Rheinland-Pfalz
Christian Kunst zur Debatte über die Intensivmedizin: Statt Vorwürfen braucht es Daten und eine Reform

Es ist erstaunlich: Vor einem Jahr applaudierten die Menschen für die unermüdlich um das Leben von Covid-19-Patienten kämpfenden Ärzte und Pfleger auf den Intensivstationen. Ein Jahr später werden Intensivmediziner und damit auch Pflegekräfte angegriffen, weil sie angeblich völlig zu Unrecht vor einer Überlastung ihrer Stationen gewarnt hätten.

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Dazu kommt der Vorwurf des Bundesrechnungshofs, flankiert von den Kassen, dass Kliniken zu Unrecht Prämien von fast 700 Millionen Euro abkassiert hätten – für Intensivbetten, die gar nicht gebraucht worden seien oder die es vielleicht nie gab. Da passt es ins Bild von raffgierigen Klinikbetreibern, dass sich die Lage vieler Kliniken in der Krise sogar verbessert hat.

So weit, so besorgniserregend. Wer sich die Vorwürfe aber näher anschaut, liest zwar von vermuteten „unerwünschten Mitnahmeeffekten“ oder fehlenden Nachweisen für die Förderung von 2000 Intensivbetten, doch zugleich wird eingeräumt, dass die Datenlage nicht ausreicht, um die Lage zu bewerten. Das ist das Kernproblem: Wer sich ein wenig mit dem deutschen Gesundheitssystem beschäftigt, weiß seit Jahren, dass es an öffentlich zugänglichen, unabhängigen, das heißt, nicht interessengesteuerten Daten mangelt. Daran sind übrigens die Kassen alles andere als unschuldig. Denn mit der Hoheit über Daten lässt sich Macht ausüben und Politik machen. Vor der Pandemie hat das kaum jemanden interessiert. Doch wenn Zahlen die Grundlage für monatelange freiheitseinschränkende Lockdowns sind, werden sie zu einem Politikum. Dann werden aus den Scharmützeln zwischen Kassen und Kliniken der Vor-Corona-Zeit die ganz großen Schlagzeilen.

Um nicht missverstanden zu werden: Sollten die 700 Millionen Euro der Kassen, die für den Aufbau von Intensivbetten gedacht waren, tatsächlich in anderen Kanälen versickert sein, muss dies schonungslos aufgeklärt werden. Bislang gibt es jedoch kaum mehr als Vorwürfe. Etliche Landesregierungen haben als Kontrollinstanz bislang keine Hinweise auf falsche Angaben bei den gemeldeten Intensivbetten. Es drängt sich daher eher der Eindruck auf, dass eine Stellvertreterdebatte geführt wird. Tatsächlich geht es um den größten Ausgabenposten im Gesundheitssystem, die Krankenhäuser. Diese Debatte sollte jedoch nicht auf dem Rücken von Intensivärzten und -pflegern geführt werden. Vielmehr braucht es transparentere Daten und vor allem eine Reform, die Krankenhäuser zu dem macht, was sich viele von ihnen nach der Erfahrung der Pandemie wünschen: eine solide finanzierte medizinische Daseinsvorsorge.

E-Mail: christian.kunst@rhein-zeitung.net

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