Die erste Auflage des Vorsitzenden Richters Thomas Bergmann erfüllt die IS-Rückkehrerin Sahra B. glücklich und mit strahlendem Lächeln: Sie muss nach dem Urteil, das eine zweijährige Jugendstrafe auf Bewährung verhängt, selbst die Fahrt vom Oberlandesgericht (OLG) Koblenz zum Gefängnis organisieren, um ihre Sachen aus ihrer U-Haftzelle abzuholen. Denn der Haftbefehl wird sofort aufgehoben. Ihre Geschwister aus Idar-Oberstein haben dies im Saal sehnlichst erwartet. Sie schließen sie nach Jahren erleichtert in die Arme, fahren auch gern den Umweg, um die 27-Jährige „nach Hause zu holen“.
Der Staatsschutzsenat hat die Mutter einer achtjährigen Tochter wegen ihrer langjährigen Mitgliedschaft in der besonders brutalen Terrororganisation Islamischer Staat (IS) verurteilt, der auch viele tödliche Anschläge in Europa verübt hat – ob in Brüssel, Paris, Nizza oder auch Berlin. Vom Vorwurf, gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen zu haben, ist sie aber freigesprochen. Dass sie ein Sturmgewehr hatte, hat sie für den Senat glaubhaft bestritten. Außerdem hat keine Zeugin bei ihr je eine Waffe gesehen.
Senat sieht keine Rückfallgefahr
Die Strafe wird für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. In dieser Zeit muss Sahra B. 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, ihre Gespräche mit Salam, der Beratungsstelle gegen islamistische Radikalisierung, fortsetzen und Auflagen der Bewährungshilfe erfüllen. Aber der Vorsitzende Richter sieht für Sahra B. eine gute Prognose und keine Rückfallgefahr, wie er betont. Um den Neustart nicht finanziell zu erschweren, befreit er sie von den Gerichtskosten. Dies ist nach dem Jugendstrafrecht auch bei einem Strafurteil möglich. Der Richter hofft, dass die junge Frau nach einer „Bilderbuchradikalisierung“ jetzt eine „Bilderbuchresozialisierung“ beweist.
Bergmann betont seinen Respekt vor „der schonungslosen Lebensbeichte und dem ehrlichen Geständnis“ an zwei Verhandlungstagen. Damit habe sie, gut von ihrem Anwalt beraten, ihre Chance für eine Bewährungsstrafe genutzt und sich auch eine gute Perspektive in Freiheit verdient. Widerspruchsfrei habe sie sich um Aufklärung bemüht.
„Jugendliche Naivität und religiöse Verblendung“
In der Urteilsverkündung skizziert Bergmann noch einmal, wie sich Sahra B. nach dem Tod der Mutter und Mobbing wegen ihrer dunklen Hautfarbe die Schule nach der Mittleren Reife abgebrochen und sich – bestärkt von ihrem Bruder Sadiq – immer mehr radikalisiert. Schließlich war sie im September 2014 mit ihm, dessen Frau Lisa R. und der jungen Schwester von Idar-Oberstein über die Türkei nach Syrien ausgereist, als sich der Vater in Dänemark aufhielt. Das Motiv für den Senat: „Jugendliche Naivität und religiöse Verblendung“, nicht länger unter Ungläubigen leben zu dürfen. Sie habe nicht kämpfen oder Attentate begehen, aber als Ehefrau und Mutter den mordenden Islamischen Staat unterstützen wollen, der 2014 sein Kalifat ausgerufen hatte.
Auf Drängen des Bruders heiratete sie in Syrien schnell einen IS-Kämpfer. Der wurde wie der Bruder schon Anfang 2015 getötet. Danach unterstützte der IS die Witwe und werdende Mutter finanziell und veranlasste weitere Ehen mit IS-Kämpfern. Sahra B. habe widerspruchslos eingewilligt und sich unterordnet, obwohl sie, so der Senat, auch von grausamen Enthauptungen und Massakern wusste. Zudem habe sie zumindest zeitweise Schariakurse besucht. Der Senat geht davon aus, dass sie bis Februar 2019 die IS-Ideologie unterstützt hat. Aber dann habe sie sich in ein von Kurden geführtes Lager in Nordsyrien bringen lassen. Der Senat ist überzeugt, dass sie die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt entschlossen war, nach Deutschland zurückzukehren und sich vom IS loszusagen.
Bereits hohen Preis gezahlt
Bergmann stellt auch fest, dass die Idar-Obersteinerin einen hohen Preis für ihren Fehler zahlen musste: Sie war eineinhalb Jahre mit ihrer kleinen Tochter auf der Flucht. Ihr Sohn starb nur sechs Tage nach der Geburt. Drei Jahre musste sie mit dem Kind in Lagern wie al Hawl und Roj leben – teils in allergrößtem Elend. Hygienisch und medizinisch äußerst schlecht versorgt, habe sie zehn Zähne verloren. Unter dem damals einsetzenden kreisrunden Haarausfall leide sie bis heute.
Ende März 2022 gehörte Sahra B. dann zu jenen Frauen und Kindern, die die Bundesregierung ausfliegen konnte. Seither saß sie in Untersuchungshaft. Ihre Tochter lebt seitdem bei ihrem Bruder. Aber das Kind wartet natürlich auch auf die Mutter, wie der Bruder Rande des Prozesses sagt. Wo sich die jüngere Schwester aufhält und ob sie noch in Syrien lebt, ist nicht bekannt.
Da Sahra B. bei ihrem Auszug zur Terrormiliz erst 19 Jahre alt war, wird sie nach dem Jugendstrafrecht verurteilt. Wie vom Vorsitzenden Richter erwartet, nimmt sie das Urteil sofort an. Denn sie hatte sie in ihrem Schlusswort Reue betont und erklärt: „Ich werde mich den Konsequenzen stellen.“ Christopher do Paço Quesado, Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz, lässt als Ankläger zunächst offen, ob er Revision einlegt. Er hatte für eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten plädiert.