiesen als andere Rennstrecken, weil er für Touristen- und Testfahrten noch die weltweit bekannte Nordschleife zu bieten habe.

Was Lieser nicht sagte: Kenner gehen davon aus, dass bei langfristigen Verträgen und ohne ständige Negativschlagzeilen am Ring an die 10 Millionen Euro zu verdienen sind. Die nahezu landeseigene und heute insolvente Nürburgring GmbH hatte dagegen ständig Verluste eingefahren. Das Kalkül der früheren SPD-Landesregierung, mit dem 330 Millionen Euro teuren Ausbau dies zu ändern, ging gründlich schief.

Zwischenkredit wurde von Nassauischer Sparkasse abgelehnt – Konzept zu „undurchsichtig“

Ebenso die private Finanzierung über ein Lebensversicherungsmodell: Das Konzept war der Nassauischen Sparkasse in Wiesbaden so „undurchsichtig“, dass sie – trotz 100-prozentiger Haftungsfreistellung durch die rheinland-pfälzische Förderbank – nicht bereit war, einen Zwischenkredit von 59 Millionen Euro zu gewähren. Dies sagte eine Bankkauffrau vor Gericht aus. Zudem hatte sie von dem Finanzermittler des Landes, Michael Merten, „keinen guten Eindruck“. Er sei wichtige Informationen schuldig geblieben. „Aber wir möchten wissen, was wir finanzieren“, sagte die Zeugin, die in der Eifel ein reines „Prestigeprojekt“ vermutete.

Ihr Eindruck passt zum Bild, das ein Vertreter von der Anwaltssozietät Clifford Chance auch von dem Schweizer Urs Barandun hatte, der keinen Investor, sondern nur einen falschen Millionär präsentierte. Nach seiner Erfahrung wirkte der, wie der Zeuge meinte, „ungewöhnlich“.

Bevor die Zeugen kamen, gab es eine Antragsflut der Angeklagten in dem Prozess, der wegen Krankheit eines Richters für Wochen unterbrochen war. Die Anwälte von Deubel und Kafitz bestehen darauf, dass die Staatsanwaltschaft Koblenz ihnen alle beschlagnahmten Daten, darunter allein gut 25 000 E-Mails, kopiert. Während die Ankläger ständig bei der Polizei auf die Daten zugreifen könnten, wisse die Verteidigung nicht, was ihnen eigentlich alles noch vorenthalten wird. Sie pochen auf Waffengleichheit.

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