Die ersten kamen, als morgens zwischen Hatzenbach und Hohenrain noch der letzte Tau auf der Strecke lag. Und die letzten fuhren wieder, als die Sonne langsam unterging. Dazwischen aber lag keine Eifeler Wald-, Wiesen-- und Rehkitzromantik. Gefragt war Adrenalin im Überfluss auf den 21 bekanntesten und fahrerisch anspruchsvollsten Kilometern in diesem Land – mit 300 Metern Höhenunterschied und 73 Kurven: Vor wenigen Tagen wurde die frisch sanierte, legendäre „Grüne Hölle“ wieder für Touristen geöffnet. Wir haben benzingeschwängerte Luft geschnuppert.
Langstreckenrennen, Testfahrten der Automobil-Industrie, Touristenfahrten: Das sind die drei klassischen Säulen, auf denen die knapp 21 Kilometer lange Nürburgring-Nordschleife fußt. Nach wochenlanger Sanierungsarbeit während des Winters, vor allem in der ultraschnellen Bergab-Passage der „Fuchsröhre“, durften am vergangenen Samstag die ersten „Touris“ nach monatelanger Abstinenz wieder auf die Strecke.
Im Kontrollgebäude laufen alle Fäden zusammen
Im „roten Häuschen“, dem Kontrollgebäude an der Zufahrt, laufen alle Fäden zusammen, dort werden Vorfälle und technische Defekte gemeldet und – wenn nötig – wird der Abschleppwagen rausgeschickt. Auch die Einhaltung von Lärmgrenzen gehört zu den Nutzungsbedingungen. Wer sich mit seinem Auto nicht daran hält, für den war’s das: Ende Gelände.
Am Samstagmorgen ist die Zufahrt zur Nordschleife nahe Nürburg für viele Zaungäste schon sehr früh der richtige Platz, um PS-Gespräche zu führen. Um das Foto-Handy zu zücken, wenn sich wieder mal ein ganz besonders auffallender Bolide der Kategorie “tief, flach, bunt, laut„ nähert. An einem solchen Tag sind alle gleich. Da spielt es keine Rolle, ob jemand einen Turbo-aufgeladenen 911er GT3 oder einen frisierten „fliegenden Hasenkasten“ à la Ford Fiesta oder Fiat Uno an den Start bringt. Sogar Tesla und Kia EV6, ein reiner Stromer, fahren an der Schranke vor.
Wer möchte, kann entweder mit dem eigenen Fahrzeug die legendäre Rennstrecke unter die Reifen nehmen oder sich eine Taxifahrt in einem hochmotorisierten Sportwagen gönnen – fest angeschnallt und mit Helm natürlich. Selina, frühmorgens aus der Nähe von Bergisch Gladbach mit zwei Freundinnen angereist, steigt nach ihrer „Jungfernfahrt“ auf der Nordschleife mit noch etwas wackligen Knien aus einem giftgrünen Manthey-Porsche. “Na, wie war’s?", wollen wir von ihr wissen.
Zuerst hab ich richtig Schiss gehabt, aber danach war es einfach nur noch geil.
Selina aus der Nähe von Bergisch Gladbach hat die Fahrt zum Geburtstag geschenkt bekommen.
„Die Fahrt hab ich zum Geburtstag geschenkt bekommen. Zuerst hab ich richtig Schiss gehabt, aber danach war es einfach nur noch geil. So was kann man sich nicht ausmalen und vorstellen“, sagt sie. Und fügt grinsend hinzu: „Es ist gut, dass ich heute Morgen noch nix gefrühstückt habe.“ Ob sie wieder einsteigen würde? „Ich würde ja gern mal mit meinem eigenen Auto, ich hab‘ einen Mini, da drüberfahren. Aber ich glaube, da muss man die Augen mehr hinten als vorn haben und sich selbst und vor allem die anderen richtig einschätzen können.“
Drei Jungs aus der westlichen Eifel, angereist mit einem 5er BMW – Luxemburger Kennzeichen, schneeweiß, Doppelauspuffanlage – sind mit die ersten, die um kurz vor neun da sind. Um sieben in der Früh hatten sie sich morgens zu Hause auf den Weg gemacht. „Es gibt einfach nichts, was Dich mehr packt als diese Strecke, wenn Du ein Herz für schnelle Autos hast“, beteuert das Trio.
Selbstverständlich gehöre ein großes Stück Vertrauen dazu, sich neben oder hinter den Kumpel zu setzen, wenn der gerade seine Runde dreht. „Keiner von uns macht etwas Unüberlegtes. Wir haben die Augen mehr im Rückspiegel als sonst wo. Wir sind nicht zum ersten Mal da.“ An so einem Tag gehe es nicht nur ums Fahren. „Wir gucken, welche Autos noch alle da sind, fachsimpeln. Schauen, wer alles an der Schranke steht.“ So ein Nordschleifentag, das sei einfach Emotion pur rund ums schnelle Autofahren, schwärmen sie.
Kein ganz günstiges Vergnügen
Die Annahme, dass das alles keine ganz preisgünstige Chose ist, relativieren sie schnell. An Feiertagen und von Freitag bis Sonntag kostet eine Runde Nordschleife 35 Euro. Von Montag bis Donnerstag 30 Euro. Sprit hin und zurück noch obendrauf. „Andere fahren halt ihrem Fußballverein das ganze Jahr quer durch die Republik hinterher, gehen an jedem Wochenende irgendwo in Deutschland ins Stadion, kaufen sich Schals, T-Shirts ihres Vereins. Das kostet auch eine ganze Stange Geld.“
Der Nürburgring, klar, das ist ein in Deutschland wohl unerreichter Mix aus Tradition und Motorsport, aus Emotion und Benzingeruch – Racing für Liebhaber. Wer einen Blick in das Programm der Nürburgring 1927 GmbH für das Jahr 2024 wirft, wird auf genau diesen Mix treffen.PS und Party: Der Nürburgring lebt die Vielfalt – Blick in das Programm für 2024
Der Streckenbetreiber äußert sich positiv. „Wir hatten pro Tag 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den verschiedensten Bereichen im Einsatz. Mit dem Saisonauftakt können wir sehr zufrieden sein. Wir hatten trotz eines regnerischen Samstags am gesamten Wochenende einen sehr guten Zuspruch“, teilt Nürburgring-Sprecher Alexander Gerhard auf Anfrage mit.
Allen Beteiligten ist wichtig zu betonen, dass die Touristenfahrten auf der Nordschleife keine Wildwest-Veranstaltungen sind. Kein Rodeo auf Schlappen, die in keinen Radkasten mehr passen. Dafür, dass alles in geregelten und vor allen Dingen sicheren Bahnen abläuft, sorgen an einem ganz normalen Tag die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Streckensicherung. Aus Liebe zur Nordschleife.
Infos zu den Touristenfahrten gibt es im Internet unter www.ku-rz.de/gasgeben
Phänomen Carfriday: Wenn der Ring an Karfreitag bebt
In der nächsten Woche wartet der Nürburgring mit dem nächsten jährlichen Großevent auf. Dann wird regelmäßig aus dem Karfreitag der Carfriday: Tausende Autobegeisterte stellen dann in der Regel die Eifel auf den Kopf. Die PS-Jünger reisen aus ganz Deutschland an. Es geht bei diesem Schweller-und-Flügel-Festival aber auch sehr oft in die Grauzone des Tuningbereiches. Was ist noch (geradeso) erlaubt an Veränderungen am eigenen Fahrzeug und was nicht mehr? Dass die Polizei an diesem Tag mit erheblich größerer Präsenz aufwartet als sonst, hat sich natürlich herumgesprochen. Im vergangenen Jahr gab es jedoch außer ein paar kleineren Blechschäden-Unfällen keine besonderen Vorkommnisse. Außer natürlich kilometerlangen Staus. Und die werden auch in diesem Jahr kaum zu vermeiden sein. jcb