„Für immer“ steht auf einer Trauerschleife an einem Blumengesteck – es steht vor dem Haus in Weitefeld (Kreis Altenkirchen), in dem vor zwei Monaten drei Menschen brutal getötet wurden. Dass dort noch immer Dutzende Kerzen flackern, zeigt, wie tief die grauenvolle Tat in dem 2200-Seelen-Ort noch immer wirkt. In dem Wohnhaus starben an einem Sonntag Anfang April drei Mitglieder einer Familie, ein Ehepaar und ihr 16 Jahre alter Sohn.
Seit dem 6. April ist die Welt in Weitefeld eine andere. An jenem Sonntag alarmierte um 3.45 Uhr in der Nacht die zu diesem Zeitpunkt noch lebende Frau den Notruf. „Beim Eintreffen der Polizei konnten nur noch die drei Leichen, die sich in einem Raum befanden, vorgefunden werden“, hieß es in einer frühen Pressemeldung der Polizei. Schuss- und Stichwaffen seien zum Einsatz gekommen. Die Polizisten sahen noch einen Mann flüchten – dabei dürfte es sich um den Täter gehandelt haben.

Einen Tag später begann die Öffentlichkeitsfahndung nach dem Tatverdächtigen: Seitdem wird international nach dem 61-jährigen Alexander Meisner aus dem Nachbarort Elkenroth gefahndet. Bislang ohne konkretes Ergebnis: „Er ist nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt. Es gibt keinerlei Lebenszeichen von ihm“, erklärt der Leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler auf erneute Anfrage unserer Zeitung.
Zentrale Fragen sind nach wie vor offen: „Derzeit spricht vieles dafür, dass Täter und Opfer durch kein Verhältnis miteinander verbunden waren“, sagt Mannweiler. Auch ein Motiv sei nicht bekannt. „Ebenso wissen wir nicht, in welchem psychischen Zustand der Tatverdächtige sich befunden hat und was ihn in dieser Nacht angetrieben hat.“ Es könne grundsätzlich nichts ausgeschlossen werden, teilt auch Polizei-Pressesprecher Jürgen Fachinger mit.

Hat sich Meisner ins Ausland abgesetzt? Schwer zu sagen. Anzeichen dafür gebe es trotz weltweiter Fahndung nicht, teilte die Staatsanwaltschaft Koblenz der dpa mit. Der Tatverdächtige sei mit einer blutenden Verletzung zu Fuß geflohen. Seine Spuren verlieren sich demnach „im weitläufigen Gelände um Weitefeld und Elkenroth“. Es gebe keinerlei Hinweise auf Mittäter oder Helfer, hieß es weiter.
Mit dieser Unsicherheit müssen die Menschen in und um Weitefeld nun also seit zwei Monaten leben. Viele schließen noch immer die Haustür doppelt ab, wenn sie nach Hause kommen. Die Polizei reagiert auf diese Situation mit weiterhin verstärkter Polizeipräsenz. „Es ist uns ein Anliegen, den Bürgerinnen und Bürgern ein entsprechendes Sicherheitsgefühl zu vermitteln, um deren Weg in die Normalität zu begleiten“, sagt Polizeisprecher Fachinger. Und: „Dabei wissen wir aber sehr wohl, dass die wirkliche Normalität bei vielen vermutlich erst mit Ergreifen beziehungsweise Auffinden des Tatverdächtigen zurückkehren wird und dass teilweise immer noch eine gewisse Unsicherheit vorherrscht.“
„Es wäre gut, wenn er noch leben würde, damit die Angehörigen eine Chance haben, zu erfahren, warum er das gemacht hat.“
Weitefelds Ortsbürgermeister Karl-Heinz Keßler (parteilos)
Davon könnte Weitefelds Ortsbürgermeister Karl-Heinz Keßler ein Lied singen, doch dem parteilosen Kommunalpolitiker ist keineswegs nach Singen zumute. Die Tat hat auch sein Leben einige Wochen auf den Kopf gestellt. Mit einem Mal standen der 68-Jährige und „sein“ Dorf im Fokus einer bundesweiten Berichterstattung. „Das war eine harte, harte Zeit. Aber da muss man halt durch“, sagt Keßler im Gespräch mit unserer Zeitung. Auch fast zwei Monate nach der Tat bekommt der 68-Jährige noch regelmäßig Presseanfragen. Diese blocke er allerdings (fast) immer ab, denn es sei vorerst „eigentlich alles gesagt“.
Was die Menschen in und um Weitefeld besonders beschäftigt, ist die Frage nach dem Warum. Keßler sagt über Meisner: „Es wäre gut, wenn er noch leben würde, damit die Angehörigen eine Chance haben, zu erfahren, warum er das gemacht hat.“ Im Dorf werde weiterhin viel über den Aufenthaltsort und Gesundheitszustand von Meisner spekuliert. „Die meisten sagen, der ist abgehauen, längst in Russland oder Kasachstan. Die anderen sagen, dass er hier tot irgendwo liegt oder untergekommen ist, sich vielleicht sogar mit Gewalt einen Unterschlupf bei Menschen gesucht hat.“

„Es kann auch sein, dass er tot ist“
Als die Polizei am Morgen des 6. April eine Mitteilung veröffentlichte und von einem „Kapitaldelikt“ in Weitefeld berichtete, konnte niemand ahnen, was diese Neuigkeit für die Region bedeuten würde. Ein Monat ist seitdem vergangen.
Die Polizei sei in Weitefeld weiter präsent und suche regelmäßig Gelände ab. Keßler: „Auch mit größeren Einheiten. Etwa bei der Tierauffangstation Weitefeld, beim Elkenrother Weiher – und auch an Orten, wo sie wegen Nässe vorher nicht durchkamen.“ Trotz alledem scheint Weitefeld sich langsam, aber sicher wieder in Richtung Alltag zu kämpfen. Beispiel: Schulbesuche: „Das hat sich eigentlich wieder normalisiert“, sagt Keßler. „Die Kinder hört man morgens und mittags wieder. Die laufen wieder in die Schule.“ Ebenso erfreulich: „Es wird wieder Fußball gespielt, die Kinder sind wieder auf den Spielplätzen.“
Doch von einem Normalzustand wie vor der Tat könne noch nicht die Rede sein. „In den Hinterköpfen ist das alles immer noch vorhanden. Vergessen ist das natürlich nicht. Das sagen mir die Leute auch“, berichtet Keßler nachdenklich. Doch allmählich könnten „normale Bürgermeistertätigkeiten“ so langsam wieder in den Vordergrund rücken, sagt der Ortsbürgermeister. Sprich: Ratssitzungen oder Feste von Vereinen.

Gewalttat im Westerwalddorf: Auf einmal mittendrin
„Etwas ist geschehen, das keiner so recht erklären kann.“ So beschreibt der Trierer Soziologe Michael Jäckel in seinem Gastbeitrag für unsere Zeitung die Situation in und um Weitefeld. Ein nachdenklicher Text über ein Verbrechen und die Folgen.
Ruhiger geworden ist es auch am Hinweistelefon der Polizei. Dort gehen zwei Monate nach der Tat nur noch wenige Hinweise ein, Polizeisprecher Fachinger beziffert die bisherige Zahl auf mehr als 1850. Das ist sehr viel. Alle wurden erfasst und überprüft – und das hört auch nicht auf: „Gehen Hinweise auf einen vermeintlich konkreten Aufenthaltsort ein, werden diese natürlich auch zeitnah überprüft. Das kann sowohl im Bereich Weitefeld/Elkenroth als auch andernorts der Fall sein“, sagt Fachinger.
Die Polizei lasse nicht nach in ihrem Bemühen, die Tat aufzuklären, auch wenn die Organisationsform inzwischen angepasst wurde, „was aber nicht zu Informations- oder Reibungsverlusten führt“, so Fachinger. „Es ist auch jetzt so, dass Kolleginnen und Kollegen ausschließlich mit den Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen zu diesem Fall betraut sind.“ Die Anzahl könne allerdings variieren, insbesondere dann, wenn Kräfte der Bereitschaftspolizei oder sonstiger Einheiten in die Maßnahmen einbezogen werden.
„Die Ermittlungen zum Tatgeschehen werden nach wie vor von unserer Mordkommission bei der Kriminaldirektion Koblenz geführt, die Fahndungskomponente sowie die Präventionsmaßnahmen werden vom LKA und der Polizeidirektion Neuwied koordiniert, wobei sich alle beteiligten Organisationseinheiten eng austauschen.“ Darüber hinaus, betont Fachinger, erfolge ein persönlicher und vertrauensvoller Austausch mit den kommunalen Entscheidungsträgern im Landkreis Altenkirchen. Man tut eben, was man tun kann.
10.000 Euro Belohnung ausgesetzt: Wo ist Alexander Meisner?
Seit Montag, 7. April, wird per Öffentlichkeitsfahndung nach Alexander Meisner gesucht. Der Mann mit kasachischem Hintergrund lebte zuletzt in Elkenroth, wenige Kilometer von Weitefeld (beides Kreis Altenkirchen) entfernt. Der 61-Jährige gilt als gewalttätig, hat eine einschlägige Vorgeschichte, saß auch schon jahrelang im Gefängnis. Laut Fahndungsaufruf ist er 1,74 Meter groß, wiegt 74 Kilogramm, hat braune Haare und blau-graue Augen. Besondere Merkmale sind Narben am rechten Oberarm, am linken Unterarm sowie an der Augenbraue. Auf dem linken Handrücken trägt er ein Tattoo, das „Katja“ in russischer Schreibweise zeigt. Die Staatsanwaltschaft hat für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, eine Belohnung in Höhe von 10.000 Euro ausgesetzt. Hinweise an die Polizei unter Telefon 0261/10350399. red