Eklat Anzeigen, Ärger und Debatte im Landtag: Warum der Streit um Schutz für Sudanesen eskaliert
Anzeigen, Ärger und Debatte im Landtag: Beendet die Polizei das Kirchenasyl?
Kirchenasyl
Eine Jesusstatue blickt hinab zu Schlafstätten. Foto: Axel Heimken/Archiv
Axel Heimken/Archiv. dpa

Rheinland-Pfalz. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen fünf Geistliche, Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) steht massiv in der Kritik, und die drei evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz warnen davor, das Kirchenasyl zu kriminalisieren: Keine Frage, der Streit um die Zuflucht in kirchlichen Gemeinden ist eskaliert. Es geht im Kern um noch sieben Sudanesen, die im Hunsrück Kirchenasyl gefunden haben, aber nach Entscheidung von Gerichten und Bundesflüchtlingsamt (BAMF) nach Italien abgeschoben werden müssen.

Am morgigen Donnerstag beschäftigen sie sowohl den Innen- als auch den Rechtsausschuss. Wie ist es zum Eklat gekommen – und vor allen Dingen, wie soll es weitergehen? Denn die Kirche muss bis Ende September eine Lösung finden. Unsere Zeitung beantwortet wichtige Fragen.

Warum ist der Streit eskaliert?

Auslöser war die Weisung von Spiegels Integrationsministerium, das die Abschiebung eines der Sudanesen (21) aus dem Hunsrück nach Italien untersagte – zur Empörung des dortigen Landrats Marlon Bröhr (CDU). Der stellte Strafanzeigen gegen fünf evangelische Geistliche wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt. Einer der betroffenen Pfarrer ist Christian Hartung (55), seit 1992 Pfarrer in Kirchberg.

Was genau hat das Ministerium angewiesen?

Es gab die rechtliche Grundlage, den betroffenen Sudanesen am 26. Juni aus dem Kirchenasyl nach Italien abzuschieben. Das Verwaltungsgericht hatte der Polizei zudem erlaubt, den 21-Jährigen notfalls aus einer Wohnung, nicht der Kirche, zu holen. Das Ministerium aber untersagte Bröhr per Weisung, den Aufenthalt zu beenden.

Was schlägt das Ministerium vor?

Ministerin Spiegel gibt der Kirche noch bis Ende September Zeit, eine Organisation zu finden, die dem Sudanesen in Italien hilft. Ein Kirchenvertreter soll ihn dorthin bringen. Danach endet die Weisung – und es könnte erneut die Räumung des Kirchenasyls drohen. Zudem hat Spiegel einen neuen Gipfel mit Landesregierung, Kommunen und Kirchen angekündigt. Ein Termin steht noch nicht fest, aber das Ziel: ein Mediationsverfahren für strittige Fälle im Kirchenasyl. In dem suchen derzeit landesweit 43 Personen in 32 Fällen Schutz, so der Stand des Ministeriums vom 7. September. Dabei geht es um sogenannte Dublin-Fälle: Die Flüchtlinge sollen in das Land zurück, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben.

Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die geplante Mediation?

Das Ministerium kann auf Anfrage keine benennen. Daher will Landrat Bröhr das Kirchenasyl für alle Sudanesen auch beenden und hält eine Mediation angesichts der Rechtslage für aussichtslos. Auch beim Landkreistag betont der Geschäftsführende Direktor Burkhard Müller: „Für uns sind Gerichtsentscheidungen bindend.“ Sie könne ein Kirchenasyl nicht außer Kraft setzen. Spiegels Sprecher hingegen betonen: Es gehe „nicht darum, eine Rücküberstellung zu verhindern, sondern lediglich darum, einen Polizeieinsatz ins Kirchenasyl zu verhindern“. Der Konflikt entzünde sich an der Frage, wann „und unter welchen Umständen Kirchenasyle freizugeben sind, wenn eine negative Entscheidung des BAMF getroffen worden ist“. Hintergrund: Folgt das BAMF den Argumenten der Kirchen nicht, dass der abgelehnte Asylbewerber wegen besonderer Härte in Deutschland bleiben darf, soll das Kirchenasyl binnen drei Tagen enden. Falls nicht, verlängert sich die Frist, in der ein Flüchtling in ein anderes EU-Land überstellt werden muss, auf 18 statt bisher sechs Monate. Dies erhöht die Kosten der Kirchen enorm, da sie für den Lebensunterhalt aufkommen müssen. Aber die Fristverlängerung gebe, so das Ministerium, auch Zeit für eine Mediation. Ziel: Die Rücküberstellung „einzelfallbezogen möglichst human auszugestalten“, heißt es zur besonderen Behandlung derer, die es ins Kirchenasyl geschafft haben.

Warum will das Ministerium verhindern, dass die Polizei einen Flüchtling aus dem Kirchenasyl holt?

„Kirchenasyl wird in der gesamten Bundesrepublik als christliche Tradition respektiert“, erklärt Spiegels Haus. „Es ist jahrzehntelange bewährte Praxis auch in Rheinland-Pfalz bei Kirchenasylen im Einzelfall im vertrauensvollen Dialog nach konfliktfreien Lösungen zu suchen und den Einsatz von polizeilichen Zwangsmitteln zu vermeiden.“ Auch in keinem anderen Bundesland sei es übliche Praxis, Kirchenasyle polizeilich zu räumen.

Was kann die Kirche noch tun?

Wie Pfarrer Hartung sagt, hofft die evangelische Landeskirche im Rheinland, dass sich die Waldenser in Italien des Sudanesen (21) annehmen – eine kleine vorreformatorische protestantische Kirche. Ob sie sich dazu in der Lage sehen, sei noch offen. Denn alle Hilfsorganisationen in Italien seien in der Flüchtlingshilfe bereits stark belastet. Der italienische Staat kümmere sich nicht um die Menschen, überlasse sie häufig der Straße – ohne Mahlzeiten, ohne medizinische Hilfe. Ob Amnesty International oder das UN-Flüchtlingswerk helfen könnten, weiß Hartung nicht. Er selbst betreut drei der sieben Sudanesen im Kirchenasyl und spürt den Rückhalt seiner Gemeinde.

Warum sind die Sudanesen für den Pfarrer ein Härtefall?

Wegen der Furcht, dass sie in Italien auf der Straße landen. Zudem drohe ihnen dort die „Kettenabschiebung“ ins Bürgerkriegsland Sudan. Ob sein Dossier zum besonderen Härtefall vom BAMF sorgfältig geprüft wurde, daran hegt er Zweifel. Das Schreiben sei dem BAMF am 3. Mai zugegangen. Es habe die Ablehnung bereits am 4. Mai verfügt. Außerdem fragt er sich, ob die neue Regelung, dass der deutsche Staat erst nach 18 Monaten für einen Dublin-Fall zuständig wird, rückwirkend vor dem 1. August im Hunsrück angewendet werden durfte. Die Evangelische Kirche im Rheinland prüft dies juristisch noch.

Was sagt die Kirche zum Streit?

„Seit nun gut eineinhalb Jahren geraten Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, immer mehr unter Druck“, berichten die drei evangelischen Landeskirchen mit Sorge. Es werde mit Räumung gedroht, Pfarrer würden angezeigt. Nach einem Spitzengespräch von Kirchen, Land und Kommunen habe 2017 Einigkeit bestanden, dass es keine Polizeimaßnahmen gegen Kirchenasyle geben soll. „Wir bitten die politisch Verantwortlichen auf kommunaler wie Landesebene, sich dafür einzusetzen, dass das Kirchenasyl nicht weiter kriminalisiert wird.“

Von Ursula Samary

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