Vor ein paar Tagen erhält Prof. Gerhard Trabert überraschend ein Video. Zwei rüstige Männer stehen vor einem bunt geschmückten Weihnachtsbaum. Irgendwo in Kiew. Im Kriegsgebiet. Vadim und ein Kollege bedanken sich in dem kurzen Film für die Unterstützung des Mainzers. Traberts Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ unterstützt die Organisation der Köche der Ukraine, die in mehreren ukrainischen Städten Essen zubereitet und verteilt. Am Ende verabschieden sich die beiden Männer kämpferisch mit dem mittlerweile bekannten Slogan „Slava Ukrajini“, was übersetzt „Ruhm der Ukraine“ heißt.
Im Februar für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert
Die Videobotschaft freut den 66-Jährigen, der im Frühjahr selbst im Kriegsgebiet war und im Februar für das Amt des Bundespräsidenten kandidierte. Sie zeigt ihm, dass sich sein Einsatz für die Menschen in der Ukraine, für bedürftige Menschen, für Geflüchtete lohnt. Es sind genau diese Momente, diese Begegnungen, aus denen er Hoffnung schöpft. Immer wieder aufs Neue.
Dabei muss der Sozialmediziner auch immer wieder kämpfen. Für die Menschen, denen es bei Weitem nicht so gut geht, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, die keine Lobby haben. So wie Haftom. Vor ein paar Wochen konnte der Eritreer, der seit ein paar Jahren in Deutschland lebt, hier arbeitet, integriert ist, in Frankfurt seine Ehefrau und zum ersten Mal seinen kleinen Sohn Yoel in die Arme nehmen.
Nach einem rund eineinhalbjährigen Kampf mit der Deutschen Botschaft in Äthiopien durften Mutter und Kind aus der Tigray-Region, in der Krieg herrscht, nach Deutschland kommen. Trabert setzte sich für die Familie ein, war bei der Familienzusammenführung dabei. Der Arzt sah das Glück der drei in ihren Augen. Es war wieder einer dieser besonderen Momente. Ein Erlebnis, aus dem er ebenfalls Hoffnung schöpft. Wie schafft es der Mainzer, den Menschen, mit denen er tagtäglich zu tun, Hoffnung zu schenken? Der 66-Jährige sagt: „Das gelingt nur über Beziehung, über Begegnung, über kontinuierliche Begegnung, nicht durch Missionierung.“
Trabert erklärt, er wisse nicht, was der beste Lebensentwurf eines Menschen sei, er sei nicht omnipotent. Immer wieder muss er auch seine Grenzen erkennen und respektieren, zum Beispiel dann, wenn ein wohnungsloser Mensch bei Minusgraden wie in der vergangenen Woche nachts eben nicht in eine warme Unterkunft möchte. Und die Gefahr groß ist, dass die Person ohne Unterstützung erfriert. Eine solche Entscheidung – Trabert muss sie aushalten.
Für den Mediziner, der seit 25 Jahren mit seinem Arztmobil mehrmals wöchentlich unterwegs ist, ist aber auch klar: „Das Entscheidende ist die Schatzsuche – und nicht die Fehlersuche. Jeder Mensch trägt in sich Schätze, oft verborgen, man muss sie nur finden.“ Für Gerhard Trabert geht es darum, einen Prozess zu initiieren, sodass ein Mensch wieder an sich glaubt, Hoffnung schöpft. Trabert: „Das Entscheidende ist, dass jemand an sich, an die eigenen Ressourcen glaubt. Das hinzubekommen, ist möglich.“ Mit Unterstützung. Mit Solidarität.
Das gelingt nur über Beziehung, über Begegnung, über kontinuierliche Begegnung, nicht durch Missionierung.
Gerhard Trabert auf die Frage, wie es ihm gelingt, Hoffnung zu schenken
Klar, ein Mensch könne auch seine Hoffnung verlieren, wenn er zum Beispiel Ausgrenzung erfahren habe, Demütigung, Ausbeutung. Und dennoch ist für den Hochschuldozent klar: „Hoffnung ist Lebenselixier.“ Acht Jahre war er als Arzt auf einer onkologischen Station tätig, berichtet er. Dort habe es für einige Patienten keine wirkliche Heilungsperspektive mehr gegeben. „Man darf aber auch diesen Menschen nicht die Hoffnung nehmen, keiner hat das Recht, schwer kranken Menschen die Hoffnung zu nehmen. Ich bin überzeugt: Hoffnung kann Berge versetzen.“
Hat denn in dieser Zeit, die von Krisen geprägt ist, die Unterstützung nachgelassen? Traberts klare Antwort: Nein! Er erfahre trotz der Krisen „sehr viel Solidarität“. Wenn er mit seinem Arztmobil in Mainz unterwegs ist, spricht ihn immer irgendjemand an. Dann bekommt er mal 20 Euro, mal 50 Euro für seinen Verein überreicht. Trabert gibt zu: Es habe schon Ängste gegeben, ob er vor dem Hintergrund der multiplen Krisen seine Hilfsangebote und Unterstützungsprojekte im In- und Ausland so weiterführen kann.
Fest steht: Er kann. Die Unterstützungs- und Spendenbereitschaft habe nicht nachgelassen. Auch das stimmt den 66-Jährigen hoffnungsfroh. Unter den Bürgern gebe es ein hohes Bewusstsein für die Folgen von sozialer Ungerechtigkeit in diesem Land. Und ein Bewusstsein, dass man in der Energie- und Inflationskrise noch enger zusammenrücken müsse. „Das macht mir Hoffnung.“ Auch für das neue Jahr, das sicher nicht einfach wird.
Traberts Hoffnungen beruhen also auf den Mitbürgern. Negativer sieht er einen Großteil der politischen Verantwortlichen. Dass das Bürgergeld etwa um 53 Euro erhöht werde, sei „viel zu wenig“. Der Mainzer übt deutliche Kritik: „Die politische Distanz und Ignoranz ist etwas, was mich traurig stimmt und wütend macht.“
Wunsch nach mehr Forschheit und Mut
Von SPD und Grünen würde er sich „mehr Forschheit und Mut innerhalb der Bundesregierung“ wünschen. Traurig und wütend machen ihn abfällige Kommentare über Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Gerhard Traberts Erfahrung: Beschäftigungslose Menschen wollten Arbeit finden, etwas Sinnvolles machen. Abfällige Bemerkungen wie „die Menschen legen sich in die soziale Hängematte“ spalten aus Sicht des Sozialmediziners die Gesellschaft. Und: „Genauso obszön sind Mottos oder Slogans wie ‚Frieren für den Frieden‘: So äußern sich nur Personen, die nie im Leben frieren werden.“
Und welche Nachricht würde Trabert zu Weihnachten, das er mit seinen vier Kindern und Enkelkindern verbringt, positiv stimmen, Hoffnung machen? Gerhard Trabert antwortet – mit einem Grinsen: „Kurzfristige Entscheidung: FDP stimmt zähneknirschend zu: Bürgergeld wird um 200 Euro pro Monat erhöht.“