Verband Bildung und Erziehung Rheinland-Pfalz stellt alarmierende Ergebnisse einer Umfrage unter Schulleitern vor
Beschimpft, beleidigt und gemobbt: Was Lehrer in Rheinland-Pfalz an Gewalt erleben
Rund 70 Prozent der Schulleiter in Rheinland-Pfalz würden ihren Job laut forsa-Umfrage nicht weiterempfehlen. In Zeiten, in denen dringend neue Lehrer gesucht werden, sei dies ein fatales Signal an angehende Lehrerinnen und Lehrer, meint VBE-Landesvorsitzender Lamowski. Foto: Maurizio Gambarini/dpa
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Die psychische und körperliche Gewalt gegenüber Lehrkräften in Rheinland-Pfalz hat sich auf einem besorgniserregend hohen Niveau eingependelt. Das geht aus einer repräsentativen forsa-Umfrage unter Schulleitungen hervor, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegeben hat.

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Rund 70 Prozent der Schulleiter in Rheinland-Pfalz würden ihren Job laut forsa-Umfrage nicht weiterempfehlen. In Zeiten, in denen dringend neue Lehrer gesucht werden, sei dies ein fatales Signal an angehende Lehrerinnen und Lehrer, meint VBE-Landesvorsitzender Lamowski. Foto: Maurizio Gambarini/dpa
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VBE-Landesvorsitzender Lars Lamowski sowie sein Stellvertreter Oliver Pick stellten die Ergebnisse der Umfrage für Rheinland-Pfalz nun der Öffentlichkeit vor. Mit Blick auf die Situation in den Schulen im Land schlagen sie Alarm – nicht nur wegen der Gewalt gegen Lehrkräfte.

Von der Grundschule bis zum Gymnasium: Laut der neuen forsa-Umfrage hat die Gewalt gegen Lehrkräfte in jeder Schulform und jeder Altersklasse Einkehr gefunden. „Die Studie zeigt deutlich auf, dass sich die Zahl der Schulen, an denen es in den letzten fünf Jahren Gewalt gegen das pädagogische Personal gab, auf einem hohen Niveau eingependelt hat“, fasste Lamowski zusammen.

Auch Cybermobbing ist Thema

Lehrkräfte würden sich verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt sehen. Demnach meldeten 60 Prozent der 118 befragten Schulleitungen zurück, dass sie in den vergangenen fünf Jahre Fälle von psychischer Gewalt in Form von Beleidigungen, Bedrohungen oder Belästigungen an ihrer Schule erlebt haben. 24 Prozent berichteten von Cybermobbing gegen Kollegen. Auch körperliche Gewaltangriffe stagnieren mit 27 Prozent auf einem hohen Niveau (2020: 30 Prozent).

Über Stunden hätten die Eltern den Lehrer mit Vorwürfen bombardiert. In einem anderen Fall habe ein Drittklässler einen Stuhl nach seiner Lehrerin geworfen und die Frau dabei verletzt

– aus den Schilderungen von Betroffenen

Als Dienstherr komme die Landespolitik ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihren Lehrerinnen und Lehrern seit Jahren nicht nach, monierte Lamowski darüber hinaus. Unterstützungsangebote für Betroffene? Fehlanzeige. Lamowski: „Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Die Politik muss die Schulen massiv unterstützen, damit sie schnell zu einem weitgehend gewaltfreien Raum werden. Jeder Form von Gewalt muss Einhalt geboten werden.“

Die Corona-Pandemie habe die Gewalt in den vergangenen Jahren weiter befördert, meinen viele der befragten Schulleitungen. Mehr als die Hälfte sprechen von einer Gewaltzunahme seit Beginn der Pandemie. Und Täter sind dabei nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch immer wieder verärgerte und aufgebrachte Eltern.

Klassenraum
In 60 Prozent der Schulen gibt es psychische Gewalt im Klassenraum gegen Lehrkräfte.
picture alliance/dpa | Philipp v

Stuhl nach Lehrerin geworfen

Der stellvertretende VBE-Landesvorsitzende Pick, selbst Leiter einer Schule, nannte gleich mehrere Beispiele aus dem Alltag. Einer seiner Kollegen habe sich noch vor wenigen Wochen aufs Übelste von Eltern via Mailnachrichten beschimpfen lassen müssen. Über Stunden hätten die Eltern den Lehrer mit Vorwürfen bombardiert. In einem anderen Fall habe ein Drittklässler einen Stuhl nach seiner Lehrerin geworfen und die Frau dabei verletzt, so Pick.

Lediglich 40 Prozent der befragten Schulleitungen gaben an, dass es in den meisten Fällen gelungen sei, von Gewaltangriffen betroffene Kolleginnen und Kollegen ausreichend zu unterstützen. Aus Sicht des VBE fehlt eine externe Anlaufstelle für betroffene Lehrkräfte, bei der sie Gewaltfälle anonym schildern können und darüber hinaus Unterstützung erfahren können.

Neben der Gewalt belastet die Schulen im Land zudem der Lehrkräftemangel, stellt die Umfrage heraus. 67 Prozent der befragten Schulleitungen nannten die dünne Personalbesetzung als größte Herausforderung. Zum Vergleich: 2021 hatten diesen nur 44 Prozent als Problem angegeben. Mittlerweile müssten immer mehr Schulen auf Aushilfen, häufig Lehramtsstudierende, zurückgreifen, problematisierte Lamowski. Für Pick ist das vor allem für die Schüler verhängnisvoll: „Wir fahren ein oder zwei Generationen an die Wand, wenn wir nichts ändern.“

Die Politik muss die Schulen massiv unterstützen, damit sie schnell zu einem weitgehend gewaltfreien Raum werden. Jeder Form von Gewalt muss Einhalt geboten werden.

Lehrervertreter Lars Lamowski

Mit dem Personalmangel einher geht für viele Schulleitungen auch eine zunehmend hohe Arbeitsbelastung (41 Prozent). Probleme sehen 36 Prozent der Befragten auch beim Thema Inklusion und Integration. „Inklusion ist ein schöner Gedanke, den wir leben wollen, aber dann brauchen wir dafür auch ausgebildetes Personal“, macht Lamowski deutlich. Es mangele nicht nur an professionellen Lehrkräften, sondern eben auch an Sozialarbeitern und anderen Fachkräften, die in einem inklusiven Schulsystem wie in Rheinland-Pfalz dringend gebraucht würden.

Ein ernüchterndes Zeugnis

Der Schulpolitik des Landes stellten die befragten Schulleitungen ein ernüchterndes Zeugnis aus: Note 4,7 im Schnitt. „Durchgefallen“, kommentiert Lamowski. Nahezu alle Schulleitungen waren der Ansicht, dass der praktische Schulalltag bei politischen Entscheidungen nicht ausreichend beachtet wird (97 Prozent). Darunter leidet auch die Arbeitszufriedenheit. 45 Prozent der Befragten können ihre Aufgaben als Schulleiter nicht mehr mit eigener Zufriedenheit ausfüllen. „Das sendet ein fatales Signal an die Menschen, die Lehrkraft werden wollen“, so Lamowski.

Ein struktureller Wandel des Schulsystems ist aus Sicht des VBE alternativlos, will man die Probleme in den Griff kriegen und die Bildungsstätten auf zukunftsfähige Beine stellen – koste es, was es wolle. „Die Politik muss in den Schulen endlich die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit die Kolleginnen und Kollegen dort gut und gern arbeiten können“, machte Lamowski deutlich.

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