Im überwiegenden Teil sei das sogenannte Microtargeting von dem Ministerium aber rechtlich unbedenklich verwendet worden, erklärte der Medienrechtler Gernot Lehr bei der Vorlage des Gutachtens im Digitalisierungsausschuss des Landtags. Die rund 40.000 Euro teure Expertise war vom Klimaschutzministerium in Auftrag gegeben worden.
Die jetzige Ministerin Katrin Eder (Grüne) betonte im Ausschuss, die Praxis sei „absolut falsch“ gewesen, das habe sie bereits im Parlament gesagt. Sie verwies darauf, dass ihre Vorgängerin Anne Spiegel (Grüne), die jetzt Bundesfamilienministerin ist, das Microtargeting nach einem kritischen Beitrag der ZDF-Sendung Magazin Royale mit Jan Böhmermann im Oktober 2021 gestoppt habe (wir berichteten).
Sie gehe davon aus, dass Spiegels Vorgängerin Ulrike Höfken (Grüne) nichts von der Praxis gewusst habe, sagte Eder, die seit vergangenem Dezember Klimaschutzministerin ist, weiter. Höfken schied Ende 2020 infolge einer Beförderungsaffäre in ihrem Ministerium aus dem Amt, und die damalige Familienministerin Spiegel übernahm zusätzlich das Ressort.
Die Fraktionen der CDU und Freien Wähler kündigten an, den Landesrechnungshof um eine Prüfung des Falls zu bitten. Die vorgestellte, gutachterliche Stellungnahme habe mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert, teilten die beiden Fraktionen mit. Stephan Wefelscheid, parlamentarischer Geschäftsführer der Freien Wähler, kritisierte, dass die Kanzlei keine eigene Evaluation der Daten vorgenommen habe, sondern lediglich auf Vorlagen des Ministeriums zurückgegriffen habe. Wefelscheid fragte: „Warum wurden die 174 Werbeanzeigen nicht einer Einzelfallbewertung unterzogen?“ CDU-Abgeordneter Peter Moskopp bemängelte, dass das Klimaschutz- und Umweltministerium, allen voran Ministerin Eder, bemüht seien, „die verfassungswidrige Werbepraxis kleinzureden“. Moskopp regte an, die gesamte Onlinewerbepraxis der Landesregierung, aller Ministerien und nachgeordneter Behörden zu hinterfragen.
Öffentlichkeitsarbeit müsse neutral sein
Ein Ministerium darf nicht mit Steuergeld Parteiwerbung treiben. Laut Gutachten wurden im September 2018 von der Pressestelle des Umweltministeriums die Zielgruppen neu definiert und auch das Merkmal „Bündnis 90/Die Grünen“ als eines von vielen weiteren Kriterien aufgenommen.
Es liege in der Natur des Ressortzuschnitts, dass die von einem Klimaschutzministerium bearbeiteten Themen mit großer Wahrscheinlichkeit bei Personen, die den Grünen nahestehen, auf erhöhtes Interesse stoßen, gab Medienrechtler Lehr zu bedenken. Das Ministerium habe innerhalb von drei Jahren seit September 2018 rund 10.600 Euro für das Microtargeting ausgegeben. Das sei ein vergleichsweise niedriger Beitrag im Posten für die Öffentlichkeitsarbeit. Lehr erklärte weiter, Microtargeting sei ein „effizientes“ und „sparsames“ Instrument im staatlichen Informationshandeln. Allerdings müsse die Öffentlichkeitsarbeit neutral sein.
Wichtig sei auch, dass bei dem Microtargeting hierzulande keinerlei psychometrische Daten verwendet worden seien – eine Methode, die etwa das frühere Datenanalyseunternehmen Cambridge Analytica 2016 im Wahlkampf des späteren US-Präsidenten Donald Trump verwendet haben soll. Dabei sollen Nutzer nach Merkmalen wie Offenheit und Gewissenhaftigkeit eingestuft worden sein. Einen Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz sehe er nicht, sagte Lehr. Eder erklärte, es sei noch nicht klar, wie ihr Ministerium künftig mit Microtargeting umgehen werde.
Bastian Hauck/dpa