Auf dem Foto winkt ein kleines blondes Mädchen seinem Papi zu. Das niedliche Bild wirkt harmlos. Aber der „Papi“ sitzt hinter Gittern. Die Aufnahme ginge ihm nicht nur emotional unter die Haut, wenn er es denn im Original in Händen halten könnte: Das Bild ist vollgesogen mit farb- und geruchslosen Drogen. „Früher waren wir dafür blind“, sagt Jörn Patzak, der Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wittlich. Heute wird die gefährliche Post von einem Scanner erkannt. Der Gefangene erhält sie allenfalls in Kopie.
Keiner konnte sich früher erklären, warum ein Gefangener plötzlich high oder sogar auf einem Horrortrip war und kollabierte. Aber dann hat Patzak 2018 den ersten Ionenscanner installiert, der auf Papier geträufelte psychoaktive Stoffe (NPS) enttarnt – anders als übliche Schnelltests und Spürhunde. Das Wittlicher Modell „wird zum Exportschlager“, berichtet der frühere Trierer Staatsanwalt stolz, der schon in dieser Funktion Drogenkriminalität bekämpfte.
Fast alle Bundesländer kommen zur Schulung nach Wittlich
Nahezu alle Bundesländer lassen seit 2020 ihr Personal in Wittlich an Geräten schulen, die die mit einer Datenbank beim Landeskriminalamt (LKA) in Mainz gekoppelt sind. Beim LKA habe das Dezernat Chemie den IonScan, der eigentlich Sprengstoff an Flughäfen aufspüren soll, als Drogendetektor umfunktioniert, indem man „eine Datenbank mit den gängigsten neuen psychoaktiven Stoffen - vor allem synthetischen Cannabinoiden - aufgebaut hat“, sagt der 53-jährige Experte. So erfahren die Justizvollzugsbeamten schnell, um welchen von inzwischen 89 erfassten Substanzen es sich auf einem Brief handelt. Die Länder beteiligen sich auch an den Kosten.
Das Verfahren ist recht simpel: Ein weißer Teststreifen wird über möglicherweise mit NPS beträufeltes Papier gezogen und im Drogenscanner analysiert. Das Ergebnis steht dann in kurzer Zeit fest. Tauchen neue Stoffe auf, vermisst das LKA sie und aktualisiert damit die Datenbank des Gerätes. Denn die Hersteller der synthetischen Drogen verändern ständig die Inhaltsstoffe, um Drogenfahndern zu entgehen.
Große Gewinnmarge
Patzak rechnet damit, dass das Wittlicher Projekt auch in Europa Furore machen wird. Denn sein Vortrag beim Europarat in Straßburg sei bei Experten aus 40 Ländern auf großes Interesse gestoßen. Seit 2023 beteiligten sich bereits die Niederlande an dem Modell. Luxemburg will 2025 folgen. Vom Austausch der Daten profitiere auch Deutschland.
Mindestens so wichtig ist für den Leiter des Projekts der Drogenerkennung im Justizvollzug Rheinland-Pfalz, dass zumindest EU-Länder mit Verboten auf die sogenannten „Legal Highs“ reagieren. „Spanien war noch bis vor einigen Jahren ein Hotspot“, so Patzak. Verbote werden die Produktion nicht verhindern. Die kriminellen Anbieter weichen nur aus – in Länder, wo sie keine Strafverfolgung befürchten müssen. Denn das Geschäft mit den offen im Internet angebotenen NPS ist einfach zu lukrativ: „Eine Konsumeinheit, die auf das Karo eines Rechenblatts passt, kostet in der Herstellung einen Cent, eine Seite mit mehr als 500 Trips vielleicht 5 Euro. Sie wird aber für 100 bis 200 Euro verkauft“, berichtet der JVA-Leiter, der sich der Drogenproblematik auch als Honorarprofessor an der Uni Trier widmet. Diese Gewinnmarge lasse sich nicht mit klassischen Drogen erzielen.

Die meisten Stoffe sind in Deutschland entweder mit dem Betäubungsmittelgesetz oder dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NpSG) verboten. Aber sie sind bei Händlern, die zumeist im Ausland sitzen, im Internet zu kaufen. Gefasst werden allenfalls Lieferanten in Deutschland, wie eine Frau, die ihrem in Wittlich inhaftierten Freund 66 Blatt Papier schickte und ebenfalls eine Gefängnisstrafe kassierte – zunächst auf Bewährung.
Die Substanzen werden mit Lösungsmitteln wie Aceton verflüssigt und auf Papier auftragen, „wo sie – wenn es gut gemacht ist – praktisch unsichtbar sind“. Man kann inzwischen auch fertige „Knast-Papiere“ kaufen, berichtet der JVA-Leiter. Das präparierte Papier wird in kleine Schnipsel geschnitten, mit Tabak gemischt und geraucht.
Risiko Überdosis
„Das Hauptproblem ist die hohe Potenz der Stoffe. Für einen Rauschzustand bei Cannabis braucht man circa 15 Milligramm THC, die wirksame Dosis bei den synthetischen Cannabinoiden liegt je nach Stoff aber zwischen 0,1 Milligramm und 5 Milligramm. Damit ist die Gefahr der Überdosierung extrem hoch. Die Folge sind: Angstzustände, Panikattacken, Psychosen, Verwirrtheit, Aggressivität und neurologische Symptome über Koma bis hin zum Tod“, berichtet Patzak.
Deshalb muss oft ein Notarzt gerufen werden, zumal ahnungslose Mitgefangene als „Versuchskaninchen“ missbraucht würden. Dass man es bisher in Rheinland-Pfalz verhindern konnte, dass ein Gefangener nach NPS-Konsum verstorben ist, „betrachte ich als großen Erfolg. Aber auch das ist nur eine Frage der Zeit“, meint der Fachmann bitter.
„Gefängnisse gelten als der beste Drogenmarkt.“
Jörn Patzak, der Leiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wittlich
Gefängnisse gelten „als der beste Drogenmarkt, den es gibt“, berichten ehemalige Gefangene wie auch Leiter von JVAs. Da stellt sich die Frage, warum nicht jedes der zehn Gefängnisse im Land über einen Scanner verfügt. Denn bisher werden acht mit den Geräten von Wittlich und Trier angefahren. Mit Blick auf die Beschaffungskosten und den personellen Aufwand sei man im Land aber „mit zwei im Justizvollzug eingesetzten Geräten (plus eines im LKA) gut ausgestattet“, meinen Patzak wie das Ministerium zu den Stichproben. In allen Anstalten seien regelmäßige Tests möglich – vor allem bei „bekannten Pappenheimern“.
Aber in Niederachsen sind sieben von insgesamt dreizehn Anstalten inzwischen trotzdem dazu übergegangen, die eingehende Post – mit Ausnahme der Verteidigerpost und Post von Volksvertretungen – nur noch in Kopie auszuhändigen, damit keine psychoaktiven Substanzen eingeschmuggelt werden, wie der Sprecher des Justizministeriums, Marcel Holthusen auf Anfrage berichtet.

Diese Praxis hält Patzak in der größten JVA des Landes mit fast 600 Gefangenen und beim Eingang von täglich mindestens 100 Briefen organisatorisch und personell „nicht für leistbar“. Das Ministerium macht grundsätzliche Bedenken geltend. „Ein handschriftlicher Brief kann für die Gefangenen in der Haftsituation einen Wert an sich darstellen.“ Daher stelle ein vermehrter Einsatz der Drogendetektionsgeräte „in milderes und gleichsam wirksames Mittel dar“, um Drogenkonsum zu begegnen. In Wittlich wird aber die mit dem Drogenscanner positiv getestete Post kopiert und damit ein Einschmuggeln in die Anstalt verhindert.
Trotzdem: „Es wird immer Wegen geben, Drogen in Gefängnisse zu schmuggeln“, ist sich Patzak mit Kollegen einig. Allerdings können Häftlinge in Rheinland-Pfalz nicht auf mit NPS getränkte Jeans oder T-Shirts hoffen. „Kleiderpakete sind hier gesetzlich verboten“, erklärt Patzak. Wer vor Gericht nicht in dem anstaltstypischen weinroten Jogginganzug erscheinen will, muss auf seine beim „Einzug“ versiegelte Kleidung zurückgreifen oder sich nagelneue bei erlaubten Händlern bestellen. Das erspart die Arbeit, solche Geschenke zu scannen oder auch zu waschen.