Rheinland-Pfalz

„Wir brauchen rote Telefone“: Oberbrandmeister sieht Probleme bei der Kommunikation und der Ausstattung der Rettungskräfte

Von Gisela Kirschstein
Die Abläufe im Trierer Stadtteil Ehrang nennt Oberbrandmeister Michael Ehresmann hochprofessionell. Dass es nicht überall so reibungslos läuft, liegt seiner Meinung nach an verschiedenen Problemlagen.
Die Abläufe im Trierer Stadtteil Ehrang nennt Oberbrandmeister Michael Ehresmann hochprofessionell. Dass es nicht überall so reibungslos läuft, liegt seiner Meinung nach an verschiedenen Problemlagen. Foto: dpa

Warnen im Fall einer Katastrophe, sagte Michael Ehresmann, Warnen können wir nicht. Es ist Tag sechs nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, an der Mosel und anderswo, und Ehresmann muss seinem Herzen einfach mal Luft machen. Also postete der Oberbrandmeister von der Berufsfeuerwehr Mainz ein paar Gedanken zu dem, was er selbst im Einsatz im Katastrophengebiet erlebte. Und seine nüchterne Analyse fällt erschreckend aus: Fehlendes Gerät, problematische Meldeketten, kein einheitliches Warnsystem, zu wenig Eigeninitiative, die Liste der Problemlagen in seiner Analyse ist lang.

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„Ich muss vor Ort ein Formular per Hand ausfüllen und das an die Leitstelle faxen, nur die kann sich in das System einloggen.“ Michael Ehresmann beschreibt die Abläufe.
„Ich muss vor Ort ein Formular per Hand ausfüllen und das an die Leitstelle faxen, nur die kann sich in das System einloggen.“ Michael Ehresmann beschreibt die Abläufe.
Foto: privat
Der Post spiegelt „mein subjektives Empfinden“, betont Ehresmann, als ihn unsere Zeitung am Telefon erreicht, er wolle seine Zusammenfassung „als Anreiz und Diskussionsgrundlage“ verstanden sehen. Der 32-Jährige leitet den Mainzer Teil der Landesfacheinheit Puma, der für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Großschadenslagen zuständig ist. Vergangene Woche war er selbst im überfluteten Stadtteil Trier-Ehrang im Einsatz, 30 Stunden lang im Führungsstab. 4048 Einsatzkräfte wurden von hier aus geführt, 22.000 betroffene Menschen rund um die Flüsse Kyll und Sauer betreut, berichtet der gebürtige Bad Schwalbacher. „Wir sind da hingefahren, und ich war erst mal beeindruckt, wie gut das da lief“, sagt Ehresmann im Interview. „Es waren nach wenigen Stunden alle Strukturen geschaffen, das war unfassbar professionell, das hat hervorragend funktioniert.“

Die örtlichen Einsatzkräfte hätten „Übermenschliches geleistet“, sie hätten Menschen und sich selbst gerettet, während gleichzeitig ihre eigenen Häuser unter Wasser standen und ihr eigener Ort zerstört wurde. „Es hat jeder persönlich alles getan, was er konnte“, sagte Ehresmann. „Unser Problem sind die Strukturen.“

Das fange schon bei der Ausstattung an: „Wir haben zu wenige echte Katastrophenschutzfahrzeuge“, sagt Ehresmann mit Blick auf die Feuerwehren. „Es gibt nichts, mit dem man mal in irgendeine Überflutung oder doch mal durch ein Gestrüpp fahren kann.“ Fahrzeuge mit Geländegängigkeit habe es früher flächendeckend gegeben, Unimogs mit Wassertanks auf der Ladefläche etwa. „Die sterben jetzt langsam aus“, sagt Ehresmann – den Kommunen seien die Spezialfahrzeuge zu teuer, in Städten brauche man sie meist nicht.

In Trier-Ehrang aber stand ein Krankenhaus unter Wasser, die Feuerwehr konnte das Haus nicht erreichen. „Wäre die Bundeswehr mit ihren Unimogs nicht da gewesen, wären die Leute im Altenheim tot. Punkt“, sagte Ehresmann. Auch bei der Kommunikation untereinander hake es: „Digitalfunk ist eine Katastrophe“, sagte Ehresmann, weil sich die örtlichen Kräfte aus verschiedenen Bundesländern untereinander nicht zusammengeschaltet bekämen, oder gar noch ohne Digitalfunk anrückten.

Und dann das Thema Warnung der Bevölkerung: „Mit den Warnungen auf lokaler Ebene haben wir große Schwierigkeiten, weil es kein einheitliches System gibt“, sagt Ehresmann. Weder die Warn-App Katwarn noch Nina arbeiten flächendeckend in allen Regionen, mal nutzt eine Kommune die eine App, der Nachbar hingegen die andere. Nina löste offenbar in der Flutnacht gar keine Warnung im Kreis Ahrweiler aus.

„Die Warnungen werden inflationär genutzt“, kritisiert Ehresmann zudem. Die Warn-App des Deutschen Wetterdienstes warne „vor jedem Regenschauer“, die Warnungen seien nicht konkret genug. „Wenn gewarnt wird, dann muss das eine echte Warnung sein“, betont der Brandmeister, eine Warnung über die höchste Unwetterwarnstufe, wie sie am Mittwoch ausgelöst wurde, die müsse auch ankommen. „Das darf nicht übersehen werden können.“

Sirenen aber gibt es vielerorts gar nicht mehr, oder sie wurden dazu benutzt, um die Freiwillige Feuerwehr zum Einsatz zu rufen – als Warnung für die Bevölkerung wurde das vielerorts nicht verstanden. Und überhaupt seien die Hürden, so eine Sirenenwarnung auslösen zu können, ungeheuer hoch, berichtet Ehresmann: „Ich muss vor Ort ein Formular per Hand ausfüllen und das an die Leitstelle faxen. Nur die kann sich in das System einloggen.“

Die Leitstellen aber seien bei solchen Lagen „ohnehin weit über das Limit gefordert“, bis so eine Warnung dann wirklich rausgeht an Katwarn, Nina oder über die Sirenen – das dauere. „Wir brauchen rote Telefone“, forderte Ehresmann deshalb, prioritäre Leitungen, die für besondere Warnlagen frei bleiben. Es dürfe einfach nicht sein, dass ein Lagezentrum in dringenden Fällen nicht erreichbar sei.

In den Katastrophengebieten, vor allem an der Ahr, strömen seit der Flut unzählige freiwillige Helfer in das Krisengebiet, doch vor Ort ist oft niemand, der sie anleitet und auch einweist. „Es gibt dafür schlichtweg keine Struktur, das ist nicht eingeplant“, sagt Ehresmann. Die Einsatzkonzepte für Großschadenslagen stammten noch aus Zeiten, „wo noch jeder im Ort in der freiwilligen Feuerwehr war“, erklärt er. Die unausgebildeten Spontanhelfer seien in diesem System nicht vorgesehen, es gebe deshalb niemanden, der ihren Einsatz koordiniere.

„Natürlich sind die sinnvoll“, betont Ehresmann. Hier gebe es „wertvolle Ressourcen“, die aber organisiert werden müssten. Das sei auch wichtig, weil die Spontanhelfer eben vielfach Gefahren nicht erkennen würden. „In Kordel mussten alle Helfer dekontaminiert werden, weil da große Mengen an Heizöl im Wasser waren“, sagt Ehresmann. „Selbst der Wald hat gestunken wie eine Tankstelle – das haben die Selbsthelfer oft nicht auf dem Schirm.“

Große Einsatzlagen würden zudem viel zu selten geübt, kritisiert der 32-Jährige weiter: „Wenn wir im Alltag schon Schwierigkeiten haben, weil Leitstellen ausfallen, Strukturen durch normale Großeinsätze an ihre Grenzen kommen, die IT schon kaum geht, haben wir keine Resilienz für dynamische Flächenlagen!“ Ohne größere Strukturen auf Kreis- oder besser noch auf Landesebene werde es schwer, sich auf außergewöhnliche Lagen einzustellen, es brauche noch mehr Landesfacheinheiten wie in Rheinland-Pfalz.

Mehr Eigenverantwortung fordert Ehresmann aber auch von den Bürgern: „Wir haben auch eine Mentalität, dass man die Feuerwehr schon anruft, wenn nur ein kleiner Ast auf der Straße liegt“, sagt Ehresmann. Die Sirenensignale kenne keiner, Warnungen vor Gefahren würden nicht ernst genommen. Katastrophenschulungen wären sinnvoll, findet er. Es gebe tolle Konzepte und Lehrgänge, gerade auch für Kitas und Schulen. „Die Selbsthilfekompetenz zu stärken und das System verständlich zu machen: Das wäre sicher einer der Ansätze“, sagt Ehresmann. Sein Fazit: „Effizienz und Effektivität müssen besser werden“, sagt Ehresmann: „Jede Vorbereitung zahlt sich aus, jeder Gedanke im Vorhinein spart in der Lage Zeit und Chaos.“ Gisela Kirschstein