Wer auf dem Rheinsteig zwischen St. Goarshausen und Kaub wandelt, bekommt Sehenswürdigkeiten satt: den Dreiburgenblick vom Patersberg zum Beispiel, die Aussicht vom sagenumwobenen Loreley-Fels – und natürlich Weinberge. Letztere prägen die Landschaft im Mittelrheintal ohne Frage mit. Braucht der Tourismus in Rheinland-Pfalz den Weinbau – oder auch umgekehrt? Unsere Zeitung hat sich auf eine Spurensuche begeben.
Natürlich ist es so, sagt Stefan Jedele, „dass der Weinbau zu der besonderen Kulturlandschaft im Tal enorm beiträgt“. Er ist mit ein Grund, dort zu urlauben, so der Geschäftsführer von Mittelrhein-Wein. Wanderwege wie der Rheinsteig oder der Rheinburgenweg mit ihren einzigartigen Ausblicken seien etwas Besonderes. Gleichzeitig werde den Besuchern bei ihren Wanderungen durch die Weinberge klar, „was Weinbau hier für Arbeit bedeutet“, meint Jedele mit Blick auf den Steillagenweinbau.
Weingüter sind auch Gastgeber
Viele Wanderer oder Radfahrer, so Jedele, entdecken quasi nebenbei Weingüter am Wegesrand und setzen später online eine Bestellung ab. Doch die Weingüter sind nicht nur durch den Weinverkauf „starke touristische Leistungsträger“, wie der Chef der Weinwerbung im Tal sagt. Sie sind es auch über ihre Gutsschänken, Straußwirtschaften und teils als Übernachtungsbetriebe. „Es ist wichtig, dass Touristen an den Wanderwegen und in den Städten auch ein schönes Einkehrangebot vorfinden“, meint Jedele. Auch Weinfeste und Großveranstaltungen wie Rhein in Flammen lebten von den lokalen Weinangeboten.
„Weintourismus ist kein neues Phänomen, es existiert seit Tausenden von Jahren“, sagt Gergely Szolnoki, Professor für Marktforschung an der Hochschule Geisenheim. Die Menschen haben schon immer Weingüter besucht, wo Wein probiert und ab Hof verkauft wurde. Für die Winzer hat das den Vorteil, dass sie Kunden davon überzeugen können, wie sie arbeiten – von ihrer Philosophie. Und beim Direktverkauf bleibt mehr Geld beim Winzer hängen als beim Verkauf über den Lebensmitteleinzelhandel, den Fachhandel oder die Gastronomie.
Aus Besuchern werden Kunden
Doch der Umsatz, so Szolnoki, ist nur ein Vorteil für den Winzer. „Es gibt ganz viele andere Faktoren, die von Bedeutung sind, wenn ein Weingut weintouristische Angebote macht“, erklärt der Marktforscher. Wer Besucher im Betrieb hat, kann neue Kunden rekrutieren, diese binden und Imageaufbau betreiben. Hinzu kommt: Ein Tourist unterstützt in der Regel nicht nur das besuchte Weingut, sondern die ganze Region. „Es gibt direkt einen ökonomischen Anschluss“, sagt Szolnoki und zählt auf: öffentlicher Nahverkehr, Einzelhandel, Hotels, Museen oder Seilbahnbetreiber. „Die Liste ist natürlich unendlich.“
Reine Weintouristen, also Touristen, die ausschließlich wegen des Weins in eine Region kommen, scheint es wenige zu geben. Das legt eine gemeinsame Studie der Hochschule Geisenheim und des Deutschen Weininstituts nahe. Dazu wurden in den Jahren 2017 und 2018 mehr als 4400 Touristen in deutschen Weinregionen befragt. Auf die Frage, ob sie während ihres Urlaubs ein oder mehrere Weingüter besuchen, antwortete nur etwas mehr als ein Viertel (27 Prozent) mit Ja.
Der Anteil derer, für die Wein und Weinbau bei ihrer Reise eine wichtige oder gar sehr wichtige Rolle spielten, lag bei lediglich 14 Prozent. Diese Gruppe nannten die Forscher die Primär-Weintouristen. Als Sekundär-Weintouristen wurden diejenigen eingestuft, die zwar ein Weingut besuchten, die die Bedeutung von Wein für die Reise aber eher als unwichtig oder neutral einstuften (13 Prozent). Die Nicht-Weintouristen bildeten also mit Abstand die größte Urlaubergruppe (73 Prozent).
In Nicht-Weintouristen schlummert Potenzial
Doch Szolnoki betont: „Was wir gemacht haben, war eine Momentaufnahme.“ Pauschalisieren lassen sich die Ergebnisse nicht. Doch in den Nicht-Weintouristen schlummert ein großes Potenzial, meint der Experte. Auch wenn sie nicht extra wegen des Weins in eine Region gekommen sind, könne man versuchen, sie in die Gruppe der Weintouristen herüberzuholen. Und zwar mit Kommunikations- und Überzeugungsmitteln, wie der Marktforscher sagt. Hier gibt es viele Möglichkeiten – eine davon ist das Anlocken von Gästen über die Gastronomie.
„Essen muss man jeden Tag – Weintrinken kann man, muss man aber nicht jeden Tag“, scherzt Szolnoki. Der Genuss und Gastronomie spielen im Urlaub eine große Rolle. „Regionale Küche mit regionalen Weinen kann ein Schlüsselfaktor bei Weingütern sein, die ihre eigene Gastroeinheit haben.“ Was die Gründe angeht, in eine Region zu reisen, seien drei Motive ganz weit vorn: Natur, Entspannung und gutes Essen. Bei Weintouristen komme der Wein noch mit dazu. Weintouristen, sagt der Marktforscher, sind zum Teil ziemlich sportlich und legen Wert auf Bewegung oder Sportaktivitäten im Urlaub – um quasi Restaurantbesuche und Weingenuss wieder zu kompensieren.
Das Gesamtpaket muss stimmen
„Es gibt mit Sicherheit Touristen, die wegen des Weins kommen, den Besuch zum Beispiel mit einer Tagestour verbinden und dann aber auch die Schönheit der ganzen Region entdecken“, meint Stefan Jedele vom Mittelrhein-Weinverein. Das Gesamtpaket sei wichtig, vor allem mit Blick auf gute Übernachtungs- und Einkehrmöglichkeiten. Mit Veranstaltungen wie dem „Wein Date Mittelrhein“ wird gezielt versucht, auch Menschen aus dem Rhein-Main-Gebiet oder dem Kölner Raum ins Tal zu locken.
Und wie sieht er aus, der Prototyp eines Mittelrheintal-Urlaubers, der Weinproben besucht und einen guten Tropfen mit nach Hause nimmt? „Der Weinkauf hat sich über die Zeit verändert“, sagt Jedele. Zahlreiche Kunden tätigen nicht mehr eine jährliche Großbestellung beim Lieblingswinzer, sondern probieren auch mal neue Weine und Weingüter aus. Das Interesse jüngerer Menschen an Wein sei etwa bei bestimmten Veranstaltungsformaten wie dem „Wein Date“ oder „Electronic Wine“ in Koblenz zu spüren. „Weinpartys mit DJs – auch auf Schiffen – erfreuen sich großer Beliebtheit.“ Daneben existieren aber immer noch die traditionellen Wein- und Winzerfeste, die von Jung und Alt besucht werden.
Touristiker registrieren hohe Nachfrage nach Weinthemen
Dass die Weinfeste im Land beliebt sind, kann Nathalie Hartenstein nur bestätigen. Sie ist Projektmanagerin für das Geschäftsfeld Wein & Kulinarik bei Rheinland-Pfalz Tourismus. Auf der Internetseite der Landesmarketingorganisation gibt es eine Unterseite zum Thema Weinfeste. Es ist die Seite, die bei Rheinland-Pfalz Tourismus am dritthäufigsten aufgesucht wird. „Daran kann man erkennen, dass die Nachfrage nach Weinthemen auf jeden Fall sehr stark ist“, betont Hartenstein. Wein ist ein zentrales Vermarktungsthema. Sechs der 13 deutschen Anbaugebiete liegen in Rheinland-Pfalz.
Das touristische Marketing ist bei Rheinland-Pfalz Tourismus auf fünf Kernzielgruppen ausgerichtet, wie Hartenstein erläutert. Eigentlich wirke das Thema Wein in all diese Zielgruppen hinein. „Bei Familien ist das bei ihrer Reise natürlich nicht vordergründig“, sagt die Touristikerin, „aber auch da weiß man ein gutes Glas Wein am Abend zu schätzen.“ Für den Weintourismus interessant seien jedoch vor allem zwei der fünf Zielgruppen: die Kultur- und Landschaftsliebhaber sowie die Städte-Genießer.
Die Prototypen der Kultur- und Landschaftsliebhaber
Die Zielgruppe der Kultur- und Landschaftsliebhaber hat bei Rheinland-Pfalz Tourismus ganz anschaulich einen Namen bekommen: Es wird vom Pärchen Probst/Brauch gesprochen. „Das ist ein etwas gesetzteres Pärchen, das gern zu zweit oder in kleinen Gruppen unterwegs ist“, sagt Nathalie Hartenstein. Sie greifen bei ihrer Reise auf organisierte Angebotsbausteine zurück und legen großen Wert auf regionale Speisen und Getränke. „Sie sind bei traditionellen Weinfesten anzutreffen, mögen Straußwirtschaften und besuchen Hoffeste bei Winzern.“
Die Städte-Genießer heißen bei den Touristikern die „Urbans“. Sie sind etwas jünger als das Paar Probst/Brauch, wollen besondere Erlebnisse vor Ort genießen, sind eher in Designhotels, szenigen Vinotheken, auf exklusiven Weinfesten oder in gehobenen Restaurants zu finden. „Dadurch, dass wir durch die Marktforschung wissen, mit welchen Medien wir diese beiden Gruppen am besten erreichen, können wir sie ganz gezielt ansprechen“, erläutert Hartenstein.
Neben diesem Zielgruppenansatz ist Rheinland-Pfalz Tourismus gerade dabei, neue Geschäftsfelder zu erarbeiten. Deren Etablierung ist Teil der Tourismusstrategie 2025 des Landes, erklärt Nathalie Hartenstein. Eines der vier neuen Geschäftsfelder heißt „Wein & Kulinarik“, Hartenstein ist die zuständige Projektmanagerin. „Ziel ist es, in diesen Geschäftsfeldern direkt mit den Betrieben zusammenzuarbeiten“, sagt Hartenstein. Es sollen Netzwerke entstehen, in denen neue Angebote und Formate entwickelt werden, die helfen, Gäste an Rheinland-Pfalz zu binden.
Es gebe bereits zahlreiche gute Angebote für Touristen im Land. „Wir wollen diese Angebote mit den neuen Geschäftsfeldern bündeln, um sie unseren Gästen zur Verfügung zu stellen“, erklärt die Touristikerin. In ihrem Feld „Wein & Kulinarik“ sollen unter den Tausenden Winzern und Gastronomen diejenigen ausfindig gemacht werden, „die wir gezielt ins Schaufenster stellen können“, sagt Hartenstein – auch als Best-practice-Beispiele und Anregung für andere Betriebe. Es gilt, sich noch stärker von anderen Anbaugebieten abzuheben und zu überlegen, „was uns noch besonderer macht“.
„Es soll mehr Geld im Land bleiben“
Wichtig für die Arbeit in den neuen Geschäftsfeldern sei die Online-Buchbarkeit von Angeboten. Dazu werde bereits mit einer Software gearbeitet, die von Rheinland-Pfalz Tourismus betreut und durch die touristischen Regionen im Land finanziert werde. „Darüber haben wir die Möglichkeit, landesweit Betriebe buchbar zu machen, fernab von großen Playern wie Booking.com & Co.“, erklärt Hartenstein. Das Tool ist auf der Internetseite von Rheinland-Pfalz Tourismus eingebunden. Wer darüber bucht, bucht direkt beim Gastgeber. Derzeit geht es dabei vor allem um Übernachtungen, perspektivisch sollen Erlebnisbausteine für den Urlaub dazukommen. „Unsere Tourismusstrategie ist ganz klar auf Wertschöpfung ausgelegt“, sagt Hartenstein, „es soll mehr Geld im Land bleiben.“
Dabei spielen nicht nur Touristen von außerhalb eine Rolle. Zwar ist das Marketing von Rheinland-Pfalz Tourismus im Inland vor allem auf Nachbarn wie Nordrhein-Westfalen und Hessen ausgerichtet. Aber: Auch das Urlauben im eigenen Land liegt im Trend. „Wir haben schon vor Corona gemerkt, dass wir innerhalb des Landes gewisse Reiseströmungen haben“, erklärt Hartenstein, „dass der Moselaner auch gern mal in die Pfalz fährt.“ Corona habe diesen Trend noch sichtbarer gemacht. Abgebrochen sei er nach der Pandemie nicht.
„Das regionale Publikum ist genauso wichtig wie das überregionale“, sagt Professor Gergely Szolnoki. Erst kürzlich hat er eine Studie mit einem Caravanverband gemacht. Dabei habe sich gezeigt, dass viele Wohnmobilfahrer innerhalb des eigenen Bundeslandes bleiben. „Wir haben festgestellt, dass die Hälfte der Besucher des Anbaugebiets Franken aus Bayern kommt“, erklärt Szolnoki. Auch Rheinland-Pfalz profitiere von den Rheinland-Pfälzern. Und was den Begriff Weintourist angehe, so sei dieser ohnehin schwer zu definieren – das habe er bereits bei mehreren Studien festgestellt. „Die Frage ist, wo fängt Weintourismus an, und wo hört er auf“, sagt der Forscher. Ist der, der ein paar Kilometer zum Lieblingswinzer auf sich nimmt, schon ein Weintourist? Oder der, der sich einmal im Jahr den Kofferraum volllädt?
Branche kämpft mit Absatzrückgang
Trotz nahezu unverändertem Umsatz verzeichnet die Weinbranche in Rheinland-Pfalz einen Absatzrückgang. Das zeigt eine Auswertung aktueller Absatzanalysen und Konsumauswertungen der Industrie- und Handelskammern in Rheinland-Pfalz, wie es in einer Pressemitteilung heißt.
Die unsichere weltpolitische Lage, höhere Kosten und steigende Preise, so die IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, beeinflussen die Verbraucher beim Weinkauf: „Die höheren Weinpreise führen zu einer geringeren Menge an verkauften Flaschen. Die Weinbranche kämpft trotz nahezu stabilem Umsatz mit Absatzrückgängen in den unterschiedlichen Vertriebskanälen“, wird Albrecht Ehses zitiert, weinpolitischer Sprecher der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz.
Trotz der herausfordernden Situation auf dem heimischen Markt seien die Exportzahlen zwischen Juli 2022 und Juni 2023 stabil geblieben. Insgesamt, so die Arbeitsgemeinschaft, wurden 87 Millionen Liter Qualitätswein im Gesamtwert von 360 Millionen Euro exportiert – mit einer leichten Mengensteigerung von 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und einem Wertzuwachs von 5,2 Prozent. Die USA, Norwegen, die Niederlande, Polen und Großbritannien seien die Hauptabnehmer. Bei reduzierten Absatzmengen habe eine weitere Steigerung der Durchschnittspreise erzielt werden können.
„Die Exportzahlen zeigen die anhaltende Attraktivität deutscher Qualitätsweine auf dem internationalen Markt“, sagt Ehses. Er wünsche sich aber eine noch stärkere Ausrichtung der Branche auf dieses, aus seiner Sicht wichtige Marktsegment. In Bezug auf die einzelnen Anbaugebiete seien detaillierte Angaben aufgrund begrenzter statistischer Daten lediglich für die drei größten rheinland-pfälzischen Weinregionen möglich. Die Exportdaten zeigen laut IHK-Arbeitsgemeinschaft, dass sowohl die Mosel (20 Millionen Liter) als auch Rheinhessen (29 Millionen Liter) auf das Jahr gerechnet einen Rückgang von etwa vier Prozent in der Exportmenge ihrer Weißweine in Behältnissen unter zwei Liter verzeichnen mussten. Die Pfalz habe dagegen mit einem Plus von 16,3 Prozent auf 14,8 Millionen Liter ihren Exportanteil ausbauen können. red