Menschenhandel im Ahrtal
Anwältin von Opfern: „Es gibt einfach böse Leute“
Zerstörte Waschmaschinen stehen vor einem Wohnhaus im verwüsteten Ahrtal: Aufräumarbeiter aus Rumänien waren nach der Flutkatastrophe als Helfer von einem nun verurteilten Mann massiv ausgebeutet worden. In einem Prozess in Hannover ging es um Menschenhandel.
Thomas Frey/dpa

Nach Katastrophen zeigen Menschen sich nicht selten von ihrer edelsten Seite, stehen zusammen und helfen sich gegenseitig. Doch wie der Fall von ausgebeuteten Aufräumarbeitern im Ahrtal beweist, gibt es auch immer wieder faule Äpfel im Körbchen.

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Durch die Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer 2021 war eine ganze Region wortwörtlich dem Erdboden gleichgemacht worden – überall Trümmer, Schlamm und Elend. Viele Menschen solidarisierten sich in der Folge mit den Betroffenen und reisten in das Gebiet, um anzupacken, zu trösten, zu helfen, egal wie – und ganz ohne Gegenleistung. Wie ein Gerichtsurteil des Amtsgerichts Hannover aufzeigt, lockte die Katastrophe jedoch auch Opportunisten an, die in dem Chaos eine Chance sahen, sich selbst zu bereichern.

Ein 37-Jähriger ist in der niedersächsischen Hauptstadt wegen Menschenhandels in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Die Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Laut Urteil hatte der Mann mindestens vier Personen im Jahr 2021 bei Aufräumarbeiten im Ahrtal ausgebeutet. Der mehrfach vorbestrafte Angeklagte soll bedürftige Menschen aus Rumänien mit falschen Versprechungen geködert und sie anschließend im zerstörten Ahrtal für lächerlich wenig oder gar keinen Lohn schuften lassen haben. Im Urteil werden teils monatelange Einsätze, Sechs-Tage-Wochen und Zwölf-Stunden-Tage genannt. Der Angeklagte hatte vor dem Amtsgericht Hannover im März dieses Jahres alles zugegeben. Auch eine Frau war angeklagt – das Verfahren gegen sie wurde allerdings eingestellt. In dem Urteil aus Hannover sind vier Taten genannt, der 37-Jährige habe sich in diesen Fällen des gewerbsmäßigen Menschenhandels schuldig gemacht.

Eine Anwältin hat Betroffene vor einigen Jahren in einem anderen Verfahren am Arbeitsgericht Koblenz rechtlich vertreten. Mit unserer Zeitung sprach sie nun über die Causa.
Sonja Wurtscheid/dpa/Symbolbild/Sonja Wurtscheid

Unsere Zeitung hat nun mit einer Anwältin gesprochen, die diese vier Betroffenen vor einigen Jahren in einem anderen Verfahren am Arbeitsgericht Koblenz rechtlich vertreten hatte. Die Juristin will anonym bleiben. Im strafrechtlichen Prozess in Hannover, sagt die Anwältin, seien die vier Geschädigten nicht anwaltlich vertreten worden. Sie selbst habe aber im Januar 2022 am Arbeitsgericht Koblenz einen Vergleich für die vier Arbeitskräfte aus Rumänien erzielen können.

Wenngleich einen ernüchternden – doch wenig Geld sei besser als gar keins, sagt die Juristin. Für einen 19-jährigen Rumänen etwa habe sie 2878 Euro gefordert – am Ende seien 1400 Euro ausbezahlt worden. Man habe sich auf diesen Vergleich vor allem auch deshalb eingelassen, weil der junge Mann das Geld dringend für die Rückreise nach Rumänien gebraucht habe.

„Das waren arme Leute. Die haben nur Geld gehabt, um nach Deutschland zu kommen.“
Die Anwältin im Gespräch mit unserer Zeitung

Insgesamt hatte die Juristin eigenen Aussagen zufolge aber 25 Mandanten am Arbeitsgericht Koblenz vertreten, die für den 37-Jährigen gearbeitet haben sollen – alles Rumänen. „Das waren arme Leute. Die haben nur Geld gehabt, um nach Deutschland zu kommen. Manche waren befreundet“, sagt die Anwältin im Gespräch mit unserer Zeitung. „Viele waren als Familie hergekommen. Zum Beispiel: Frau und Mann und die Eltern der Frau. Die Mutter der Frau war schwer krank, hat trotzdem gearbeitet, ist aber inzwischen gestorben. Die Familie brauchte das Geld für ihre Behandlung“, berichtet die Juristin weiter.

Die Anwältin vermutet, dass der 37-Jährige die bedürftigen Rumänen mit Kalkül über Facebook angeworben hatte, um sie auszubeuten. Im strafrechtlichen Verfahren in Hannover hätten sich nur vier der 25 Rumänen, die sie vor einigen Jahren in Koblenz am Arbeitsgericht vertreten habe, getraut, gegen den 37-Jährigen auszusagen. Die anderen 21 hätten geschwiegen. „Weil die Mandanten so Angst hatten“, behauptet die Juristin. Fast alle 25 Arbeiterinnen und Arbeiter seien inzwischen wieder zurück in Rumänien.

29.711 Euro sollen ausstehen

Insgesamt will die Anwältin für ihre 25 Mandanten Lohnansprüche in Höhe von genau 34.025 Euro am Arbeitsgericht Koblenz erzielt haben. Bisher geflossen seien indes bloß 4314 Euro. Das sei die Gesamtsumme für die vier Mandanten, die sich auch im Strafverfahren in Hannover getraut hätten, auszusagen, sagt die Anwältin. Die verbliebenen 29.711 Euro für die 21 anderen Mandanten müssen laut der Juristin rechtlich noch vollstreckt werden. Doch es gebe ein Problem: „Da die Inhaberin der Firma Insolvenz angemeldet hat. Es gibt Vollstreckungsschutz, wenn man insolvent ist. Deshalb wurden mir die Vollstreckungsunterlagen zurückgesendet.“ Nun telefoniere sie alle paar Monate mit der Rechtsanwältin, die als Insolvenzverwalterin zuständig sei. Dass ihre 21 Mandanten noch etwas von dem Geld sehen, darauf hoffe sie.

Ihre 25 Mandanten seien im Ahrtal nicht geschlagen worden, sagt die Juristin. Doch sie hätten gesehen, wie andere geprügelt worden seien. Der 37-Jährige hatte am Amtsgericht Hannover erklärt, dass es seinerseits nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen sei. Laut Aussagen der Juristin seien im Ahrtal die Ausweise einiger Arbeiter teilweise über einen Zeitraum von mehr als einer Woche einbehalten worden. „Es gibt einfach böse Leute“, sagt die Anwältin nachdenklich.

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