Deutschland steht im Stau. Im vergangenen Jahr zählte der ADAC auf deutschen Autobahnen 516.000 Staus mit einer Gesamtlänge von rund 859.000 Kilometern. Das entspricht der Strecke von der Erde bis zum Mond und zurück. In Rheinland-Pfalz haben die Autofahrer etwas weniger auf Autobahnen im Verkehrsstau gestanden als im Jahr davor. Laut ADAC-Staubilanz 2024 gab es im vergangenen Jahr rund 22.900 Staus im Bundesland. Sie dauerten insgesamt 16.366 Stunden. Das sind fast 682 Tage.
Warum steht das Land so viel im Stau? Müssen wir uns daran dauerhaft gewöhnen? Wir haben mit dem Verkehrsexperten Dirk Fischer gesprochen. Er ist seit 2012 Professor für Verkehrswesen an der Hochschule Koblenz.
Staus auf unseren Straßen, vor allem auf dem rund 13.000 Kilometer langen Streckennetz der Autobahnen, gehören nach Dirk Fischers Einschätzung zum Alltag. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einerseits sei stellenweise die Verkehrsnachfrage vor allem in den Spitzenstunden höher als die Kapazität. Andererseits komme es immer wieder zu unvorhersehbaren Beeinträchtigungen – durch zum Beispiel Unfälle. Drittens entstünden Staus durch eine Vielzahl von Baustellen, so Fischer. Der Verkehrsexperte sagt: „Gerade dieser Punkt wird uns in der Zukunft noch beschäftigen, da insbesondere in Westdeutschland das Streckennetz zum Teil veraltet ist.“

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Beispielhaft zu nennen seien hier die vielen Brückenschäden – Stichwort Moseltalbrücke Winningen –, die zu umfangreichen Sanierungen oder Ersatzneubauten führen. Der Verkehrsexperte nennt ein weiteres Beispiel: Durch die Vollsperrung der A45 bei Lüdenscheid (NRW) im Jahr 2021 müssten bis heute große Verkehrsmengen umgeleitet werden, was dann wiederum zu einer Überlastung der Umleitungen führe. Fischer ordnet ein: Staus seien keinesfalls ein rein deutsches Problem. Insbesondere in den europäischen Metropolstädten Brüssel, Paris oder Rom gehörten Blechlawinen ebenso zum Alltag.
Die Frage, ob wir uns aufgrund vielerorts maroder Infrastruktur in Zukunft an Dauerstau gewöhnen müssen, beantwortet der Professor der Hochschule Koblenz damit, dass dies zu befürchten sei. Eine Erneuerung des Autobahnnetzes sei keine Aufgabe von nur wenigen Jahren. Nach Ansicht des Verkehrsexperten wird dies noch mindestens ein bis zwei Jahrzehnte dauern – und das nur unter der Voraussetzung, dass genügend Finanzmittel bereitgestellt werden. Hier sei zuerst die Politik gefordert.

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Fischer nennt aber ein weiteres, sehr ernst zu nehmendes Problem, nämlich den Fachkräftemangel. Er werde sich durch das in Rente gehen der „Babyboomer“ noch weiter verschärfen. Fischer erklärt, dass schon heute viele Stellen der Autobahn GmbH nicht besetzt seien. Es könne allerdings nur so viel geplant und gebaut werden, wie eben Personal zur Verfügung stehe. Für Ingenieure und die Bauwirtschaft gebe es also viel zu tun. Der Professor appelliert: Es brauche mehr junge Menschen, die sich an dieser „Zukunftsaufgabe“ durch eine Ausbildung im Bauhandwerk oder ein Studium aus dem Bauingenieurswesen beteiligen möchten.

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Um auch mal Positives zu benennen: An vielen Stellen würden heute bereits Engpässe durch Ausbaumaßnahmen nach und nach beseitigt. Fischer nennt exemplarisch den im Bau befindlichen 6-streifigen Ausbau der A61 südlich von Koblenz. Auch im Raum Köln/Bonn werde viel im Autobahnnetz errichtet, was allerdings zu täglichen Staus führe. Leider benötige das alles viel Zeit, da unter Verkehr gebaut werden muss.
Fischer erläutert: „Bei einem weitestgehend intakten Autobahnnetz gäbe es sehr wohl Möglichkeiten, den Verkehr durch intelligente Telematiksysteme positiv zu beeinflussen.“ Viele Bürger kennen solche Systeme von den Routenplanern auf dem Mobiltelefon. Diese Systeme würden künftig auch unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz noch besser werden, ist der Experte überzeugt.

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Koblenz gehört im Saldo von Ein- und Auspendlern übrigens zu den Top-5-Städten in Deutschland, hebt der Professor hervor. Das verursache natürlich viel Verkehr. Wie lässt sich dieser nun verringern? Fischer weist auf Möglichkeiten des Homeoffices hin – aber auch auf die Möglichkeit einer Verlagerung von Individualverkehr auf den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV). Das Rückgrat des ÖPNV sei die Schiene.
Fischer regt an, ein „Mobilitätshubsystem“ in der Fläche zu entwickeln, also Verknüpfungspunkte von Schiene, Bus, Auto und Fahrrad, die einen Umstieg erleichtern. Bei der Bahn und dem Schienennetz müsse dringend Abhilfe geschaffen werden – „mit der aktuellen Situation erscheint ein großer Schritt in Richtung Mobilitätswende äußerst fraglich“, sagt der Fachmann.
Der Verkehrsexperte sieht die Zukunft unserer Mobilität im „intermodalen“ Verkehr. Im ländlichen Raum werde das Auto das Verkehrsmittel erster Wahl bleiben. Den Pkw etwa an einem Mobilitätshub parken und danach mit der Bahn in die Stadtzentren fahren – hierin sieht Fischer viel Potenzial. Mit der Einführung des Deutschlandtickets sei bereits die Grundlage für eine stärkere Nutzung des ÖPNV geschaffen worden.