Gastbeitrag zum Aus der Ampel
Der 6. November 2024: Ein Wendepunkt
Markus Rudolf, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwirtschaft an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Foto: Kai Myller/WHU
WHU

Die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus und das Ende der Ampelkoalition – beide Entscheidungen werden Auswirkungen auf Deutschland haben. Unser Gastautor, Wirtschaftswissenschaftler Markus Rudolf, erklärt die möglichen Zusammenhänge.

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Am 6. November 2024 vollzieht sich eine Zeitenwende: Donald Trump steht erneut als Präsident der Vereinigten Staaten fest und kehrt als 47. Präsident ins Weiße Haus zurück. Gleichzeitig entlässt Bundeskanzler Olaf Scholz den Finanzminister Christian Lindner und besiegelt damit das Ende der deutschen Ampelkoalition. Diese Ereignisse markieren tiefgreifende politische Richtungswechsel – die US-Präsidentschaftswahl mit globaler, der Zusammenbruch der deutschen Regierung mit europäischer Tragweite. Was zunächst wie zwei unabhängige Entwicklungen scheint, hat eine innere Verbindung: Die Spannungen innerhalb der Ampelkoalition wegen der wirtschaftlichen Stagnation eskalierten angesichts der erneuten Wahl Trumps, weil durch seine Wahl ein zusätzlicher Druck auf die deutsche Volkswirtschaft zu erwarten ist. Diesem wirtschaftlichen Druck war und ist die Ampel offenbar nicht gewachsen.

Es ist das fünfte Mal, dass eine deutsche Bundesregierung vorzeitig endet, die Wirtschaft spielte in der Vergangenheit dabei allerdings selten eine Rolle. Deutschland steuert 2024 auf ein zweites Jahr in Folge mit negativem Wirtschaftswachstum zu. Verantwortlich dafür sind nicht nur die stark gestiegenen Energiepreise infolge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und die Klimaschutzpolitik der Ampelkoalition, die die Interessen der Industrie vernachlässigte, sondern auch veränderte Rahmenbedingungen im globalen Handel.

Die Rolle des Freihandels und die Rückschläge für Deutschland

Seit dem Zweiten Weltkrieg und beschleunigt seit den 1970er-Jahren setzten die Nationen auf den Abbau von Handelsbarrieren. Wo Zölle 1950 noch bei etwa 50 % lagen, sind sie heute auf weltweit unter 10 % gesunken. Dieser Trend förderte einen globalen Freihandel, der sich in der EU, der nordamerikanischen NAFTA und weiteren Freihandelsabkommen manifestierte. Für Deutschland, das zusätzlich seit der Einführung des Euro im Jahr 1999 enorm von diesen offenen Märkten profitierte, war dieser Rückenwind entscheidend. Kaum ein Land ist derart industriell geprägt und profitiert(e) von günstiger Energie aus Russland und der damit einhergehenden hohen Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland avancierte so sogar zum Exportweltmeister, was auch Donald Trump wiederholt als wirtschaftliche Bedrohung betrachtete.

Doch viele dieser Wettbewerbsvorteile, die Deutschland wohlhabend machten, sind inzwischen verloren gegangen. Einige Folgen sind auf die gestiegenen Energiekosten durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zurückzuführen, andere resultieren aus einer ziemlich starken deutschen Bequemlichkeit bedingt durch die anfangs höchste Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU. Deutschland liegt heute nur noch im europäischen Mittelfeld und hat gegenüber einigen EU-Partnerländern sowie globalen Akteuren stark an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. Der Euro, einst eine Stütze für die deutsche Industrie, ist nicht mehr der Vorteil, der er zu Beginn der Währungsunion war. Wir sehen das daran, dass traditionell starke Industrien 2024 veritable Gewinneinbrüche zu verkraften haben und Arbeitskräfte freisetzen werden.

Ein Ende des Freihandels? Der Druck wächst

Zudem haben außereuropäische Länder den technologischen Wandel und das Wachstum im Digitalbereich schneller umgesetzt. Unternehmen wie Alphabet, Nvidia und Alibaba, aber auch Tesla und BYD aus China dominieren heute die Märkte und übersteigen den Wert deutscher Traditionsunternehmen um ein Vielfaches. So könnte Alphabet Mercedes allein mit einem Jahresgewinn aufkaufen. Der Börsenwert von Tesla liegt neunmal höher als der von Mercedes.

Mit Donald Trumps erster Amtszeit 2017–2021 begann die Rückkehr zu Protektionismus und hohen Zöllen, die seither das Paradigma des globalen Freihandels ins Wanken brachten. Trumps Zölle auf Stahlimporte aus China und Handelsbarrieren gegenüber deutschen Automobilen setzten neue Maßstäbe. Zwar wurden einige dieser Zölle unter Biden teils aufgehoben, doch mit Trumps erneuter Präsidentschaft ist ein weiterer Anstieg dieser Handelsbarrieren zu erwarten. Dies könnte zu einem regelrechten Handelskrieg führen, bei dem Europa und China sich vermutlich mit eigenen Zöllen zur Wehr setzen würden.

Die Konsequenzen für die deutsche Politik

Dieser Handelskonflikt würde weltweit wirtschaftliche Schäden verursachen, doch besonders hart trifft er stark exportorientierte Länder wie Deutschland, das auf internationale Märkte angewiesen ist. Die USA weisen anders als Europa, Deutschland und China einen Importüberschuss auf. Deshalb würde ein Anstieg der Zölle die USA weniger stark treffen als Deutschland und die EU.

Die Wiederwahl Trumps dürfte das Fass für die Ampelkoalition zum Überlaufen gebracht haben. Es wird offensichtlich, dass die deutsche Wirtschaft dringend ihre Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft stärken muss, um im internationalen Vergleich zu bestehen. Die Rückkehr zum Protektionismus und steigende Produktionskosten erfordern grundlegende Reformen. Deutschlands Unternehmen müssen befähigt werden, mit Big-Tech-Unternehmen in den USA und China mitzuhalten – was nur mit signifikanten Kostensenkungen und innovativem Wandel möglich ist.

Bruch als Impuls zur Neuregulierung

Diese Herausforderung betrifft nicht nur die Politik, sondern auch die deutsche Wirtschaft. Kanzler Scholz und Christian Lindner scheint klar geworden zu sein, dass die Ampelkoalition nicht über die Kraft verfügt, dem zusätzlichen wirtschaftlichen Druck durch die USA standzuhalten. Hätte Kamala Harris die US-Wahl gewonnen, wäre der Druck auf Deutschland und seine Politik nicht so unmittelbar und so heftig. Daher ist das Scheitern der Ampelregierung am Tag der Wiederwahl Donald Trumps eine logische Konsequenz.

Vielleicht ist dieser Bruch ein Impuls zur Neuorientierung. Deutschland könnte nun seine Innovationskraft, seinen Unternehmergeist und seine Anpassungsfähigkeit neu entdecken und so die Grundlage für eine moderne, wettbewerbsfähige Wirtschaft schaffen. Ohne das wird Deutschland wirtschaftlich weiter nach unten durchgereicht werden.

Zur Person

Wirtschaftswissenschaftler Markus Rudolf war bis 2023 der Rektor der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar bei Koblenz. Er ist dort Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwirtschaft.

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