Verurteilte Lisa R. sagt im Prozess gegen die angeklagte Sahra B. aus - Beide reisten von Idar-Oberstein zur Terrororganisation aus
IS-Rückkehrerinnen sehen sich im Gerichtssaal wieder: Verurteilte Lisa R. sagt gegen angeklagte Sahra B. aus
Lisa R. schützte sich während des Prozesses mit Kapuze vor den Fotografen. Foto: Thomas Frey/dpa
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IS-Rückkehrerin Lisa R. (31) steht wieder vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz – dort, wo sie Anfang März 2021 unter Freudentränen zu einer auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzten zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Damals konnte Lisa R. nach mehr als einem Jahr Untersuchungshaft die Zelle sofort verlassen. Jetzt ist die Frau mit ihren offenen langen Haaren aufgeregt, wie sie sagt. Denn sie sieht nach Jahren Sahra B. wieder, mit der sie im September 2014 von Idar-Oberstein nach Syrien zur Terrororganisation Islamischer Staat (IS) ausgereist war.

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Lisa R. schützte sich während des Prozesses mit Kapuze vor den Fotografen. Foto: Thomas Frey/dpa
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Mit freundlichem Lächeln und zaghaftem Winken begrüßen sich beide. Wie Lisa R. muss sich nun auch die geständige Sahra B. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verantworten. Sie war mit damals 19 Jahren ihrem Bruder, dem islamistischen Fanatiker Sadiq, gefolgt, mit dem Lisa R. nach islamischem Recht verheiratet war und der wenige Monate nach der Ankunft in Syrien als IS-Kämpfer starb. Zur Gruppe gehörte auch die damals 15-jährige Schwester, die sich noch in Syrien aufhalten soll.

Sie kennen den Saal. Aber Ihre Rolle ist heute eine andere.

Vorsitzender des Staatsschutzsenats, Thomas Bergmann, zu Lisa R.

„Sie kennen den Saal. Aber Ihre Rolle ist heute eine andere“, belehrt der Vorsitzende des Staatsschutzsenats, Thomas Bergmann, die besondere Zeugin. „Angeklagte dürfen lügen“, Zeugen aber nicht. Da sie nicht nach deutschem Recht mit dem Deutsch-Somalier verheiratet war, hat sie auch kein Zeugnisverweigerungsrecht.

Der Richter will wissen, wie es ihr nach dem Urteil ergangen ist. Sie habe eine Wohnung in Frankfurt gefunden im Umfeld ihrer Stiefmutter, die sie auch nach Koblenz begleitet. Sie arbeite auch wieder im sozialen Bereich. Aber: Die im Januar 2020 aus türkischer Haft abgeschobene Frau kämpft noch immer um das Sorgerecht für ihre Kinder, einen Sohn (7) und die Zwillingsmädchen (4).

Vom Land des Unglaubens ins Paradies

Lisa R. schildert dem Gericht, dass die Gruppe, stets gedrängt von Sadiq, 2014 überzeugt war, „das Land des Unglaubens verlassen“ zu müssen, um dort, wo der IS sein „Kalifat“ ausgerufen hatte, „ins Paradies zu kommen“. Für die Ausreise per Last-minute-Flug in die Türkei habe man sich gut vorbereitet bewusst Tage ausgesucht, an denen Sadiqs Vater bei einer Hochzeit in Dänemark war. Geschleust von IS-Schergen, seien alle ganz euphorisch gewesen, als sie durch ein Loch im Grenzzaun Syrien erreichten. Und in der Stadt Raqqa sei die Front weit weg gewesen.

„Es gab alles, auch tolle Kleider.“ Rückblickend, ohne die rosarote Brille von damals, stellt Lisa R. fest: Es sei gut gewesen, dass die Gruppe nicht aufgehalten wurde und daher später die „Realität gesehen“ hat. Diese Erfahrung habe Verblendung „aus dem Gehirn gewaschen“. Warum habe man sich nach erstem Zögern doch dem IS angeschlossen, der mit mittelalterlichem Weltbild Menschen ermordet, hinrichtet, schächtet? Bei der Frage von Christopher do Paço Quesado, Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, bereut Lisa R. heute „dumme Schlussfolgerungen“. Von grausamen Enthauptungen, die vor ihrer Ausreise verübt wurden, will sie nichts gewusst haben.

Nur noch raus aus dem Kalifat

Lisa R. hat mit Sahra B. einen Schariakurs besucht, den die Angeklagte aber abgebrochen habe. Sie könne sich nicht erinnern, dass Sahra B. eine Kalaschnikow AK-47 besessen habe. „Eine Waffe lag da nicht herum.“ Sahra B. ist auch wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz angeklagt. Aber die Frauen, die seit 2015 als Witwen vom IS alimentiert und mit weiteren Männern verheiratet wurden, haben auch nicht immer nahe beieinander gewohnt. Im Sommer 2018 will Lisa R., die erst mit ihrem vierten Mann Fluchtpläne schmiedete, Sahra B. zuletzt gesehen haben. Danach landeten die Frauen, festgenommen von Kurden, in verschiedenen Gefangenenlagern.

Zum Abschluss wird beiden ein persönliches Gespräch im Saal erlaubt. Dabei eint: Die 2014 noch glühenden Anhängerinnen der sogenannten „Gotteskrieger“ wollten am Ende „nur noch raus“ – aus dem ersehnten „Kalifat“, brutalen Kriegswirren und elenden Lagern.

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