Rheinland-Pfalz/Leipzig. Viele Richter und Staatsanwälte schauten am Donnerstag gegen 15.30 Uhr gebannt auf die Internetseite des Bundesverwaltungsgerichts. Als dann das Urteil in der Causa Hans-Josef Graefen gegen Justizminister Heinz Georg Bamberger (SPD) in Kurzform auftauchte, waren sie sprachlos. Auf eine derartige „Bauchlandung“ des Ministers, aber auch eine solche „Klatsche“ für die Koblenzer Verwaltungsgerichtsinstanzen hatten sie eigentlich nicht gewettet.
Aber nach dem Urteil der Bundesverwaltungsrichter hat der Minister an der Spitze des Oberlandesgerichts in Koblenz seinen Favoriten Ralf Bartz rechtswidrig durchgesetzt. Die höchsten Richter bescheinigen ihm, wie zuvor schon das Bundesverfassungsgericht, den Rechtsschutz des Koblenzer Landgerichtspräsidenten Hans-Josef Graefen vereitelt zu haben. Bamberger hatte darauf spekuliert, dass eine Ernennung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (Ämterstabilität). Der Grundsatz galt bisher wie in Stein gemeißelt. Doch der Minister hat nach dem Urteil der Bundesrichter die rote Linie so weit überschritten, dass die in diesem Fall nicht gilt. Das höchste Gericht wandte die neue Rechtsprechung, wonach Ernennungen nicht mehr ohne jede Ausnahme rechtsbeständig sind, sofort an. Denn die Richter rechneten mit dem Auswahlverfahren, in dem Bamberger unbedingt den Seiteneinsteiger Ralf Bartz gegen Graefen durchsetzen wollte, scharf ab.
Während viele Juristen über den „Sieg des Rechtsstaats“ jubelten, herrschte im Justizministerium erst einmal völlige Schockstarre. In wenigen dürren Zeilen erinnerte es dann daran, dass das Oberverwaltungsgericht im Januar 2009 die Ministerentscheidung bestätigt hatte. Das Leipziger Urteil nehme man „zur Kenntnis“, äußere sich aber erst, wenn die schriftliche Begründung vorliegt.
In Mainz sprechen CDU und FDP aus, was auch viele Juristen spontan sagen: „Der Minister und seine Staatssekretärin, die das Verfahren so betrieben haben, sind eigentlich nicht mehr zu halten.“ Selbst Ex-Justizminister und FDP-Fraktionschef Herbert Mertin fordert Bambergers Rücktritt. Von CDU-Fraktionschef Christian Baldauf ist dies erwartet worden, weil er den bereits nach der Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts für Bamberger 2007 gefordert hatte. „Ein Minister, der in derartiger Weise gegen geltendes Recht verstößt, ist nicht länger tragbar“, erklärt die CDU und fordert wie 2007 eine Sondersitzung des Landtags. Dies hält SPD-Fraktionschef Jochen Hartloff für „Effekthascherei im Vorfeld des Landtagswahlkampfes“. Dabei verweist er darauf, dass zwei Bundesgerichte die langjährige Rechtsprechung geändert haben. Ob der Fall auch Bambergers politisches Schicksal besiegelt, ist offen. Bartz aber muss seinen Chefstuhl räumen, wenn das schriftliche Urteil eintrifft.
Ob sich Graefen erneut bewirbt, lässt der erschöpfte Sieger erst einmal offen. Er ist froh über die präventive Wirkung des Urteils: „Dienstherr und Gerichte werden hierdurch angehalten, bei der Besetzung von Stellen nach Recht und Gesetz zu verfahren; und sie laufen Gefahr, dass Verstöße hiergegen auch geahndet und korrigiert werden. Dem war man sich bis in die jüngste Vergangenheit hinein nicht immer bewusst.“ In Leipzig hatte er auch wieder Rückendeckung im Saal: Denn aktive wie pensionierte Juristen waren auch in die Heldenstadt gefahren.
Von unserer Redakteurin Ursula Samary