Die emotionale Redeschlacht im Bundesrat ums umstrittene Cannabisgesetz ist geschlagen. Aber der Ärger des rheinland-pfälzischen Justizministers Herbert Mertin (FDP) wird noch nicht so schnell verrauchen. Denn Staatsanwälte müssen Überstunden schieben, um den jetzt ab dem 1. April geltenden Straferlass für den Besitz von Hasch in gewissen Mengen sicherzustellen. Dafür sind an die 10.000 Akten in die Hand zu nehmen, um zu prüfen, ob Häftlinge noch an Ostern freikommen oder Gerichte neue Urteile fällen müssen.
Dass diese Amnestie fünf Wochen nach dem Bundestagsbeschluss und nur ganze vier Werktage nach der endgültigen Entscheidung der Länderkammer nun gilt, nennt der Liberale rücksichtslos. Er wehrt sich nicht im Grundsatz dagegen, dass Joints straflos geraucht werden dürfen. Aber er stuft im Gespräch mit unserer Zeitung den rücksichtslosen Zeitdruck auch als verfassungsrechtlich bedenklich ein. Denn es sei nicht auszuschließen, dass bei „einer solchen Mammutaufgabe in irrsinnig kurzer Frist Fehler passieren“.
Beim Bundeszentralregister gibt es Aufschub
Bemerkenswert ist für Mertin, dass sich der Gesetzgeber dagegen für die Tilgung von Verurteilungen aus dem Bundeszentralregister zu einem späteren Inkrafttreten habe durchringen konnte. „Böse Zungen behaupten, das hänge nur damit zusammen, dass das Bundeszentralregister von einer dem Bundesjustizministerium unterstehenden Behörde, nämlich dem Bundesamt für Justiz, geführt wird.“
Vergleichbare Regelungen für einen – zumal so hektischen – Straferlass gab es bisher nur selten. Dabei erinnert der Minister an die Aufhebung von Urteilen, die Männer für homosexuelle Handlungen bestraften. Dies habe allerdings „gute moralische und ethische Gründe“ gehabt. „Verurteilungen wegen Cannabisbesitzes sind aber nicht unbedingt ein Unrecht, das es wiedergutzumachen gilt“.
Justiz konnte sich nicht auf Zäsur vorbereiten
Die Justiz habe sich auf die Teillegalisierung von Cannabis und damit die Zäsur in der Drogenpolitik zum 1. April auch nicht früher vorbereiten können. Die Staatsanwaltschaften hätten zwar bereits alle Verfahren identifiziert, die betroffen sein könnten. „Vorbereitung heißt aber nicht, die Verfahren bereits abschließend zu prüfen und in der Sache zu entscheiden. Vor Inkrafttreten des Gesetzes wäre das in einem Rechtsstaat aus rechtlichen Gründen unzulässig, aber auch schon aus praktischen Gründen völlig unrealistisch.“
Mit digitaler Hilfe hätten betroffene Verfahren schneller gefunden werden können. „Aber weder die elektronische Akte noch eine sonst derzeit verfügbare Software ändert etwas an dem Umstand, dass sämtliche Akten händisch zu überprüfen sind, und zwar von echten Menschen, die Verantwortung für zu treffende Entscheidungen übernehmen“, hält der Justizminister auch fest.
Auf Dauer Entlastung? Mertin ist skeptisch
Dass die Teillegalisierung die Justiz auf Dauer aber entlastet, sieht Mertin noch nicht. Denn auch nach der Neuregelung würden der Besitz, der Handel, die Abgabe von Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen strafbar oder bußgeldbewehrt sein. Allein die Liste möglicher Ordnungswidrigkeiten sehe 37 Tatbestände vor. Das Medizinal-Cannabisgesetz enthalte ebenfalls neue Straftat- und Bußgeldtatbestände. Das neue Gesetz werde „daher zu beträchtlichem Ermittlungsaufwand führen und Behörden und Gerichte vor ganz neue Auslegungsfragen stellen.“
Die kommen auch auf die Polizei zu. Bis zu 25 Gramm Cannabis dürfen Erwachsene künftig auf der Straße dabei haben. Treffen die Beamten einen ihnen bekannten Dealer an, müssen sie ihn laufen lassen, wenn nach dem Wiegen der Droge feststeht, dass er nur 25 Gramm Hasch dabei hat. Zudem darf in einer Schutzzone von Schulen und Kitas kein Hasch konsumiert werden. Die notwendige Distanz ist notfalls abzumessen.