Habt ihr damit gerechnet, dass die Pandemie fast das ganze Jahr 2020 bestimmen wird?
Liesa: Als Anfang des Jahres vom Virus in China die Rede war, dachte ich: Vielleicht bleibt es ja dort. Als die ersten Fälle in Europa auftauchten, ahnte ich, dass wir viel stärker davon betroffen sein würden, als wir es uns vorstellten konnten. Aus meinem Freundeskreis sind viele im Frühjahr 18 Jahre alt geworden – und alle mussten ihre Geburtstagsfeiern absagen, die sie lange im Voraus geplant hatten. Ich bin im Mai 18 geworden – und habe auch alles abgesagt. Das war sehr schade.
Helen: Ich dachte zuerst, Sars-CoV-2 ist so etwas wie Ebola, bleibt in einem Land oder zumindest auf einem Kontinent, und dann tangiert es uns quasi nicht. Aber dann kam es anders. Ich habe Angst, mich anzustecken – aber nicht wegen mir, sondern wegen meiner Mutter, weil sie zur Risikogruppe gehört und es für sie gefährlich werden könnte. Deshalb habe ich die ganzen Schutzmaßnahmen direkt sehr ernst genommen. Nach dem Einkaufen beispielsweise wasche und desinfiziere ich mir die Hände sofort, weil ich denke: Doppelt gemoppelt hält besser. Wenn meine Mutter einkaufen geht, macht sie das früh am Morgen, wenn noch nicht so viele Leute im Supermarkt sind. Aber meistens erledigt die Einkäufe jemand aus unserer Familie, damit sie – so weit es geht – isoliert ist.
Liesa: Am Anfang ist mein Vater immer einkaufen gegangen, damit nicht jeder von uns in den Supermarkt musste.
Welche Pläne musstet ihr in diesem Jahr über den Haufen werfen?
Liesa: Ich wollte eigentlich im Sommer nach dem Abitur zu einer Freundin in die USA fliegen und mit ihr durch Amerika reisen. Das musste ich abblasen. Ich habe dann beschlossen, schon im Wintersemester mit meinem Studium anzufangen.
Helen: Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, nach Schottland zu reisen. Aber das habe ich mir direkt aus dem Kopf geschlagen.
Jetzt hat sich die Corona-Situation noch mal deutlich verschärft. Nehmt ihr das als erste große Krise in eurem Leben wahr?
Liesa: Diese Pandemie kann niemand verhindern. Die Gefahr, sich anzustecken, ist zurzeit relativ hoch. Aber man lernt, damit zu leben. Man nimmt etwa automatisch die Maske mit, wenn man das Haus verlässt. Manchmal habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich in Mannheim, wo ich studiere, in die S-Bahn steige, und mir kommen andere Menschen zu nah. Dann drehe ich mich weg und bin froh, wenn ich endlich aussteigen kann.
Helen: Es beeinflusst das Leben von allen. Man merkt, dass man die Ausnahmesituation akzeptiert hat. Die Maske wird genauso selbstverständlich eingepackt wie der Haustürschlüssel. Es ist Normalität geworden – genauso wie Händeschütteln etwas ganz Obskures geworden ist.
Liesa: Wenn ich mal niesen oder husten muss, habe ich das Gefühl, ich werde von allen komisch angeguckt, und dann versuche ich, es zu unterdrücken.
Helen: Wenn ich Klopapier einkaufe, habe ich auch das Gefühl, ich werde von allen komisch angeschaut. Dabei hamstere ich nicht.
Lukas: Ich nehme das insofern als Krise wahr, weil ich im Alltag eingeschränkt bin. Beruflich nicht so sehr, aber privat. Ich schränke meine sozialen Kontakte ein, treffe mich nur selten mit Freunden. Viele Freizeitmöglichkeiten fallen einfach weg. Ich kann schon seit Monaten kein Basketball mehr spielen, weil Mannschaftssport verboten ist. Sorgen mache ich mir am meisten um meine Familie, vor allem um meine Oma, die schon über 80 Jahre alt ist.
Was vermisst ihr am meisten?
Liesa: Normalität. Ausgehen zu können, sich mit Freunden treffen zu können, ohne sich Sorgen zu machen, dass man sich anstecken könnte.
Helen: Es fehlt auch die Spontaneität. Man beschließt jetzt nicht mehr einfach, auszugehen und sich einen schönen Abend zu machen.
Liesa: Selbst ins Schwimmbad kann man nicht mehr gehen.
Helen: Das stimmt. Bis vor diesem Lockdown habe ich an der Kasse im Zeller Schwimmbad gejobbt. Bei uns war es so, dass sich die Leute auf der Internetseite anmelden und auch den Eintritt bezahlen mussten. Sie hatten dann ein Zeitkontingent von vier Stunden. Das war gut geregelt. Ich hoffe, dass ich nach dem Lockdown bis zum Studienbeginn dort auch wieder aushelfen kann.
Lukas: Mir fehlt, dass ich meine Freunde in Aachen, wo ich studiert habe, nicht sehen kann. Wir können ja nicht so tun, als wäre nichts. Wir telefonieren stattdessen.
Wie hat sich das Studieren überhaupt verändert?
Liesa: Wir hatten eine digitale Einführungswoche, der Direktor der Uni stellte sich vor. Der Mathevorkurs lief auch digital. Die Fachschaft organisierte dann ein Speed Friending über Zoom mit 200 Leuten. Alle fünf Minuten trafen wir neue Leute in virtuellen Räumen. Meine Vorlesungen schaue ich mir jetzt auf YouTube an oder auf der Plattform der Uni. In Präsenz laufen nur zweimal pro Woche die Tutorien jeweils 90 Minuten. Es ist immer die gleiche Gruppe. Falls jemand Corona-positiv sein sollte, würde auch das online weiterlaufen. Es ist gut organisiert. Falls wir etwas nicht verstehen, beispielsweise in Analysis oder Linearer Algebra, können wir unseren Professoren eine E-Mail schicken.
Helen, dass du dich gegen ein Lehramtsstudium entschieden hast, hat das was mit Corona zu tun?
Helen: Dadurch, dass an den Universitäten fast alles online läuft, fand ich es nicht so schlimm, ein halbes Jahr aussetzen und darüber nachzudenken, ob es wirklich das ist, was ich machen möchte. Es ist ja Studieren unter besonderen Umständen.
Wie nehmt ihr die politische Debatte wahr?
Helen: Als die Bundesländer im Frühjahr ihre eigenen Beschlüsse trafen, war es sehr verwirrend. Wenn ich mit dem Zug von der Mosel nach Berlin gefahren wäre, hätte ich nicht gewusst, welche Regeln in den einzelnen Bundesländern, die ich durchquere, gegolten hätten. Da hat man nicht mehr durchgeblickt. Einheitliche Regeln für alle Bundesländer sind einfacher. Andererseits ist es gut, dass jeder für seine Gebiete die Regeln hat, die der Situation angemessen sind.
Liesa: Deutschland hat es nicht so hart getroffen wie einige unserer Nachbarländer. Im Vergleich dazu ist das Krisenmanagement bei uns gut.
Lukas: Ich finde es allerdings unüberschaubar, wenn jedes Bundesland sein eigenes Süppchen kocht und eigene Corona-Regeln erlässt. Ich fände es besser, wenn die Bundesregierung eine klare Linie festlegt, die für alle gilt.
Was denkt ihr, wenn in der Debatte die Namen von Xavier Naidoo, Attila Hildmann oder Michael Wendler auftauchen?
Liesa: Ich frage mich: Glauben die wirklich, was sie erzählen? Es ist erschreckend. Im Supermarkt für 20 oder 30 Minuten die Maske aufzusetzen, ist wirklich kein Problem. Es gibt Ärzte, die arbeiten den ganzen Tag mit Maske und können trotzdem normal atmen.
Helen: Die Anti-Corona-Demos erschrecken mich sehr. Ich frage mich mich, ob diese Protestler die Lage richtig einordnen können. Sie wollen für Meinungsfreiheit demonstrieren. Aber es ist ja keine Meinung zu sagen, das Coronavirus existiert nicht. Ich empfinde das als Empathielosigkeit und Rücksichtslosigkeit. Denn nichts anderes ist Masketragen: Ich nehme Rücksicht und will andere schützen.
Lukas: Ich finde die Argumente der Corona-Leugner affig und kann das nicht nachvollziehen. Wir haben in Deutschland noch eine gute Lage im Vergleich zu anderen europäischen Staaten.
Auf was freut ihr euch am meisten, wenn 2021 hoffentlich die Normalität wieder zurückkehrt?
Liesa: Ich freue mich auf das, was jetzt alles nicht geht: Leute treffen, in die Stadt gehen ohne Maske – und vielleicht an meinem 20. Geburtstag den 18. Geburtstag nachfeiern.
Helen: Ich freue mich auch darauf, mich wieder uneingeschränkt mit meinen Freunden treffen zu können und das soziale Umfeld wieder stärken zu können.
Liesa: Und ich möchte keine Angst mehr davor haben, unwissentlich meine Großeltern anstecken zu können. Ich halte seit Monaten Abstand zu ihnen, weil ich nicht möchte, dass ihnen etwas passiert.
Das Gespräch führte Birgit Pielen