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Quirnbach/Jerusalem

SS-Obersturmbannführer Eichmann enttarnt: Quirnbacher gab dem israelischen Geheimdienst den entscheidenden Tipp

Von Dirk Eberz
Inbegriff eines Schreibtischtäters: Adolf Eichmann organisierte die Deportation von Millionen Juden in die Vernichtungslager. Ab 1961 musste er sich vor einem Gericht in Jerusalem verantworten. Das Urteil: Tod durch den Strang. Zur Strecke brachte ihn ausgerechnet ein Jude aus dem Westerwald.
Inbegriff eines Schreibtischtäters: Adolf Eichmann organisierte die Deportation von Millionen Juden in die Vernichtungslager. Ab 1961 musste er sich vor einem Gericht in Jerusalem verantworten. Das Urteil: Tod durch den Strang. Zur Strecke brachte ihn ausgerechnet ein Jude aus dem Westerwald. Foto: imago stock&people

In Quirnbach erinnert nichts mehr an Lothar Hermann. Keine Tafel, schon gar kein Denkmal. Die Menschen, die ihn noch persönlich gekannt haben, sind mittlerweile längst gestorben. Sein Elternhaus ist abgerissen und umgebaut worden. Geblieben sind nur die stummen Zeugen eines stillen Helden. Der Bach, an dem er mit seinen elf Geschwistern gespielt hat. Und die alten Bruchsteinhäuser, die schon den Ortskern prägten, als Hermann 1901 geboren worden ist. Ansonsten hat selbst in dem kleinen Westerwalddorf bei Montabaur bis vor ein paar Jahren fast niemand jemals seinen Namen gehört. Ein Phantom.

Lesezeit: 5 Minuten
Für manchen Quirnbacher ist er bis heute ein Unbekannter geblieben. Der Mann, der Adolf Eichmann enttarnt hat – den berüchtigten Organisator des Holocaust, der Millionen Juden in die Gaskammern geschickt hat. Seine Geschichte von Liebe, Leid und später Rache könnte kein Drehbuchschreiber aus Hollywood erfinden. Es ist eine Tragödie, in ...
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Wie die katholische Kirche Eichmann deckte, was aus seiner Familie wurde und wie Fritz Bauer für Recht kämpfte

Adolf Eichmann organisierte die Verfolgung, Vertreibung und Deportation von Juden und war mitverantwortlich für die Ermordung von sechs Millionen Menschen. Nach dem Sieg der Alliierten über Nazideutschland trennte sich Eichmann zunächst von seiner Familie, geriet aber unter dem Namen Adolf Barth in US-Kriegsgefangenschaft. Aufgrund seiner Blutgruppentätowierung, die ihn eindeutig als SS-Mitglied auswies, bezeichnete er sich jedoch bald als SS-Untersturmführer Otto Eckmann. Man internierte ihn im Gefangenenlager Oberdachstetten. Nachdem er gegenüber einigen Mitgefangenen seine wahre Identität preisgegeben hatte, erhielt er von dem ehemaligen SS-Offizier Hans Freiesleben im Januar 1946 ein Empfehlungsschreiben, das ihm ein Untertauchen in der kleinen Ortschaft Altensalzkoth in der Lüneburger Heide ermöglichen sollte. Auf seinem Weg dorthin konnte er sich gefälschte Papiere beschaffen, die ihn als Kaufmann Otto Heninger aus Prien auswiesen. Unter diesem Namen nahm er in der Klosterrevierförsterei Kohlenbach eine Arbeit als Holzfäller und Waldarbeiter an. Mithilfe des Sterzinger Pfarrers Johann Corradini gelangte er später nach Südtirol, wo er im Franziskanerkloster Bozen untergebracht wurde. 1950 wanderte er mithilfe deutsch-katholischer Kreise um den österreichischen Bischof Alois Hudal im Vatikan über Italien nach Argentinien aus. Eichmann gab sich dort als Ricardo Klement aus, holte seine Familie nach und arbeitete als Lagerarbeiter im Lkw-Werk von Daimler-Benz in González Catán.

Mit dem Wirken von Fritz Bauer als Generalstaatsanwalt in Hessen von 1956 bis 1968 verbinden sich die Entführung Adolf Eichmanns nach Israel, die positive Neubewertung der Widerstandskämpfer des 20. Juli von 1944 und die Frankfurter Auschwitzprozesse. Innerhalb der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz war Bauer wegen seines Engagements umstritten, hatten doch die meisten damaligen Juristen in der Zeit zuvor schon der NS-Diktatur gedient. Bauer prägte den Satz: „Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr.“ Damit setzte er durch, dass die Widerstandskämpfer und ihr Versuch, Hitler zu töten, legitimiert wurden. Das Gericht schloss sich Bauers Auffassung in seinem Plädoyer an, der NS-Staat sei „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ gewesen. 1959 erreichte Bauer, dass der Bundesgerichtshof die „Untersuchung und Entscheidung“ in der Strafsache gegen Auschwitz-Täter dem Landgericht Frankfurt übertrug. Die Frankfurter Auschwitzprozesse (1963–1981) wären ohne Bauers hartnäckigen Einsatz wohl nicht zustande gekommen. Auf Weisung Bauers leitete die dortige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen vormalige Angehörige und Führer der SS-Wachmannschaft des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz ein. Der erste Auschwitzprozess in Westdeutschland, die „Strafsache gegen Mulka“, wurde schließlich im Dezember 1963 gegen 22 Angeklagte vor dem Landgericht Frankfurt eröffnet.

Was wurde aus Eichmanns Familie, aus seiner Frau Vera Liebl, den Söhnen Klaus, Horst, Dieter und Ricardo? Ricardo Eichmann ist der jüngste Sohn des NS-Verbrechers. Nach der Entführung des Vaters – Ricardo Eichmann war zu diesem Zeitpunkt fünf Jahre alt – zog die Mutter mit ihren Kindern Anfang der 60er-Jahre nach Deutschland zurück. Vera Liebl starb 1997. Ricardo Eichmann wuchs nach eigener Aussage ohne besondere Auseinandersetzung mit der Geschichte des Vaters auf, über den auch in der Familie nicht geredet wurde. Zu seinem Vater empfindet er nach eigener Aussage keine Verbundenheit, vielmehr soll er eine pazifistische Einstellung entwickelt haben. Von 1977 an studierte Ricardo Eichmann Ur- und Frühgeschichte, Klassische Archäologie und Ägyptologie an der Universität Heidelberg und wurde 1984 mit einer Dissertation über Aspekte prähistorischer Grundrissgestaltung in Vorderasien promoviert. Von 1996 bis 2019 war er Erster Direktor der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin. Über die anderen Söhne ist wenig bekannt – obwohl sie noch leben. Der „Spiegel“ schrieb 1964 über Horst Eichmann, er habe zum zweiten Jahrestag der Eichmann-Hinrichtung in Buenos Aires eine Demonstration von 30 argentinischen Nazis angeführt. Dieter Eichmann tauchte noch einmal in den Schlagzeilen auf, als er 1999 einen Anwalt beauftragte, von Israel die Herausgabe der letzten Aufzeichnungen seines Vaters aus israelischer Haft zu fordern. Über Klaus Eichmann ist nur wenig bekannt.

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