Rheinland-Pfalz/Berlin
Bundesgerichte wollen für sich ein Sonderrecht - RLP-Juristen: "Ungeheuerlich"
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Rheinland-Pfalz/Berlin. Seit es an Bundesgerichten immer häufiger zu Konkurrentenklagen kommt, wenn Richter sich bei Auswahlverfahren benachteiligt sehen, sind Chefpräsidenten(innen) genervt. Das ist noch verständlich. Aber der Zorn geht nun so weit, dass sie in eigener Sache darauf drängen, beim Streit an Bundesgerichten den Rechtsweg drastisch zu verkürzen. 

Von unserer Redakteurin Ursula Samary

Gleich zwei Instanzen sollen wegfallen und Streitfälle allein beim Bundesverwaltungsgericht in einem Spezialsenat konzentriert werden, damit Personalprobleme an Bundesgerichten schneller gelöst sind. „Ungeheuerlich“, kommentieren Juristen in Rheinland-Pfalz diese Gedankenspiele.

Als Vorreiter machte sich der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Prof. Klaus Rennert, für den Vorstoß stark – bei der Jahrestagung für Verwaltungsrecht des Deutschen Anwaltsinstituts. Für Rechtsanwalt und Notar Bernhard Stüer (Münster/Osnabrück) ist es ein „Paukenschlag“, dass Rennert bezweifelt, ob Rechtsstreitigkeiten um Stellen an Bundesgerichten noch bei den erst- und zweitinstanzlichen Verwaltungsgerichten richtig aufgehoben sind. Stüer, auch Herausgeber des Deutschen Verwaltungsblatts erinnert in der Fachzeitschrift daran, dass „noch nie“ ein Präsident des Bundesverwaltungsgerichts einen solchen Vorschlag gewagt hat.

Chefpräsidenten empfinden drei Instanzen als Blockade

Nach Rennert warf die Präsidentin des Bundesgerichtshofs (BGH), Bettina Limperg, in Karlsruhe den zweiten Stein ins Wasser, der offenbar politische Kreise ziehen soll. Sie plädierte bei einem Presseempfang dafür, dass ein Spezialsenat künftig allein über Konkurrentenklagen an fünf Bundesgerichten entscheide. Wie zu hören war, sieht sie nur Vorteile: Die Dauer der Verfahren, die Bundesgerichte blockierten, wäre wieder verhältnismäßig. Und es gäbe – statt unterschiedlicher Maßstäbe von jeweiligen Verwaltungsgerichten in den Ländern – Rechtssicherheit. Limperg betont auf Nachfrage unserer Zeitung, dass sich die Präsidentinnen und Präsidenten der obersten Bundesgerichte einig seien, dass eine Konzentration von Klagen „zur Beschleunigung sowie zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung beitragen kann“. Allerdings will sie offenlassen, ob die Konzentration beim bisher dafür stets zuständigen Bundesverwaltungsgericht zwangsläufig sein muss.

Was aber treibt Chefpräsidenten derart um, Juristen den Rechtsweg derart verkürzen zu wollen? Rennert erklärte dies damit, dass Vorsitzendenstellen in Senaten über Monate unbesetzt bleiben. Rechtfertigt dies ein Sonderrecht für Bundesgerichte? Ist es weniger wichtig, ob ein Oberlandesgericht oder ein Landgericht mit einer vakanten Chefstelle funktioniert?

Mit diesem Problem hat Rheinland-Pfalz reichlich (unrühmliche) Erfahrung, am Oberlandesgericht (OLG) Koblenz wie am Landgericht Trier. Aber dies lag nicht an den Gerichten, weil sie Verfahren auf die lange Bank geschoben hätten. Schuld war die Personalpolitik der Ex-SPD-Justizminister Heinz-Georg Bamberger und Jochen Hartloff, die unrechtmäßig Favoriten durchsetzen wollten und damit scheiterten – im Fall des Koblenzer OLG-Präsidenten Hans-Josef Graefen erst vor Bundesgerichten.

Konkurrentenklagen gelten als Kontrolle, damit bei der Besetzung von Beamten- oder Richterstellen keine Vetternwirtschaft aufkommt oder politisch missliebige, aber fachlich bessere Bewerber ohne Chance sind – an Gerichten wie an Schulen oder bei der Polizei. Denkbare Folge: längere Wartezeiten für Bürger. Aber die gehören wegen der Sparpolitik an Gerichten bereits ohnehin oft zum Alltag.

Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs in Koblenz, Lars Brocker, gibt den Bundesrichtern ein klares Kontra: „Die Antwort darauf, dass der Einzelne sein Recht sucht, darf nicht eine Beschneidung des Rechtswegs sein. Ein prozessuales Sonderrecht von und für Bundesrichter sollte es nicht geben“, sagte er unserer Zeitung. Konkurrentenklagen um Bundesrichterstellen seien zwar für die betroffenen Gerichte durchaus eine problematische Situation. Aber diese unterscheide sich nicht von der in anderen Bereichen, in denen sich Stellenbesetzungen verzögern. Für Brocker können daher Spezialsenate nicht das Instrument sein, um gezielt einzelne Verfahren zu beschleunigen. „Das ist nicht nur systemfremd, es ist auch unnötig.“

Präsident Brocker kontert: Entscheidungen fallen zügig

Dabei verweist er auf die Verfahrensdauer. Der Rechtsweg beginnt bei den Verwaltungsgerichten und endet im Eilrechtsschutz bei den Oberverwaltungsgerichten und im Hauptsacheverfahren beim Bundesverwaltungsgericht. „Eilverfahren dauern im Bundesdurchschnitt in erster Instanz 1,5 und in zweiter Instanz 2,5 Monate. Das ist zügiger Rechtsschutz“, betont Brocker. Er sehe auch nicht, „dass die Maßstäbe der Verwaltungsgerichte auseinanderlaufen würden“.

Auch Ex-Justizminister Herbert Mertin (FDP) „leuchtet nicht ein, warum für Richter an obersten Gerichten der Rechtsweg derart dramatisch verkürzt werden soll“. Für ihn schwingt beim Anspruch der Chefpräsidenten an Bundesgerichten auch eine gewisse Überheblichkeit mit, wenn sie für sich ein Sonderrecht reklamieren. Auch andere Vorgesetzte müssten damit organisatorisch zu Recht kommen, wenn es zu Streitfällen kommt. Mertin kann es allenfalls menschlich verstehen, dass sich fünf Chefpräsidenten „ihr Leben erleichtern wollen“, sieht aber kein schlüssiges rechtliches Argument, „nicht mehr alle gleich zu behandeln“ .

Der Mainzer Justizminister Gerhard Robbers (SPD) hält den Vorstoß der Bundesrichter „für einen interessanten Vorschlag, der im Hinblick auf angemessenen Rechtsschutz der Betroffenen gut abgewogen werden muss“. Ob und wann er sich politisch konkreter mit der Materie befassen muss, ist offen. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) beobachte „die weitere Entwicklung“, lässt seine Sprecherin Anne Katharina Zimmermann in Berlin wissen. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist jedoch noch keine Entscheidung gefallen.“ Daher fragen sich Juristen, ob Chefpräsidenten nur den Druck erhöhen müssen, damit Maas handeln kann oder auch will.

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