Die interne Kommunikation zur Flutnacht an der Ahr lässt die damalige Klimaschutzministerin Anne Spiegel nicht gut dastehen
In Erklärungsnot: Die interne Kommunikation zur Flutnacht lässt Anne Spiegel nicht gut dastehen
In Wochen und Monaten nach der Flutkatastrophe war die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne, von links) häufig im Ahrtal zu sehen – auch mit Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, dem Ersten Kreisbeigeordneten Horst Gies (CDU) und Roger Lewentz (SPD). Ging es dabei auch um Imagepflege?
Staatskanzlei

Es gibt sicher angenehmere Termine für eine Bundesministerin, als freitagabends in einem Untersuchungsausschuss (U-Ausschuss) aussagen zu müssen. An diesem Freitag kehrt Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) nach Mainz zurück. Im U-Ausschuss muss Spiegel ab 19.30 Uhr Fragen zur Flutkatastrophe im Ahrtal beantworten.

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In Wochen und Monaten nach der Flutkatastrophe war die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne, von links) häufig im Ahrtal zu sehen – auch mit Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, dem Ersten Kreisbeigeordneten Horst Gies (CDU) und Roger Lewentz (SPD). Ging es dabei auch um Imagepflege?
Staatskanzlei

Die Grünen-Politikerin war im Juli rheinland-pfälzische Klimaschutz- und Umweltministerin, stand als solche dem Landesamt für Umwelt (LfU) vor, das für die Prognosen von Pegelständen verantwortlich ist. Bis heute stellt sich die Frage, wann Spiegel von der Katastrophe, bei der 134 Menschen im Tal starben und mehr als 700 verletzt wurden, erfuhr, wann sie mit wem kommunizierte, was sie unternahm beziehungsweise was sie nicht unternahm. Wie Nachrichtenprotokolle nun zeigen, stand bei der Ministerin und ihren Mitarbeitern offenbar die Befürchtung im Vordergrund, Spiegel könnte für das Drama verantwortlich gemacht werden – auch innerhalb der Landesregierung.

E-Mail-Korrespondenz wirft Fragen auf

E-Mail-Korrespondenzen, Chatverläufe und Anruflisten, die dieser Zeitung vorliegen, werfen brisante Fragen auf. Zum Beispiel diese: War Anne Spiegel für ihre Mitarbeiter überhaupt erreichbar? Funkten sie die heutige Bundesministerin überhaupt an? Wie eine Anrufliste, die unsere Zeitung einsehen konnte, zeigt, versuchte Staatssekretär Dr. Erwin Manz am 14. Juli um 22.24 Uhr seine Chefin zu erreichen. Also schon lange, nachdem der Pegel in Altenahr von den tosenden Wassermassen abgerissen worden war. Manz bekam Spiegel nicht ans Telefon. Festgehalten durch die Notiz: „Versuch Telefonat“. Das Gleiche passierte am 15. Juli um 7.52 Uhr. Wieder ein Anrufversuch, wieder vergeblich. Spannend: Um 22.24 Uhr ist in der Liste ein Anruf von Manz ins Lagezentrum des Innenministeriums vermerkt. Die Bemerkung hierzu: „Weiterleitung des Notrufs von Bürgermeisterin Weigand“.

Bei einer Kommunikation über den Messengerdienst Threema ist Anne Spiegel nur nachmittags involviert. Manz schickte ihr um 16.05 Uhr „zur Information“ einen Link zur Hochwassermeldeseite des LfU. Danach ist die Ministerin bei der Kommunikation außen vor. Bezeichnend eine Nachricht von Manz an Sabine Riewenherm, die damalige LfU-Präsidentin, um 21.38 Uhr: „Okay. Hoffentlich kommen keine Menschen zu Schaden.“ Erneut stellt sich die Frage: Wie ist ein solcher Blindflug der Landesregierung möglich?

Als erste Vertreterin der Landesregierung sagt die frühere Umweltministerin und jetzige Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) im Untersuchungsausschuss Flut aus. Ihre Befragung bekommt durch das Bekanntwerden nicht öffentlicher Kurznachrichten zusätzliche Dynamik.
picture alliance/dpa

Spiegels Klimaschutz- und Umweltministerium hatte am 14. Juli um 16.43 Uhr eine Pressemitteilung verschickt. Die Überschrift: „Angespannte Hochwasserlage in Rheinland-Pfalz – Wasserstände an Rhein, Mosel und kleineren Flüssen und Bächen werden weiter ansteigen.“ Spiegel wurde damals folgendermaßen zitiert: „Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht.“ Zu diesem Zeitpunkt gingen an der Ahr schon die ersten Campingplätze unter. Wie unsere Zeitung aus dem SMS-Verlauf der Pressesprecherin des Ministeriums mit Spiegel ersehen konnte, wurde die Pressemitteilung von Spiegel um 16.26 Uhr freigegeben.

„Konnte nur kurz draufschauen, bitte noch gendern CampingplatzbetreiberInnen, ansonsten Freigabe. “

Anne Spiegel, Grünen-Politikerin, war im Juli rheinland-pfälzische Klimaschutz- und Umweltministerin

Spiegel schrieb um 15.56 Uhr: „Konnte nur kurz draufschauen, bitte noch gendern CampingplatzbetreiberInnen, ansonsten Freigabe. Wir sollten die PM erst nach der jetzt begonnenen Debatte herausgeben. Danke.“ Am Ende gab die Grünen-Politikerin die Mitteilung schließlich exakt um 16.26 Uhr frei.

Nach diesem Austausch muss der Eindruck entstehen, dass sich Spiegel überhaupt nicht für den Inhalt interessierte, keinerlei inhaltliche Rückfragen hatte. Zum Beispiel zur Formulierung „kein Extremhochwasser“. Zum Beispiel zum Widerspruch mit ihrer Rede im Parlament. Dort sagte Spiegel nämlich in einer Aktuellen Debatte gegen 16.30 Uhr zum Starkregen in Rheinland-Pfalz unter anderem: „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zu appellieren, sich zu informieren und die Situation ernst zu nehmen. Vor allen Dingen an die Flussanlieger, auch an Campingplatzbetreiber gerichtet, die Situation eng im Blick zu behalten und gegebenenfalls sofort Vorkehrungen zu treffen.“

Warum appellierte die Grünen-Politikerin im Parlament, ließ dann aber um 16.43 Uhr die genannte Pressemitteilung verschicken? Eine Meldung, die sie selbst freigegeben hatte.

Wie aus einem E-Mail-Schriftwechsel hervorgeht, schrieb Staatssekretär Dr. Erwin Manz um 18.09 Uhr eine E-Mail an eine Pressesprecherin des Ministeriums und Giuseppe Lipani, damaliger und heutiger Leiter des Ministerbüros, der ebenfalls am Freitag im U-Ausschuss geladen ist. Darin hieß es: „Die PM hat sich mittlerweile überholt. Wir haben ein Extremereignis an der Ahr. Dort wurde ein Campingplatz aus der Luft evakuiert.“ Auf die Frage der Pressesprecherin – „Müssen wir jetzt was machen?“ – antwortete Manz um 18.53 Uhr: „Heute nicht. Bei Fragen zu Pegelständen bitte an das LfU verweisen.“ Aus dem Schriftverkehr, der unserer Zeitung vorliegt, ist nicht ersichtlich, ob auch Spiegel als Ministerin im E-Mail-Verteiler mit dabei war. Aufklärung könnte es am Freitag im Ausschuss geben.

Das Umweltministerium teilte auf Anfrage mit, dass es zutreffe, dass der Staatssekretär gegen 18 Uhr zur Einschätzung gekommen war, dass die Pressemitteilung überholt gewesen sei. Seine Aussage, es sei „nichts zu tun“, habe sich allerdings „lediglich“ auf die Frage bezogen, ob eine weitere Presseinformation „sinnvoll sein könnte“. Die Behörde schrieb weiter: „Die Information der Einsatzkräfte vor Ort, die für die Warnung der Bevölkerung zuständig sind, war und ist jederzeit über die Meldekette sichergestellt gewesen.“ Pressemitteilungen seien kein Teil dieses Meldeweges und „können auch gar nicht sicherstellen, dass wichtige Informationen die Bevölkerung vor Ort rechtzeitig erreichen“. Das Ministerium versicherte: „Meldungen wurden regelmäßig über Katwarn und über E-Mails an die Meldestellen (sprich: die Kreisverwaltung, Anmerkung der Redaktion) abgesetzt.“

Und dennoch stellen sich einige Fragen: Wer hat entschieden, nichts mehr zu unternehmen? Die Ministerin? Ihr Staatssekretär Erwin Manz? Warum wurde so entschieden – wenn doch der Staatssekretär um kurz nach 18 Uhr von einem „Extremereignis“ im Tal berichtet, Evakuierungen eines Campingplatzes meldet, Spiegel vorher im Plenum dazu aufruft, sich zu informieren? Warum wurde keine neue Pressemitteilung verschickt? Nicht ausgeschlossen, dass eine solche Information von den Medien aufgegriffen worden wäre und am Ende eine Klarstellung der Entwarnung Menschenleben hätte retten können. So riss die Flut vom späten Nachmittag bis in die Nacht Menschen und Häuser mit sich.

Sorge um das eigene Bild in der Öffentlichkeit?

Während und nach der Flut sorgte sich die Grünen-Politikerin aber offenbar eher um ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit. Das legen weitere Protokolle nahe, über die die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sowie Focus Online berichteten. Demnach soll am 15. Juli um kurz nach 6 Uhr morgens eine Mitarbeiterin der Pressestelle Spiegel und Dietmar Brück, damaliger stellvertretender Regierungssprecher, von einer „sehr ernsten“ Lage berichtet haben. Brück schrieb um 7.54 Uhr, wie aus SMS-Chatverläufen, die ebenfalls dieser Zeitung vorliegen, an die damalige Ministerin sowie die Pressemitarbeiterin: Die Flut werde das „beherrschende Thema“ in den nächsten Tagen sein, „Anne (Spiegel, Anm. d. Red.) braucht eine glaubwürdige Rolle“, das Ganze dürfe aber „nicht nach politischer Instrumentalisierung aussehen“.

Der stellvertretende Regierungssprecher simste weiter: Die „Anteilnahme macht MP“ (Ministerpräsidentin Malu Dreyer), vom Umweltministerium könnte es Infos zu Hochwasserlagen und Warnungen geben. Und weiter: Es gelte aufzupassen, „dass MP und Roger“ (also die Ministerpräsidentin und Innenminister Roger Lewentz) „jetzt nicht einen Fünf-Punkte-Plan gegen Starkregen entwickeln“.

Anne Spiegel soll darauf laut Medienberichten geantwortet haben: „Das deckt sich mit meinen Überlegungen.“ Und: „Das Blame Game (also Schuldzuweisungen, Anm. d. Red.) könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“ Die heutige Bundesministerin trieb außerdem offensichtlich die Sorge um, dass ihr Ministerkollege Lewentz sie angehen könnte: „Ich traue es Roger zu, dass er sagt, die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre nicht so schlimm geworden, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten.“

Zu den Korrespondenzen äußerte sich das Klimaschutz- und Umweltministerium auf Anfrage nicht, zu nicht öffentlichen Akten aus dem U-Ausschuss nehme man keine Stellung. Das Ministerium informierte lediglich, dass am Vormittag des 15. Juli auf Einladung von Spiegel eine „Krisensitzung des Hauses mit den nachgeordneten Behörden zur Hochwasserlage und den anstehenden Aufgaben“ stattgefunden habe. Die Ministerin habe außerdem an einer Sondersitzung des Ministerrates teilgenommen. Fragen an das Innenministerium, welche Kommunikation es zwischen den beiden Ministerien gab, beantwortete die Pressestelle nicht. Ebenso antwortete sie auch nicht auf die Frage, ob Erwin Manz das Innenressort über seine Erkenntnis, dass man es mit einem „Extremereignis“ an der Ahr zu tun habe, informiert habe. Man wolle sich zu Ermittlungsakten aus laufenden Verfahren nicht äußern.

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