Das sogenannte Gißler-Gutachten zur Flutkatastrophe im Ahrtal beschäftigt weiter die Politik und die Bürgerinnen und Bürger im Tal. Dominic Gißler, Berliner Professor und Katastrophenschutzexperte, hatte in einem Gutachten für den Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtages den Katastrophenschutz des Kreises Ahrweiler vor der Flutnacht regelrecht zerfetzt. Unter anderem die Fraktion der Freien Wähler hatte daraufhin angekündigt, die Beweisaufnahme fortsetzen zu wollen. Das wird aber erst im neuen Jahr geschehen können.
Damit nicht genug: Nach der Vorstellung des Gutachtens stellte der Koblenzer Rechtsanwalt Christian Hecken einen Befangenheitsantrag gegen Gißler. Sein Gutachten sei „ergebnisorientiert“ und berücksichtige zentrale Untersuchungsansätze und -möglichkeiten nicht. Um dies aus seiner Sicht beheben zu können, brachte Hecken einen weiteren Gutachter, den Krisenforscher Frank Roselieb ins Spiel (wir berichteten ebenfalls).
Es ging um Menschenleben
Im Ahrtal selbst hat Andy Neumann, Buchautor und selbst Flutbetroffener, eine klare Meinung dazu. Heckens Antrag sei wenig substanziell. Auch werde Roseliebs Expertise in Fachkreisen als nicht sonderlich hoch eingeschätzt.
Nach Ansicht Neumanns reicht das Gißler-Gutachten völlig, um die „aktuell entscheidenden Fragen“ zu stellen. Gißler habe, so Neumann im Gespräch mit unserer Zeitung, klar dargelegt, dass bei professioneller Handhabung des Katastrophenschutzes vor Ort und bei ebenfalls professioneller Unterstützung durch höhere Stellen Menschenleben im Ahrtal hätten gerettet werden können.
„Es ist alles so falsch gelaufen, dass es zum Himmel schreit“, hatte Neumann bereits kürzlich in einem Facebook-Eintrag geschrieben. Im Gespräch mit der Redaktion wiederholte er dies: „Man hat sich jahrelang systematisch nicht vorbereitet.“
Man sollte es auf jeden Fall bis an den Punkt bringen, dass ein Richter die Schuldfrage klärt.
Andy Neumann
Nach Ansicht Neumanns liegt der Ball nun eindeutig im Feld der Koblenzer Staatsanwaltschaft. Diese müsse eine nicht nur für das Ahrtal, sondern für ganz Rheinland-Pfalz „bahnbrechende“ Entscheidung fällen: „Müssen politisches Vollversagen und bewusste Untätigkeit zwingend zu Schuld führen – oder hilft genau ein solches Handeln am Ende und führt es zu Unschuld, weil man ja unvorbereitet und unfähig war?“
Der Koblenzer Rechtsanwalt Christian Hecken hat einen Befangenheitsantrag gegen den Berliner Gutachter Dominic Gißler eingereicht, der Ende November im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe ausgesagt hatte.Aufarbeitung der Flutkatastrophe: Koblenzer Anwalt hat Befangenheitsantrag gegen Ahrtal-Gutachter eingereicht
Mit „man“ meint Neumann vor allen Dingen Ex-Landrat Jürgen Pföhler, gegen den sich die Ermittlungen unter der Leitung von Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler richten. „Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, aber ich wüsste, wie ich zu entscheiden hätte“, so Neumann. Er fordert, dass es auf jeden Fall zu einer Anklage gegen Pföhler kommen sollte. „Man sollte es auf jeden Fall bis an den Punkt bringen, dass ein Richter die Schuldfrage klärt.“ Etwas anderes werde „das Tal nicht durchgehen lassen, Volkes Meinung ist da sehr eindeutig“. Staatsanwälte, so Neumann, seien gegenüber der Regierung weisungsgebunden, ein Richter sei das nicht.
Staatsanwälte sind weisungsgebunden
In der Tat sind Staatsanwälte nach Paragraf 146 Gerichtsverfassungsgesetz an Weisungen der Justizminister gebunden. Deutschland entspricht damit nicht – im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der EU – anzustrebenden freiheitlichen Standards. Andy Neumann hat nun Sorge, dass man es deshalb im Tal politisch deuten werde, wenn der Ex-Landrat letztlich nicht angeklagt werde.
Flutbuchautor Andy Neumann im Gespräch mit RZ-Chefredakteur Lars Hennemann über die Stimmung beim Wiederaufbau und über „Dankbarkeit als Geschäftsmodell“.Bestsellerautor Andy Neumann über den Wiederaufbau im Ahrtal: „Die Hoffnung wird gefressen“
„Entscheidend ist aber nicht nur die Klärung der Schuldfrage und die, wie viele Menschen vielleicht noch hätten gerettet werden können. Es ist unser Katastrophenschutz, der endlich besser werden muss. Er ist an vielen Stellen Kreisklasse, auch weil das Ehrenamt an vielen Stellen nicht ausreicht“, urteilt Neumann abschließend. Das Gißler-Gutachten zeige alle zu ziehenden Schlüsse auf.