Die Deutsche Bahn will Trassen im Mittelrheintal zu Hochleistungskorridoren ausbauen - das bedeutet noch mehr Zugverkehr
Gefährdet Bahnlärm den Welterbestatus? Deutsche Bahn plant Hochleistungskorridor im Mittelrheintal
Bahnlärm im Mittelrheintal
Güterzüge rattern in Oberwesel nah an Wohnhäusern vorbei. Normal im Mittelrheintal. Nach einer Sanierung will die Bahn noch mehr Züge durch das enge Tal schicken. Die Bewohner befürchten dadurch noch mehr Lärm und Erschütterungen. Wackelt dadurch auch der Welterbe-Status?
Thomas Frey. picture alliance/dpa

Der massive Güterverkehr auf den Bahntrassen links und rechts des Rheins ist heute schon für viele Bürger unerträglich und zugleich ein Problem für gastronomische Betriebe. Nun plant die Deutsche Bahn (DB) für die kommenden Jahre den Ausbau beider Strecken zum „Hochleistungskorridor“.

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Befürchtet wird im engen Mittelrheintal eine damit einhergehende Kapazitätssteigerung von rund 30 Prozent, was noch mehr Gütertransport würde. Dabei hat die Unesco jetzt schon Bahnlärm und Weltkulturerbe als eines der größten Probleme im Tal identifiziert. Wird also der Status Welterbe durch die Pläne der Bahn gefährdet?

Warnsignale der Kommission

Das Obere Mittelrheintal ist so einmalig in der Welt, dass es 2002 in die Welterbeliste aufgenommen wurde. Mit dieser Anerkennung wurde vom „Vertragsstaat“ auch die Verpflichtung übernommen, den Schutz der Welterbestätte zu gewährleisten und die Auflagen der Unesco zu erfüllen. Dies wird regelmäßig überprüft. Nachdem eine Delegation der Unesco und der Beratungsorganisation Icomos den Zustand im Tal bei einer Bereisung im Mai 2022 begutachteten, waren im 60-seitigen Bericht der gemeinsamen Kommission deutliche Warnsignale zu vernehmen: Neben Straßenverkehr, Brückenbau und anderen Kritikpunkten erscheint den Welterbehütern vor allem auch in puncto Bahnlärm dringendes Handeln zum Schutz des Welterbes erforderlich. Gegenwärtig stelle der Eisenbahnlärm die bei Weitem größte Belästigung für die Bevölkerung dar. Der Bahnlärm verhindere ein ungestörtes Leben der Menschen, beeinträchtige ihre Gesundheit, entwerte die Region und behindere einen florierenden nachhaltigen Tourismus.

Die Züge seien in den vergangenen Jahren immer länger, schwerer und schneller geworden, führt die Kommission aus. Dabei hat die Unesco schon vor mehr als 20 Jahren auf die Notwendigkeit der Reduzierung des Bahnlärms hingewiesen. Nach 20 Jahren Welterbezugehörigkeit hat zur Zeit der Bereisung lediglich eine Machbarkeitsstudie für die Verlagerung der lauten Züge vorgelegen. Dies hält die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation für nicht ausreichend.

In puncto Alternativtrasse herrschen nun aber Enttäuschung und Ernüchterung im Tal vor. Grund: Eine Machbarkeitsstudie für das Bundesverkehrsministerium hat jüngst die Idee einer Ausweichtrasse durch Westerwald und Taunus fürs Erste verworfen, weil die positiven Effekte die Investitionskosten nicht ausgleichen würden. Auch die Forderungen nach Geschwindigkeitsreduzierungen finden kein Gehör bei Bahn und Bund. Und Verkehrsminister Volker Wissing kommt erst einmal trotz aller Gesprächsersuchen aus dem Tal nicht aus der Deckung. Gleichzeitig ist bekannt geworden, dass die Bahn ihre links- und rechtsrheinischen Strecken komplett sanieren und gleichzeitig zu einem „Hochleistungskorridor“ mit erhöhter Leistungsfähigkeit ausbauen will.

Dazu sollen die Schienenwege in den Jahren 2026 beziehungsweise 2028 jeweils für fünf bis sechs Monate voll gesperrt werden. Politik und die Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden durch die Bahn (BI) befürchten in dem so entstehenden „Korridor“ zusätzlichen Güterverkehr – bis zu 500 Züge täglich auf jeder Rheinseite – und damit mehr Lärm und Erschütterungen. Die Bahn wiederum muss die Strecke im Nadelöhr Mittelrheintal dringend in Schuss bringen, damit der Güterverkehr zwischen Italien und der Schweiz zum Hafen Rotterdam problemlos fließen kann – eine wirtschaftlich hochbedeutende Verbindung in Europa.

Bahn hat Bestandsschutz

Nun sind weder BI noch die Politik im Welterbe prinzipiell gegen die Bahn. Was sie aber erwarten ist, dass mit den Korridorsanierungen auch der Lärm- und Erschütterungsschutz über das bereits erfolgte Maß hinaus verbessert wird. Da die Bahn im Tal Bestandsschutz hat, muss sie bei reinen Sanierungsarbeiten keinen weiteren Lärm- und Erschütterungsschutz einbauen. Die Kernfrage ist nun, ob das Vorhaben der DB entscheidend darüber hinausgeht und „wesentliche Änderungen“ an den Verkehrswegen mit sich bringt. Dann nämlich könnte der Bestandsschutz infrage gestellt und die Bahn müsste womöglich vorbeugende Maßnahmen gegen Lärm und Erschütterungen einbauen.

Darauf zielt eine Resolution ab, die in der Verbandsgemeinde Loreley formuliert wurde und mittlerweile weiteren Kommunen und Kreisen entlang des Rheins zur Unterzeichnung vorliegt. Ziel der Verfasser ist es, dass nicht die Verbandsgemeinde selbst, sondern der Zweckverband Welterbe Oberes Mittelrheintal den Bestandsschutz der Bahn in Bezug auf die Hochleistungskorridore juristisch prüfen lassen soll.

Als Argumente für diesen Adressaten werden einerseits der Bericht der Unesco sowie die Vorbereitungen auf die Buga 2029 angeführt, aber auch der „Masterplan Welterbe Oberes Mittelrheintal“ des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung, in dem 2013 der Bahnlärm als das größte Problem für das Tal identifiziert wurde. Ob der Zweckverband diese Aufgabe übernehmen wird, ist noch nicht klar: Auf der jüngsten Verbandsversammlung hat man sich zunächst darauf verständigt, erst einmal die Kosten für eine solche Prüfung zu sondieren, denn dem Zweckverband fehlt es an Geld.

Wenn juristisch geprüft werden soll, so Verbandsvorsteher Volker Boch, Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises, dann sei dies möglicherweise auch eine Aufgabe des Landes oder der Regional- und Landesplanung. Boch wies darauf hin, dass die Planungsgemeinschaft Mittelrhein-Westerwald in ihrer jüngsten Sitzung der Regionalvertreter ebenfalls die Verabschiedung einer eigenen Resolution zum Bahnlärm beschlossen hat. Deshalb schlug er diesbezüglich vor, bei der Planungsgemeinschaft anzuklopfen und eine Abstimmung zu suchen. Klar ist aber von vornherein: Weder der Zweckverband noch die Planungsgemeinschaft sind am Ende klageberechtigt, unabhängig davon, ob eine Klage Sinn ergibt und ein Verfahren vor den Maßnahmen der Bahn über die Bühne gehen würde.

Steht weiterhin die Frage im Raum, ob die Bahn mit ihren Plänen das Welterbe gefährdet? Nachdem das Unesco-Welterbezentrum und der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) ihren Bericht zur Bereisung des Oberen Mittelrheintals Anfang des Jahres vorgelegt hatten, registrierten Landesregierung und Zweckverband laut gemeinsamer Erklärung „keine Gefährdung des Welterbestatus“ – trotz der Kritik am Bahnlärm. Kann sich das nun mit den Hochleistungskorridoren ändern? „Aus meiner Sicht ist der Welterbetitel aktuell durch diese Entwicklung nicht akut gefährdet“, sagt Volker Boch. „Die Unesco hat das Welterbegebiet mit der Bahn als solches anerkannt, die Bahn ist also von Beginn an Teil des Welterbes. Insofern glaube ich nicht, dass eine Aberkennung des Titels droht.“

Belastung an der Schmerzgrenze

Auf einem anderen Blatt stehe jedoch, dass die im Unesco-Bericht geäußerte Kritik berechtigt ist und die Belastung der Menschen und der Region durch den Bahnlärm ist trotz einiger Verbesserungen deutlich an der Schmerzgrenze angelangt.

Wenn nun gleichzeitig die Alternativtrasse auf die lange Bank geschoben wird und tatsächlich geplant sei, mehr Güterverkehr ins Tal zu bringen, dann sei dies „nicht mehr vermittelbar“. Unabhängig davon, dass sich die Überlastung der Strecken jetzt schon deutlich bei Hangrutschen wie zuletzt in Kestert sowie bei Unfällen wie denen in Lahnstein oder Rüdesheim zeige. Dies seien keine isolierten Ereignisse, Gleiches drohe im gesamten Mittelrheintal. Aus diesem Grund werde er als Landrat das Thema auch mit in den eigenen Kreistag nehmen.

Dass die Bahn bei den Menschen im Rheintal an den Nerven zerrt, wurde im Übrigen auch in der Versammlung des Zweckverbands deutlich, als einer der Teilnehmer deutliche Worte fand: „Wir können uns auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln und die dollsten Sachen machen“ – die Bahn aber mache mit ihren Planungen alles zunichte. Gemeint waren die Bundesgartenschau und andere Projekte, die dazu beitragen sollen, die Infrastruktur auf beiden Rheinseiten zu optimieren und den Tourismus im Tal als wichtigstes Wirtschaftsmoment langfristig zu stützen und auszubauen. Es sieht also ganz so aus, als seien die alten Konflikte auch die zukünftigen.

Von Michael Stoll

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