Malu Dreyer (SPD) ist zwar nicht mehr im Amt. Sie dürfte auch nicht erscheinen, um im Blitzlichtgewitter zu stehen. Trotzdem schauen am Freitag viele Beobachter auf die Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz gegen sie. Denn die AfD-Klage dreht sich um die sensible Frage, wie weit eine Ministerpräsidentin bei ihrer Kritik an der in Teilen rechtsextremen Partei gehen kann, ohne die Neutralitätspflicht und das Recht auf Chancengleichheit der Parteien zu verletzen.
Gleichzeitig wird darauf geachtet werden, ob die Verhandlung in Koblenz bereits auf das Verfahren gegen Dreyers Nachfolger Alexander Schweitzer (SPD) ausstrahlt, den die CDU kürzlich ebenfalls wegen des Neutralitätsgebots verklagt hat.
In dem Gerichtsstreit gegen Dreyer geht es um ihren Aufruf, ihre Rede und Äußerungen zur Demonstration unter dem Motto „Zeichen gegen Rechts“ am 18. Januar 2024 in Mainz. Vorausgegangen war der Bericht des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Geheimtreffen in Potsdam, bei dem Rechtsextreme über „Remigration“ disputiert haben sollen.

Die Kundgebung sei „ein starkes Zeichen“, erklärte Dreyer damals. „Wir brauchen einen echten Schulterschluss gegen Rechts, damit klar wird: Die demokratische Mehrheit in diesem Land steht zusammen, nie wieder ist jetzt“, hatte Dreyer bei der Demo erklärt, wie auf der Internetseite der Staatskanzlei nachzulesen war. Die öffentlich bekannt gewordenen Vertreibungspläne seien ein erschreckender Höhepunkt des rechtsextremen Gedankenguts, das auch führende Köpfe der AfD verbreiteten. „Rechtsextremisten bedrohen unsere Demokratie“, so Dreyer.
Auch Mitglieder der AfD Rheinland-Pfalz seien in rechtsradikalen Zusammenhängen unterwegs. Deshalb gehe es auch im Land „um eine Überlebensfrage der Demokratie“. Damit habe Dreyer ihre Pflicht zur parteipolitischen Neutralität verletzt, empörte sich die von der Kölner Kanzlei Höcker vertretene Landes- und Bundespartei der AfD. Ihre Klage folgte erst am 28. Mai, kurz vor der Europawahl.

War Dreyer nicht neutral genug?
Die AfD wirft der früheren Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor, bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus gegen das Neutralitätsgebot verstoßen zu haben. Der Fall geht jetzt vor den Verfassungsgerichtshof.
Der Mainzer Staatsrechtler Friedhelm Hufen, früher auch Mitglied im Verfassungsgerichtshof, hat es als problematisch bezeichnet, dass Dreyer das Portal der Landesregierung für Kritik an der AfD genutzt habe. Doch der Mainzer Staatsrechtler und frühere Abteilungsleiter des Mainzer Justizministeriums, Siegfried Jutzi, reist optimistisch nach Koblenz, wo er Dreyer und Staatskanzlei vertritt. Seine Verteidigungslinie: Eine Ministerpräsidentin dürfe als Amtsträgerin zwar keinen Wahlkampf machen, aber sehr wohl die Verfassung, sprich die demokratisch-freiheitliche Grundordnung verteidigen. Dies sei von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wie vom VGH gedeckt.
Damit spielt Jutzi wohl auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen Angela Merkel an. Nach seiner Überzeugung hat sie 2020 als Kanzlerin mit ihrer Kritik an der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen, an der auch die AfD mitwirkte, das Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt. Aber in einem Leitsatz steht auch fest: „Bei Eingriffen in den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien muss plausibel dargelegt werden können oder in sonstiger Weise ersichtlich sein, dass die einen solchen Eingriff rechtfertigenden Verfassungsgüter tatsächlich betroffen sind“ – und einen Eingriff erforderlich gemacht haben.

Schweitzer nimmt nach Kritik Äußerungen aus dem Netz
Die CDU wirft Ministerpräsident Alexander Schweitzer vor, gegen sein Neutralitätsgebot verstoßen zu haben – und zieht vor den Verfassungsgerichtshof. Der Regierungschef reagiert und löscht umstrittene Äußerungen.
Hat die Neutralitätspflicht also auch Grenzen? Kann Jutzi vor den Verfassungsrichtern glaubhaft machen, dass es Dreyer darum ging, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen? Und wird sie daher möglicherweise, anders als Merkel, nicht verurteilt? Darüber entscheidet der Verfassungsgerichtshof nicht schon am Freitag. Das Urteil will er zu einem späteren Termin verkünden.
Unterdessen kann sich Ministerpräsident Alexander Schweitzer auf die Klage der Landes-CDU gegen ihn vorbereiten. Sein Fall ist anders gelagert. Er kommentierte in der Debatte um die Migration kurz vor der Bundestagswahl eine Abstimmung im Bundestag. Mit Blick auf die CDU hatte Schweitzer auf seinen amtlichen Internetplattformen beispielsweise geschrieben, dass es beunruhigend sei, wenn sich eine demokratische Partei eine Mehrheit mit der in Teilen rechtsextremen AfD suche. Sie verlasse damit die demokratische Mitte.
CDU kritisierte Schweitzer nach Äußerungen in Migrationsdebatte
„Staatliche Organe haben sich unparteiisch und neutral in Bezug auf politische Themen und gegenüber politischen Parteien zu verhalten – so sieht es das Neutralitätsgebot vor“, reagierte CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder prompt. „Mit seinen offiziell als Ministerpräsident getätigten Aussagen verstößt der Ministerpräsident gegen diese Neutralitätspflicht.“
Die CDU-Fraktion halte die öffentlichen Äußerungen für verfassungswidrig, weil diese unmittelbar im Vorfeld der Bundestagswahl in parteiergreifender Weise in den Wahlkampf eingriffen, ergänzte der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Marcus Klein.
Nach der Klage zog die Staatskanzlei die umstrittenen Veröffentlichungen Schweitzers aus dem Internet zurück. Die Landesregierung wolle „Klarheit in einem umfassenden Hauptsacheverfahren und keine kursorische Prüfung in einem Eilverfahren“. Eine Verhandlung ist noch nicht terminiert.
Verfassungsschutz beobachtet die AfD
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD als sogenannten Verdachtsfall eingestuft. „Es liegen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor“, erklärt das Mainzer Innenministerium auf Anfrage. Die Beurteilung wurde per Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom März 2022 bestätigt, die Berufung der AfD wurde vom Oberverwaltungsgericht Münster im Mai 2024 abgewiesen.
Der rheinland-pfälzische Verfassungsschutz kennt die Unterteilung in Prüf-, Verdachtsfall und gesicherte extremistische Bestrebung nicht. Er sei nach dem Landesverfassungsschutzgesetz bereits beim Vorliegen von tatsächlichen Anhaltspunkten für den Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zur Beobachtung befugt, so das Ministerium. Die Einstufung der Gesamtpartei zum Verdachtsfall ermögliche die Beobachtung der rheinland-pfälzischen AfD ohne gesonderte Einstufung. us