Im Interview spricht Generalinspekteur Zorn über die Folgen der Bundeswehrreform und die Corona-Amtshilfe
„Der Standort Koblenz bleibt, wie er ist“: Generalinspekteur Zorn zu den Folgen der Bundeswehrreform und zur Corona-Amtshilfe
„Man braucht sich in Koblenz und Umgebung keine Sorgen zu machen“, sagt der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, im Interview mit unserer Zeitung. „Das Bundeswehrkrankenhaus wird eher aufwachsen.“ Foto: dpa
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Berlin/Rheinland-Pfalz. Bundeswehrsoldaten begegnen viele Menschen derzeit vor allem in Gesundheitsämtern oder Impfzentren. In der Bundeswehr hat dies deutliche Spuren hinterlassen, sagt Generalinspekteur Eberhard Zorn im Interview mit unserer Zeitung: „Unsere Corona-Hilfe hat ein Preisschild. Wir haben das mal ermittelt: Durch den Corona-Einsatz ist eine Bugwelle bei nachzuholender Ausbildung entstanden, für deren Abbau wir gut ein Jahr brauchen werden.“ Für den Standort Koblenz hat der General beruhigende Nachrichten: „Man braucht sich in Koblenz und Umgebung keine Sorgen zu machen.“

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Was bedeutet es für Koblenz, wenn die Sanität nun in andere Teilstreitkräfte integriert wird?

Der Standort bleibt, wie er ist, und es wird hier auch weiterhin massiv Sanität geben. Das Bundeswehrkrankenhaus wird eher aufwachsen. Die Sanität hat einen Mehrbedarf von 3000 Dienstposten angemeldet. Das betrifft auch die Sanitätsregimenter wie das in Rennerod, die die Kampftruppen in die Einsätze begleiten. Vorrangig werden wir sowohl in die Logistik als auch in die Sanität investieren, weil diese bei der letzten Reform zu kurz gekommen waren. Man braucht sich in Koblenz und Umgebung keine Sorgen zu machen.

Und wie steht es um Bonn, wenn die Streitkräftebasis in andere Strukturen aufgeht?

Wir führen zwei Hierarchieebenen zusammen, indem wir die Stäbe des Kommandos Streitkräftebasis in Bonn und des Kommandos Territoriale Aufgaben in Berlin in einem neuen Kommando bündeln. Das neue Territoriale Führungskommando der Bundeswehr wird ab dem 1. April 2022 an den Standorten Bonn und Berlin aufgestellt. Bonn bleibt als Standort und als erster Sitz des Ministeriums erhalten. Die Pandemie hat gezeigt, dass wir digital zwischen Bonn und Berlin aus alles reibungslos organisieren können.

Gibt es keine Posten, bei denen Sie sagen, es wäre sinnvoller, sie von Bonn aus nach Berlin zu holen?

Nein. Wenn wir uns die Kommandobehörden anschauen, dann ist sogar das Gegenteil der Fall. Das Kommando CIR am Rhein und die ihm unterstellten Dienststellen werden in den kommenden Jahren um circa 800 Dienstposten aufwachsen. Es kommt zu keiner Schwächung für den Standort Bonn. Und wenn wir uns die Hardthöhe anschauen: Die Kreuzbauten haben einen erheblichen Sanierungsbedarf. Und wir haben uns zu dieser Investition entschlossen. Auch in Bonn muss sich also niemand Sorgen machen. Für das Verteidigungsministerium wird es keine Umzugsdebatte mehr geben.

Ist es sinnvoll, die Bundeswehr so intensiv für etwas wie die Corona-Hilfe einzusetzen, für das sie eigentlich gar nicht zuständig ist?

Natürlich gehört Amtshilfe zu unseren Aufträgen. Die war aber ursprünglich mal gedacht als kurzfristige Unterstützung bei Schnee-, Brand- oder Hochwasserkatastrophen, die nach kurzer Zeit im Griff waren. Eine Amtshilfe über mehr als ein Jahr hatten wir noch nie. Und auch nicht über so viele Bereiche hinweg – von der Logistik über die helfenden Hände, das Engagement in Gesundheitsämtern, in den Altenheimen und den Krankenhäusern bis hin zum Impfen.

Welche inneren Auswirkungen hat das auf das Militär?

Ich stelle fest, dass wir das prima machen und auch eine lebhafte positive Resonanz ernten. Aber wenn Luftfahrzeugtechniker über Monate hinweg bei der Corona-Bekämpfung helfen, fehlen sie natürlich bei der Instandsetzung von Luftfahrzeugen. Unsere Corona-Hilfe hat ein Preisschild. Wir haben das mal ermittelt: Durch den Corona-Einsatz ist eine Bugwelle bei nachzuholender Ausbildung entstanden, für deren Abbau wir gut ein Jahr brauchen werden.

Und für die nächste Pandemie wünschen Sie sich, dass die Zivilkräfte besser aufgestellt sind?

Ja, die Resilienz sollte höher sein und die Verfahren weniger bürokratisch. Aber natürlich stehen wir für die Amtshilfe weiter zur Verfügung.

2 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) für die Verteidigung ist das Nato-Ziel. Sind das alles Rüstungsausgaben?

Nein. Der Rüstungsanteil selbst liegt aktuell bei etwa 18,6 Prozent. Der ganze überwiegende Teil besteht in der Masse aus Personalkosten, Materialerhaltung und Infrastruktur.

Geplant ist, 2031 die 2-Prozent-Marke zu erreichen. Klappt das?

Man muss realistisch sein. Bei den Budgetverhandlungen werden wir nach der Bundestagswahl sehen, wie eine künftige Bundesregierung damit umgeht. Wichtig sind nicht Schnellschüsse, wichtig ist Kontinuität, wir sollten angelaufene Beschaffungen nicht abbremsen müssen.

Ist das Verknüpfen mit dem BIP überhaupt sinnvoll?

Es kommt auf den Substanzgewinn an. Bei einem Wirtschaftseinbruch können wir das 2-Prozent-Ziel erreichen, ohne dass wir über mehr Mittel verfügen. Bei einem rasanten Wirtschaftswachstum können Sie 10 Milliarden Euro mehr haben und sich trotzdem weiter von den 2 Prozent entfernen. Deshalb ist klar: Im Mittelpunkt muss das Geld stehen. Wir brauchen es einfach, um alte Waffensysteme wie unsere Transporthubschrauber CH-53 zu ersetzen und um die Infrastruktur zu sanieren: Sie können in nahezu jeder Kaserne sehen, welchen Bedarf es da gibt. Kontinuität ist wichtig. Personalaufbau dauert lange, auch Rüstungsprojekte brauchen feste Finanzierungszusagen. In jedem Jahr neu zu schauen, was gerade geht, bringt uns nicht weiter. Gut ist, wie es Norwegen macht: mit festen Zusagen für bestimmte Vorhaben über fünf Jahre hinweg.

Wenn Sie sich mit Amtskollegen treffen, gibt es da eine Zweiklassengesellschaft: die mit 2 Prozent und die ohne?

Wir schauen schon, wer wo steht. Aber nicht beim Anteil am BIP, sondern bezogen auf Geld, Fähigkeiten und internationale Beiträge. Beim Geld brauchen wir noch mehr Kontinuität, bei den anderen beiden Maßstäben gehören wir zum vorderen Drittel.

Bezieht sich das auch auf die Einsatzbereitschaft?

Die ist eindeutig besser geworden und liegt jetzt bei 76 Prozent. Aber wir dürfen nicht übersehen, was wir da messen. Wenn wir uns anschauen, was wir angeschafft haben, dann steht ein Drittel aller Systeme bei der Industrie und wird gerade gewartet oder umgerüstet. Wenn die Zahl des zur Verfügung stehenden Materials deshalb zu klein ist, dann nutzt es mir wenig, wenn davon 76 Prozent einsatzbereit sind. Das macht mir zunehmend Sorgen.

Zum Beispiel?

Nehmen wir den Kampfhubschrauber Tiger. Der steckt überwiegend in der Instandsetzung. Viel zu wenige Tiger fliegen tatsächlich. Beim Kampfpanzer Leopard läuft gerade eine Modernisierung. Die zur Verfügung stehenden Panzer sind zwar zu 60 Prozent einsatzbereit, aber es sind zu wenige, um damit angemessen üben zu können. Und für die Speerspitze der Nato werden gerade alle Fahrzeuge digitalisiert. Die fehlen ebenfalls für die praktische Vorbereitung.

Der Nato-Gipfel beschäftigt sich damit, dass das Verhältnis zu Russland so schlecht ist wie schon lange nicht. Wie erlebt die Bundeswehr das?

Mein Amtsvorgänger hatte noch regelmäßige Treffen mit seinem Amtskollegen aus Russland. Seit dem Ukraine-Konflikt gibt es keine Gespräche mehr. Da fehlt was. Man ruft sich nicht mal eben an, um ein Problem zu klären, sondern das geht sehr formal zu.

Sie halten daran fest, auf 203.300 Soldaten anzuwachsen – wann haben Sie einen akzeptablen Frauenanteil erreicht?

Wir haben derzeit circa 23.300 Soldatinnen, die in unserer Bundeswehr dienen. Wir wollen, dass diese Zahl kontinuierlich weiterwächst. Insgesamt liegt der Frauenanteil derzeit in der Bundeswehr bei circa 13 Prozent und im Sanitätsdienst bei etwa 45 Prozent. Da ist noch Luft nach oben.

Ganz oben fehlen Frauen völlig.

Das ist ein Zeitfaktor. Seit 2001 ist die Bundeswehr in allen Verwendungsreihen für Frauen geöffnet. Es braucht rund 20 Jahre Erfahrung für eine Aufgabe als Bataillonskommandeurin. Eine Soldatin ist mindestens 47 Jahre alt, bis sie Generalsrang erreicht haben kann. Das ist dann sehr schnell, ich bin es mit 49 geworden. Wir können also damit rechnen, dass zum Ende des Jahrzehnts die erste Brigadegeneralin um die Ecke kommt. Die Menge der Kompaniechefinnen nimmt gerade deutlich zu. Und die sind richtig gut. Und sie motivieren andere fähige Frauen, sich zu verpflichten.

Weibliche Spezialkräfte fehlen auch.

Wir haben für das KSK nun die erste Bewerberin und schauen mal, ob das klappt.

Die erste Kommandosoldatin?

Ja. Es gibt allerdings bereits Frauen bei den Spezialkräften, etwa bei den Unterstützungskräften, aber tatsächlich noch keine Kommandosoldatin.

Was mussten Sie beim KSK nun noch zusätzlich lernen?

Der Rechtsextremismus ist im Griff, da ist keine zusätzliche Belastung dazugekommen. Die Logistik war unterirdisch schlecht organisiert, ist jetzt aber auch auf dem Weg zu einem guten Klarstand. Noch nicht abgeschlossen sind Verbesserungen beim Vergabeverfahren. Auch da haben wir in einem hohen Prozentsatz Missachtungen von Vorschriften erkannt.

Kommen wir zum Afghanistan-Abzug. Machen sich die Taliban nun so breit, wie es befürchtet wurde?

Der Abzug selbst läuft nach Plan. Bis Juli werden wir damit fertig. Schon jetzt haben die afghanischen Streitkräfte den größten Teil unseres Lagers übernommen. Sie halten nach wie vor ein Patt. Doch die Taliban rücken nach und nach in der Fläche vor. Sie beherrschen und kontrollieren mehr und mehr Räume. Ich bin davon überzeugt, dass die afghanischen Streitkräfte weiterhin eine beträchtliche Unterstützung brauchen, und zwar finanziell, aber auch bei der Ausbildung, wo auch immer wir diese durchführen. Ich hoffe, dass die Verhandlungen mit den Taliban zu einer vernünftigen Regierungsaufstellung führen.

Wie gehen sie mit bedrohten afghanischen Ortskräften um?

Wir haben das Verfahren jetzt entbürokratisiert. Sie müssen keinen langwierigen Gefährdungsnachweis mehr erbringen, sondern sie sagen, ob sie gefährdet sind, und dann bekommen sie ihre Visa. Damit das zügiger geht, unterstützen wir dabei nun auch das Auswärtige Amt.

Das Gespräch führte Gregor Mayntz

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