Interview mit DJV-Chef Beuster
„Auch in RLP muss die Pressefreiheit verteidigt werden“
Ein Schild mit der Aufschrift "R.i.P Pressefreiheit", übersetzt "Ruhe in Frieden, Pressefreiheit", ist bei einer pro-palästinensischen Kundgebung in Berlin-Kreuzberg zu sehen. Körperliche Angriffe auf Journalisten sind am häufigsten auf pro-palästinensischen und rechtsextremen Demos zu beobachten, erklärt der DJV-Bundesvorsitzende im Interview.
Christoph Soeder/dpa

Am 3. Mai ist Internationaler Tag der Pressefreiheit. Die freie Berichterstattung steht weltweit unter Druck – auch in Rheinland-Pfalz. DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster berichtet, welchen Angriffen Journalisten bei ihrer Arbeit ausgesetzt sind.

Rund 100-mal sind Journalisten im vergangenen Jahr in Deutschland körperlich angegriffen worden. Auch verbale Anfeindungen gegenüber Medienvertretern haben in der Vergangenheit zugenommen. Vor allem in der Hauptstadt Berlin gerät die Pressefreiheit immer stärker unter Druck, beklagt Mika Beuster, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). „Wenn Kamerateams am Wochenende bei einer Demo in Mainz auf die Straße gehen“, sagt Beuster im Interview mit unserer Zeitung, „ist beim SWR oftmals auch ein Begleitschutz dabei.“

Die Pressefreiheit in Rheinland-Pfalz müsse verteidigt werden. „Auch dort gibt es politischen Extremismus“, sagt Beuster. „Blicken Sie in die gesamte Westerwald-Region, was es dort an Strukturen gibt: Die sind vielleicht nicht so öffentlichkeitswirksam sichtbar, wie das in Berlin der Fall ist.“ Beuster, der als Chef-Themenreporter bei der VRM Mittelhessen in Wetzlar arbeitet, hat selbst schon persönliche Anfeindungen erlebt: „Auch ich habe schon die eine oder andere Morddrohung erhalten“, sagt er im Gespräch mit unseren Reportern. „Da wurde dann gesagt, ich solle auf einem Scheiterhaufen brennen.“ Im DJV-Büro in Berlin gebe es einen Aktenordner, der voll ist mit Schreiben, in denen ihm alle erdenklichen Krankheiten gewünscht werden. Zum Tag der Pressefreiheit wünscht sicher der DJV-Chef gerade vonseiten der Politik mehr Schutz und Unterstützung.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen vergleicht für ihre Rangliste der Pressefreiheit 180 Länder. Deutschland lag 2024 auf Platz zehn (Anmerkung der Redaktion: Auf der Rangliste 2025, die kurz nach dem Gespräch erschienen ist, liegt Deutschland auf Platz elf). Hat sich mit Blick auf eine freie Berichterstattung in den vergangenen Jahren dennoch etwas ins Negative verschoben?

Wünschen würde ich mir Platz eins. Der zehnte Platz im Ranking ist zwar noch hinnehmbar. Erreicht wurde er aber nicht, weil wir in Deutschland besonders gut in Sachen Pressefreiheit sind. Unsere Platzierung kommt dadurch zustande, dass die anderen Länder besonders schlecht geworden sind. Die Pressefreiheit ist weltweit unter Druck – auch in Deutschland. Das sehen wir allein schon an der Zahl der Angriffe, die es auf Kolleginnen und Kollegen gab. Nach Zahlen des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit sind im vergangenen Jahr fast 100 Kolleginnen und Kollegen in Deutschland körperlich angegriffen worden, weil sie ihren Job gemacht haben. Und schauen Sie nach Ungarn, in die Türkei oder nach Russland, wo ein freier Journalismus nicht mehr stattfindet. Ganz erschreckend sind auch die Vorgänge in den USA, wo wir einen Präsidenten sehen, der die Presse zu Feinden des Volkes erklärt und Journalismus mehr oder weniger verbieten will. Das sind alles Phänomene, die hätte man sich vor kurzer Zeit so noch nicht vorstellen können.

Sie haben es gerade angesprochen: knapp 100 Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland. Aus welcher Richtung kommen diese Angriffe?

Das hat sich ein wenig gewandelt. Zu Corona-Zeiten konnte man noch sagen, das waren die Querdenker und Corona-Leugner bei Demonstrationen. Das tritt in den Hintergrund. Aber es ist immer noch das Umfeld von Demonstrationen, in dem es recht häufig zu solchen Auseinandersetzungen kommt. Gerade Kolleginnen und Kollegen, die deutlich als Journalisten erkennbar sind – weil sie eine Videokamera oder einen Fotoapparat dabeihaben – werden oft auch handgreiflich angegangen. Am häufigsten ist das auf pro-palästinensischen und rechtsextremen Demos zu beobachten – aber nicht nur dort. Denken Sie an den AfD-Parteitag: Das waren geradezu Straßenschlachten, die da ausgetragen wurden und bei denen Journalisten aus allen möglichen Lagern zum Feind markiert wurden. Alles, was mit Extremismus zu tun hat, hat offenbar Schwierigkeiten mit unabhängiger und kritischer Berichterstattung. Dazu kommen Hass, Hetze und Häme in sozialen Medien, die oft zur Tagesordnung gehören.

Die aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit stellt für 2024 zumindest keine körperlichen Angriffe auf Journalisten in Rheinland-Pfalz fest. Spitzenreiter ist Berlin mit 62 Angriffen. Wie nehmen Sie die Lage der Pressefreiheit in Rheinland-Pfalz wahr?

Rheinland-Pfalz ist ein in weiten Teilen ländliches Bundesland. In Berlin ist die Demonstrationsszene ganz anders ausprägt als im Rest der Republik – dass es dort häufiger zu einer pro-palästinensischen Demonstration kommt als etwa in Andernach, versteht sich von selbst. Aber wir brauchen gar nicht die großen, aufsehenerregenden Fälle, in denen ein Journalist auf offener Straße niedergeprügelt wird, um zu sagen: Auch in Rheinland-Pfalz muss die Pressefreiheit verteidigt werden, muss die Demokratie verteidigt werden. Auch dort gibt es politischen Extremismus. Blicken Sie in die gesamte Westerwald-Region, was es dort an Strukturen gibt: Die sind vielleicht nicht so öffentlichkeitswirksam sichtbar, wie das in Berlin der Fall ist. Aber es wird versucht, enormen Einfluss auf das Leben in den Kommunen zu nehmen, teilweise auch durch gewaltsame Mittel, teilweise durch Propaganda. Und denken Sie an den Schüler im Landkreis Limburg-Weilburg, der bis in den Westerwaldkreis hinein vernetzt war, der wegen eines versuchten Terroranschlags vor Gericht steht. Das sind alles Dinge, an denen wir sehen, dass es Netzwerke gibt, die versuchen, unsere Demokratie zu erschüttern – auch den Glauben in die Medien, daran, dass es Fakten gibt.

Was bekommen Sie für Rückmeldungen von Journalisten aus Rheinland-Pfalz?

Wir haben einen starken Landesverband in Rheinland-Pfalz, der auch Rechtsberatungen macht – für Kollegen, die bedroht werden, die in der Szene recherchieren. Die wenden sich schon mal an den DJV und fragen nach: Begebe ich mich da in Gefahr? Ist das rechtlich okay, darf ich einen Namen nennen? Oder soll ich den lieber weglassen? Was ich auch in Rheinland-Pfalz erlebe: Wenn Kamerateams am Wochenende bei einer Demo in Mainz auf die Straße gehen, ist beim SWR oftmals auch ein Begleitschutz dabei. Die gehen da nicht mehr allein raus. Auch dass man überlegt, ob Kollegen allein auf einen Termin gehen sollten oder man Kollegen bittet, anzurufen, wenn sie losfahren – das sind Dinge, die in den Alltag übergegangen sind. Vor fünf Jahren hätte niemand gedacht, dass ein Lokalredakteur eine Zielscheibe sein könnte. Bei Themen, die polarisieren, achtet man heute mehr auf sich selbst.

Als Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands sind Sie ja besonders exponiert. Haben Sie selbst Angriffe erlebt?

Ja, auch ich habe schon die eine oder andere Morddrohung erhalten. Da wurde dann gesagt, ich solle auf einem Scheiterhaufen brennen. In unserem Büro in Berlin gibt es einen Aktenordner, der voll ist mit Schreiben, in denen mir alle erdenklichen Krankheiten gewünscht werden. So brutal das klingt: Es gehört mittlerweile offenbar dazu. Wer jetzt das Interview mit Kevin Kühnert gelesen hat, erfährt ja, dass er offenbar mit all den Angriffen nicht mehr zurechtgekommen ist und deshalb aus der Politik ausgeschieden ist. Auch Bürgermeister von kleinen Kommunen und Bürgerinitiativen werden ja Opfer von Hass und Hetze. Das sollte uns schon zu denken geben.

DJV-Bundesvorsitzender Mika Beuster
Frank Sonnenberg

Wird auch von politischer Seite versucht, Pressefreiheit einzuschränken?

Das gab es schon immer. Jeder Redakteur, der für eine Kommune verantwortlich ist, weiß, dass der Bürgermeister immer mal mehr oder weniger versucht, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Dann fallen etwa Sätze wie: „Das müssen Sie jetzt nicht schreiben“; „Die Frage stellt sich nicht“ oder „Das ist alles ganz anders, als Sie das darstellen“. Das kennen wir alle, das ist das normale Spielchen, da stehen wir drüber. Aber es gibt zwei Phänomene, die neu sind. Das eine sind etwa Klagen, die genutzt werden, um Berichterstattung zu verhindern.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Sie wollen über ein Unternehmen berichten – und in dem Augenblick, in dem Sie eine Presseanfrage eingereicht haben, kommt schon das Schreiben der Anwaltskanzlei, in dem es heißt: Wenn Sie weiter berichten, dann droht Ihnen dieses und jenes und Schadensersatz. Das löst vor allem bei freien Kolleginnen und Kollegen, die keine Redaktion im Hintergrund haben, Störgefühle aus. Die fragen sich dann: Mache ich weiter oder bewege ich mich wirklich auf dünnem Eis?

Und das andere Phänomen?

Das ist eher das Umgekehrte von staatlicher Einflussnahme. Der Staat unterlässt etwas: Er unterlässt es, uns Schutz zu gewähren, die Infrastruktur bereitzustellen. Der lokale Journalismus ist das Wichtigste, das wir haben, weil er dafür sorgt, dass die Menschen da, wo sie wohnen, gute Informationen bekommen über ihr direktes Lebensumfeld. Jedoch merken wir, dass die Geschäftsmodelle von Zeitungshäusern durch amerikanische Plattformen-Konzerne bedroht sind, die versuchen, den Zugang zum Publikum zu monopolisieren. Aber es wird nichts unternommen, um die Zeitungen von staatlicher Seite zu unterstützen. Ich werbe nicht dafür, dass der Staat sie mit Staatsgeldern unterstützt und Einfluss auf Berichterstattung nimmt – aber dafür, dass er Waffengleichheit schafft: dass Plattform-Konzerne reguliert werden, dass sie sich an die gleichen Regeln halten müssen, wie wir als Journalistinnen und Journalisten es tun. Ich werbe für diese Waffengleichheit, damit es auch zukünftig möglich sein wird, dass Menschen in Kommunen in Rheinland-Pfalz eine Zeitung bekommen können. Das gehört zur Grundversorgung.

Wer über Themen berichtet, die polarisieren, achtet heute mehr auf sich, erklärt der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster.
Christoph Soeder/dpa

Sie haben eben schon angesprochen, dass Bürgermeister manchmal versuchen, Einfluss auf die Berichterstattung zu nehmen. Immer öfter fällt uns auf, dass Kommunen Journalisten abwerben, um eine eigene, unkritische Pressearbeit aus Steuermitteln zu betreiben. Ist das eine allgemeine Tendenz, die Sie auch schon festgestellt haben?

Leider ja. Es ist so, dass immer mehr hoch qualifizierte Kollegen Schreibblock und Kamera gegen einen vermeintlich sichereren Arbeitsplatz in der Verwaltung eintauschen. Das ist ein Trend, der seit Jahren anhält. Wir sehen auch, dass Kommunen meinen, dass man sich direkt den Zugang zum Publikum sichern kann, wenn man sich eine Presseabteilung aufbaut. Dann glaubt auch mancher Oberbürgermeister, dass er querulantische Redakteure, die unbequeme Fragen stellen, umgehen kann. Ich habe noch nie etwas derart Peinliches gesehen als einen Oberbürgermeister, der sich von seiner eigenen Pressesprecherin interviewen lässt. Das löst in mir Fremdscham aus. Und ich denke, dass die Menschen das auch merken. Sie sind ja nicht dumm. Und man darf sie auch nicht für dumm verkaufen. Da fallen die Leute nicht mehr drauf rein. Die wissen direkt, dass das PR ist. Öffentliche Pressestellen, die künstlich aufgebläht sind, tragen sicher nicht dazu bei, dass die Demokratie stabiler wird.

Wie groß ist Ihrer Erfahrung nach noch das Vertrauen der Menschen in Qualitätsmedien? Hat das in der Corona-Krise gelitten?

Wenn wir uns dazu eine Studie der Uni Mainz anschauen, hat das Medienvertrauen in der Corona-Zeit sogar zugenommen. Ich glaube, das liegt daran, dass die Menschen die Flut der Nachrichten in sozialen Medien gar nicht mehr überschauen konnten. Wir dürfen uns da nicht aufs Glatteis führen lassen. In der Corona-Krise ist eine lautstarke, aber kleine Minderheit aufs Parkett getreten. Ein Scheinriese, der medial unheimlich aufgeblasen worden ist. Man darf sich deshalb nicht auf das Narrativ einlassen, das Medienvertrauen sei gesunken. Gerade die lokale Presse hat eine enorm hohe Glaubwürdigkeit. Das lässt sich auch ganz gut erklären. Denn in den Orten, in denen wir leben, sind wir ja greifbar. Man spricht uns beim Bäcker oder im Supermarkt an. Das heißt aber natürlich nicht, dass es keine Probleme gibt. Wer das behauptet, hat Tomaten auf den Augen. Dazu gibt es Rückmeldungen aus der Wissenschaft, die wir ernst nehmen müssen. Wir haben auch Hausaufgaben zu machen.

Kommen wir zum Abschluss noch zum Informationsfreiheitsgesetz, das reformiert werden soll. Macht Ihnen das Sorgen?

Das ist ja nicht nur für unsere journalistische Arbeit wichtig. Das ist auch für jeden Bürger wichtig. Jeder hat dadurch die Möglichkeit, Fragen an die Behörden zu stellen. Das ist eine große Transparenzleistung. Wenn man bedenkt, welche großen Skandale so aufgedeckt worden sind: der Masken- und der VW-Skandal etwa. Auch die Augustus-Intelligence-Affäre um Philipp Amthor ist so ans Tageslicht gekommnen. Jetzt soll das Gesetz zwar nicht ganz abgeschafft, aber reformiert werden. Das müssen wir mit scharfen Augen überwachen. Denn es handelt sich um ein hohes Gut. Jeder Versuch, das Gesetz unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus zu beschneiden, muss verhindert werden. Den ganz großen Willen zur Transparenz nehmen wir als DJV der Großen Koalition noch nicht ab. Mehr Transparenz tut nicht nur den Journalisten, sondern allen Bürgen gut.

Das Gespräch führten Cordula Sailer-Röttgers und Dirk Eberz

Freie Berichterstattung für die Demokratie

Der Internationale Tag der Pressefreiheit wurde von der Unesco initiiert. Seit 1994 wird am 3. Mai darauf aufmerksam gemacht, „wie unerlässlich eine unabhängige Berichterstattung für den Erhalt von Demokratien ist“, erklärt der Deutsche Journalisten-Verband Rheinland-Pfalz in einer Mitteilung.

Er ist rund um den 3. Mai Kooperationspartner einer ganzen Aktionswoche für Schülerinnen und Schüler im Land. In Workshops und bei Schulbesuchen stellen Journalisten die Bedeutung freier Berichterstattung heraus. Beteiligt ist unter anderem auch die Medienanstalt Rheinland-Pfalz.

Albrecht Bähr, Versammlungsvorsitzender der Medienanstalt Rheinland-Pfalz, erklärt dazu: „Pressefreiheit ist kein Selbstläufer mehr. Sie muss täglich verteidigt, gefördert und gestärkt werden. Journalist∗innen leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Wer sie angreift, greift die Demokratie an. Die Medienanstalt RLP setzt sich entschieden für einen freien, unabhängigen Journalismus ein.“ red

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