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Rheinland-Pfalz

OPs werden oft übers Knie gebrochen: Warum Ärzte in Kliniken den Patienten immer häufiger Prothesen 
einsetzen

Von Christian Kunst
Immer häufiger werden den Patienten solche Prothesen 
eingesetzt. Konservative 
Verfahren wie Physiotherapie haben 
einen schlechten Stand.
Immer häufiger werden den Patienten solche Prothesen 
eingesetzt. Konservative 
Verfahren wie Physiotherapie haben 
einen schlechten Stand. Foto: Sascha Ditscher

Es gibt Patienten mit Kniebeschwerden, die nicht mehr operiert werden können, weil selbst erfahrene Chirurgen davor zurückschrecken. Dann sitzen sie in der Praxis des Ludwigshafener Schmerzmediziners Dr. Oliver Emrich. Wie ein 65-jähriger Mann aus dem südlichen Rheinland-Pfalz, der gerade seine dritte Prothese im rechten Knie bekommen soll.

Lesezeit: 11 Minuten
„Doch wo soll die hin? Da ist kein Knochen mehr, um der Prothese Halt zu geben. Bei jeder Operation wurde der Knochen weiter ausgebohrt, die Prothesen wurden immer länger und größer. Deshalb zögern die Orthopäden jetzt“, sagt Emrich. Die Leidensgeschichte des Mannes liest sich wie ein Horrorkabinett der Kniechirurgie: Mit Anfang ...
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Auch in Rheinland-Pfalz: Warum die Zahl der Knieoperationen steigt

Die Zahl der Knieerstprothesen ist seit 2013 erstmals wieder deutlich gestiegen – bundesweit um 18,5 Prozent, in Rheinland-Pfalz um 16,7 Prozent. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes und Berechnungen von Kölner Wissenschafts- und Datenjournalisten des Science Media Centers hervor, die unserer Zeitung exklusiv vorliegen.

Einige Chefärzte aus der Region führen dies gegenüber unserer Zeitung auf das gestiegene Anspruchsdenken vieler Patienten zurück. Der Bonner Schmerzmediziner Dr. Michael Küster verweist indes auf den wirtschaftlichen Druck der Kliniken: „Die Indikation für eine Operation wird oft mehr durch wirtschaftliche Ängste und Zwänge der Kliniken bestimmt und weniger durch den Patienten.“

Ein deutliches Indiz dafür ist, dass die Erlöse, die eine Klinik für eine Erstprothese am Knie erzielen kann, zwischen 2013 und 2016 bundesweit um 9,6 Prozent von 7180 Euro auf 7869 Euro gestiegen sind. In Rheinland-Pfalz stiegen die Einnahmen pro OP wegen des höheren Landesbasisfallwerts sogar von 7607 Euro auf 8233 Euro (8,2 Prozent). Mehrere Chefärzte aus NRW und Bayern sowie eine Klinik-Controllerin berichten anonym, dass solche planbaren und vom Aufwand überschaubaren Knie-OPs besonders für kriselnde kleine Kliniken eine willkommene Gelegenheit sind, um sich zu sanieren und Defizite in anderen Bereichen auszugleichen. Mehr als jede dritte Klinik in Rheinland-Pfalz schreibt laut Krankenhausgesellschaft rote Zahlen.

Im Interesse der Patientensicherheit fordert der Landeschef der Techniker Krankenkasse, Jörn Simon, daher eine Mindestmenge von 100 Knie OPs pro Jahr. Derzeit liegt die Grenze bei 50. „Denn es gilt in der Regel, dass mehr Erfahrung bessere Ergebnisse erzielt“, sagt Simon. Zweitgutachter Küster reicht das nicht. Er wünscht sich, dass eine Klinik mindestens 250 Knie-OPs pro Jahr vorweisen muss, um noch Geld dafür zu erhalten. Die Komplikationsrate sei in Zentren sehr gering.

Fakt ist: In Rheinland-Pfalz setzen laut Krankenhausbewertungsportal Weiße Liste 58 Kliniken ein Knieerstimplantat ein. 6 Krankenhäuser erreichen nicht einmal die Mindestmenge von 50, darunter auch das Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz (41). 26 Häuser liegen zwischen 50 und 100 Erstprothesen, viele davon knapp über der Mindestmenge. Doch nur 26 Kliniken, also nicht mal die Hälfte der operierenden Häuser, liegt über der Zahl von 100, sogar nur elf Kliniken erreichen mehr als 200 OPs pro Jahr, nur fünf würden die von Küster geforderte Mindestmenge von 250 erreichen.

Wie problematisch und schmerzhaft eine Knie-OP sein kann, zeigt eine Umfrage der Barmer GEK unter ihren Versicherten: Nur 43 Prozent der Befragten waren mit ihrer Prothese zufrieden, 21 Prozent waren noch fünf Jahre nach der OP unglücklich mit dem Gelenkersatz, weitere 35 Prozent eingeschränkt. Nahezu jeder dritte Prothesenträger nahm sechs Jahre nach der OP noch Schmerzmittel.

Warum es zu einer OP kommt – und wie Patienten dies vermeiden können

Die häufigste Ursache für ein künstliches Kniegelenk ist Arthrose – eine Gelenkerkrankung, bei der die Knorpelschicht im Gelenk meist durch Verschleiß zerstört wird. Die Folgen sind Schmerzen und entzündete Gelenke.

Arthrose an den Kniegelenken ist weit verbreitet. Laut Techniker Krankenkasse (TK) sind bei 20 bis 40 Prozent aller über 60-Jährigen verschleißbedingte Veränderungen im Kniegelenk auf Röntgenaufnahmen sichtbar. Etwa ein Drittel dieser Patienten hat Beschwerden. Weitere Gründe für Knieprothesen-OPs sind eine Arthritis, Fehlstellungen, Verletzungen oder Tumorbehandlungen.

Die OP sollte der letzte Schritt bei starken Beschwerden sein. Denn der Eingriff hilft zwar vielen, hat aber im Vergleich zur Totalendoprothese des Hüftgelenks eine hohe Komplikationsrate: 2016 musste laut Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen das künstliche Kniegelenk bei 2 Prozent aller Patienten im ersten Jahr ausgetauscht werden. Laut AOK liegt die Rate sogar bei 3,75 Prozent. Doch auch nach einem Jahr haben Patienten oft Probleme: Laut Barmer GEK sind nur 43 Prozent ihrer Versicherten mit ihrer Prothese zufrieden. Laut einer Studie halten 80 Prozent der Totalendoprothesen mindestens 15 Jahre. Andere Studien ergaben sogar, dass rund 90 Prozent aller Knieprothesen 20 Jahre oder länger halten.

Prothesen, die ausgewechselt werden müssen, teilen sich in zwei Gruppen: Zwischen 2 und 4 Prozent der Knieprothesen oder Teile davon werden innerhalb des ersten Jahres ausgewechselt. Gründe sind unter anderem Infektionen, Fehllagen und Lockerungen. Die anderen werden später, nach einigen Jahren des Tragens, ausgetauscht. Folge-OPs sind chirurgisch anspruchsvoller und deutlich komplikationsbehafteter als Erstimplantationen. Die Infektionsrate ist höher, Knochensubstanz geht verloren. Die Prothesen halten nicht so lang wie Erstimplantate. Es kann sein, dass Patienten ihre Knie deutlich schlechter beugen können.

Experten raten Patienten, vor einer OP unbedingt eine Zweitmeinung einzuholen. Darauf haben Versicherte seit 2015 einen gesetzlichen Anspruch. Die Kassen müssen also die Kosten übernehmen. Allerdings gilt das Recht nur bei planbaren Eingriffen, bei denen es eine auffällige Steigerung der Fallzahl gibt und nicht auszuschließen ist, dass finanzielle Gründe hinter der Empfehlung stecken. Bislang ist aber gesetzlich nicht klar definiert, für welche Eingriffe ein Anspruch auf Zweitmeinung besteht. Viele Kassen bieten jedoch laut TK ein Zweitmeinungsverfahren bei Knie-OPs an und übernehmen dafür auch die Kosten. Laut TK nehmen bislang aber nur sehr wenige Patienten das Zweitmeinungsverfahren in Anspruch: Seit dem Start Anfang 2016 bis April 2018 haben dies in den 30 beteiligten Schmerzzentren bundesweit nur 349 TK-Versicherte mit Knieproblemen getan. Bei 80 Prozent dieser Fälle wurde eine vorher empfohlene OP für nicht indiziert eingeschätzt.

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