Ob Worms, Andernach oder einzelne Koblenzer Stadtteile – wer im Internet das Stichwort „Rattenplage“ eingibt, findet über Jahre immer wieder Meldungen über die Ausbreitung der Nager. Jetzt warnen Verbände und Unternehmen davor, dass sich die Rattensituation in Städten und Gemeinden „dramatisch verschärfen“ könnte. Grund dafür sind Überlegungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die Zulassung von Rattengift für Privatpersonen ab 2026 möglicherweise nicht zu verlängern.
In einem „Brandbrief“, der unter anderem vom Deutschen Raiffeisenverband, dem Industrieverband Argrar, dem Zentralverband Gartenbau und dem Deutschen Schädlingsbekämpfer Verband unterzeichnet wurde, wird vor diesem Schritt gewarnt: Wenn Privatpersonen sogenannte Rodentizide, die für Ratten-Fraßköder verwendet werden, nicht mehr einsetzen dürften, drohten auf Sicht größere Rattenplagen. Professionelle Schädlingsbekämpfer hingegen könnten nicht genug gegen die Ausbreitung der Nager tun, denn die Firmen leiden wie andere Branchen auch unter Personalmangel.
Ratten können mehr als 100 Infektionskrankheiten übertragen
Private Maßnahmen seien nach wie vor notwendig, da schon ein einziges Rattenpaar in Haus und Garten unter günstigen Bedingungen jährlich Hunderte von Nachkommen zeugen kann. Einige Experten schätzen die aktuelle Population bereits jetzt auf drei bis vier Ratten pro Einwohner in Städten, andere Forscher halten diese Zahl für übertrieben. Fakt ist: Ratten können mehr als 100 Infektionskrankheiten übertragen. Dazu kommen Sachschäden in großer Höhe durch den Befall.
Bei den zur Verfügung stehenden Rattengiften wird unterschieden zwischen hochwirksamen Bioziden, die nur von ausgebildeten Schädlingsbekämpfern und Personen mit einem sogenannten Sachkundenachweis eingesetzt werden dürfen, und Rattengiften oder -ködern mit einem schwächeren Wirkstoff, die (noch) frei verkäuflich sind, seit dem 1. Januar 2025 aber nur mit einer vorhergehenden Beratung.
Die für die Zulassung zuständige Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin mit Sitz in Dortmund will nun bis 31. Dezember 2025 die Rattengift-Zulassung neu bewerten. Der Ausgang sei offen, heißt es. In Fällen von vereinzelt auftretenden Nagetieren im Privatbereich sind der Bundesanstalt zufolge Schlagfallen gegenüber Rodentiziden vorzuziehen. Dass diese laut den Brandbrief-Verbänden keinen ausreichenden Erfolg hätten, sei nicht richtig. Bei größeren Fällen mit einem „etablierten Schädlingsbefall“ sei ohnehin ein professionelles Schädlingsbekämpfungsunternehmen – das weiterhin Rodentizide einsetzen darf – aufgrund des benötigten Fachwissens unumgänglich.
Prinzipiell sieht die Behörde das Rattengift kritisch, denn es könne einen qualvollen und tagelangen Tod der Tiere durch inneres Verbluten zur Folge haben. Zudem berge es Gefahren für Haustiere und Umwelt. So könnte es auch an andere Tiere geraten, beispielsweise wenn diese die Kadaver der Ratten fressen. Gemäß dem EU-Biozidrecht seien die Stoffe daher grundsätzlich nicht genehmigungsfähig.
Nicht nur die Zieltiere, also Mäuse und Ratten, können sich mit den blutgerinnungshemmenden Produkten vergiften, sondern auch alle Wirbeltiere Fische, Reptilien, Vögel, Säugetiere und auch Menschen, warnt der Verein „Aktion Tier – Menschen für Tiere“. Nicht fachmännisch ausgelegt, können zum Beispiel gefräßige Hunde das Gift aufnehmen. Oder Vögel, die gerade Giftweizen sehr verlockend finden. Schlimmstenfalls stopft sich auch ein neugieriges Kleinkind in einem unbeobachteten Augenblick das Rodentizid in den Mund.
Wirkung der Gifte setzt erst Tage später ein
Selbst wenn das Gift nicht direkt gefressen wird, könne es in den Körper zum Beispiel von Eulen, Bussarden und Iltissen gelangen, die verseuchte Mäuse und Ratten erbeuten. Die Wirkung der modernen Rodentizide setzt erst nach drei bis sieben Tagen ein, damit die schlauen Ratten keine Verbindung zum Fraßköder herstellen. In dieser Zeit verhalten sich die kontaminierten Tiere normal und werden daher als Beute gesehen.
Durch Gift verendete Ratten und Mäuse stellen eine Gefahr dar, wenn sie nicht schnell beseitigt werden. Aasfresser wie Krähen und Füchse nehmen sie als willkommene Mahlzeit und vergiften sich dadurch selbst. Auch der Deutsche Tierschutzbund würde laut Nachrichtenagentur dpa eine Nichtverlängerung der Zulassung für Privatpersonen begrüßen, unter anderem wegen der Schäden für Tiere und Umwelt. Hinter dem „Brandbrief“ vermutet man durchaus auch wirtschaftliche Interessen.
„Das Problem ist der Mensch.“
Christian Steines, Schädlingsbekämpfer aus Bad Kreuznach
Christian Steines, Schädlingsbekämpfer aus Bad Kreuznach, erklärt auf Anfrage unserer Zeitung: „Das Problem ist der Mensch.“ Solange Mülltonnendeckel offenstehen, neben den Tonnen Säcke mit Lebensmittelverpackungen liegen, Essensreste in der Toilette oder auf dem Kompost entsorgt werden und Vogelfutter ausgestreut wird, lockt man damit Ratten an. Es müsse deutlich mehr Aufklärung betrieben werden, um dem Problem vorzubeugen. In der Praxis sehe er täglich, was solch fahrlässiges Fehlverhalten zur Folge hat: „Natürlich haben wir dadurch immer wieder Rattenprobleme, auch in Gebäuden.“
Nur: Mit einer Falle sei dem nicht beizukommen, denn wo ein Tier ist, sind meist mehrere, und Ratten vermehren sich schnell, können Hunderte Nachkommen in die Welt setzen. Nicht zuletzt müssten auch Fallen zugriffsgeschützt vor anderen Tieren und Menschen aufgestellt, die Zuläufe in den Keller zum Beispiel gefunden und abgedichtet werden. Das sei vor allem für ältere Menschen gar nicht machbar.
Privatleute müssen mithelfen
Die ganze Problematik sei ein „zweischneidiges Schwert“, so Steines. Einerseits bestehe bei Privatpersonen die Gefahr unsachgemäßer Anwendung auch der (noch) freiverkäuflichen Mittel, was andere Tiere und womöglich Menschen schädigen kann. Mal abgesehen davon, dass im Internet sogar Gifte angeboten werden, die in Deutschland nur in die Hand eines ausgebildeten Fachmanns gehören. Andererseits könnten es die Fachfirmen tatsächlich nicht kompensieren, wenn Private, zu denen auch Landwirte, Winzer und so weiter gehören, kein Gift mehr auslegen dürften – zumindest solange die von Menschen produzierten Nahrungsquellen für die Nager nicht merklich eingedämmt werden. Wozu letztlich auch Essensreste auf Sportstätten, Kinderspielplätzen und in öffentlichen Anlagen gehören.
Ratten auf Spielgeräten etwa seien als Gefahr nicht zu unterschätzen, denn die Tiere verbreiten Viren und Bakterien, die spielende Kinder aufnehmen und infizieren können. Problem erkannt, was aber ist mit dem Tierschutz? Da ist die Meinung von Unternehmer Christian Steines kristallklar: „Rattenbekämpfung und Tierwohl zusammen gibt’s nicht.“
Andernach. In bundesdeutschen Städten leben groben Schätzungen zufolge doppelt bis dreimal so viele Ratten wie Menschen. Andernach dürfte da keine Ausnahme sein. In der Altstadt, insbesondere im Bereich des Steinwegs und des Marktplatzes, wurden die nachtaktiven Tiere allerdings in den vergangenen ...Stadt gibt 80.000 Euro für Bekämpfungsmaßnahmen aus: Hat Andernach ein Rattenproblem?
Die Unterzeichner des Briefs äußern Bedenken, dass die BAuA den Umweltschutz offenbar höher bewertet als den Gesundheitsschutz der Bevölkerung, den Infektionsschutz und den Schutz von Sachgütern. Sie betonen, dass es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse gebe, die auf ein verändertes Risiko hinweisen und somit die geplanten Änderungen an der aktuellen Zulassungssituation rechtfertigen würden. Gleichzeitig fordern sie einen „ganzheitlichen Lösungsansatz unter Einbezug aller Akteure und Methoden“.
Der Koblenzer Landtagsabgeordnete Stephan Wefelscheid (Freie Wähler) hat das Thema ebenfalls ausgegriffen und erklärt: „Wenn wir den Bürgern die Möglichkeit nehmen, selbst auf einen möglichen Schädlingsbefall kurzfristig zu reagieren, dann schaffen es die professionellen Dienstleister der Schädlingsbekämpfungsbranche personell keinesfalls das zu kompensieren. Zudem kostet der Einsatz von Profis im Privathaushalt durchschnittlich rund 400 Euro, das ist für viele eine spürbare Belastung, zumal solche Befälle gerade im städtischen Raum auch immer wieder auftreten können.“
Vorbeugen gegen Schädlinge
Jeder kann mithelfen, eine übermäßige Population von Ratten zu vermeiden. Folgende Ratschläge sollten befolgt werden: wilde Mülldeponien und die Lagerung von Abfällen und Sperrmüll für längere Zeit vermeiden. Futtermittel sollten immer unerreichbar für Ratten in dicht schließenden Behältnissen aufbewahrt werden. Vogelfutter nicht am Boden ausbringen. Die Fütterung von Enten, Schwänen, Vögeln oder Tauben sollte unterbleiben. Lebensmittel- oder Tiernahrungsreste im Gelben Sack an für Ratten schlecht erreichbaren Plätzen zwischenlagern und erst am Morgen des Abholtages auf die Straße stellen. Die Deckel von Mülltonnen stets geschlossen halten. Gekochte Essensreste und tierische gehören nicht auf den Kompost. Weitere Infos: www.umweltbundesamt.de/wanderrattems