Von herbeigerufenen Krankenwagen, schicksalhaften Begegnungen und Trunkenbolden, die nicht wissen, wo sie sind.
In der ungeheuer langlebigen britischen Science-Fiction-Fernsehserie „Doctor Who“ spielt eine alte Polizei-Notrufzelle eine zentrale Rolle – darin verbirgt sich nämlich die Zeit-Raum-Maschine Tardis. Vielleicht ist sogar jede Telefonzelle auf ihre Weise eine Zeitmaschine – zumindest regt das Thema zu gedanklichen Reisen in die Vergangenheit an. Unsere Leserin Irene Dilly aus Spabrücken (Kreis Bad Kreuznach) zum Beispiel: „Im Zusammenhang mit meiner Geburt spielte auch die Telefonzelle am Heumarkt in Langenlonsheim eine Rolle“, schreibt die Seniorin.
An ihre Geburt könne sie sich nachvollziehbarerweise nicht erinnern, wohl aber an die besonderen Umstände davor: „Denn darüber wurde mir oft genug berichtet und dadurch ist mir fast, als könne ich mich doch erinnern.“ Ausgerechnet an einem Samstagabend Anfang November wollte sie unbedingt das Licht der Welt erblicken und machte sich entsprechend bemerkbar. „Meine Mutter schickte deshalb meinen Vater zur nahen Telefonzelle, um einen Krankenwagen zu rufen, denn nach den ersten beiden Kindern hatte sie sich geschworen, nie mehr ein Kind zu Hause zu Welt zu bringen, deshalb sollte es ins Krankenhaus gehen. Mein Vater erledigte schnell den Anruf und lief wieder nach Hause, wo die Eltern gemeinsam warteten und auf heißen Kohlen saßen.“
Doch der Krankenwagen kam und kam nicht – vielleicht wegen einer Baustelle in der Hauptstraße. „Nach einigem Warten wurde mein Vater deshalb nochmals losgeschickt: ,Stell dich ans Amt und lotse den Krankenwagen durch die Gassen hintenherum hier her, bestimmt findet der Fahrer den Weg nicht.‘“ Der Vater lief also wieder los, doch bevor er ans Amt kam, war der Krankenwagen wohl schon durchgefahren – er hatte irgendwie auch so zur Familie gefunden. Irene Dilly schildert weiter: „Jetzt wartete also meine Mutter zu Hause, mein Vater wartete derweil am Amt … Aber zum Glück merkte er nach einer Weile, da stimmt wohl etwas nicht, und lief lieber wieder heim, um nach dem Rechten zu schauen. So kam er noch früh genug zurück, und meine Mutter konnte ins Krankenhaus gefahren werden, wo sie mich am folgenden Morgen als Sonntagskind zur Welt gebracht hat.“ Dilly resümiert: „Wie gut, dass es sie gab, die Telefonzelle am ,Plagge‘.“
Eine Telefonzelle, und zwar die, die einst vor dem Amtsgericht in Lahnstein stand, hat das Leben von Hans-Jürgen Weingart aus Thalhausen (Kreis Neuwied) wesentlich beeinflusst, wie er schreibt: „In genau dieser habe ich nämlich meine Frau kennengelernt, und das war so: Eine gemeinsame Bekannte von uns war mit meiner heutigen Frau in einer Lahnsteiner Disco in der Nähe. Die Bekannte wollte nur mal kurz jemanden anrufen gehen, hatte sich aber scheinbar unterwegs mehrfach fest gequatscht, sodass aus dem kurz eher lang wurde und meine heutige Frau alleine in der Disco saß. Als die Bekannte die Telefonzelle fast erreicht hatte, lief ich ihr quasi in die Arme.
Ihre Frage ob ich grad mit zum Telefonieren komme, beantwortete ich mit Ja. Kaum in der Zelle, kam meine heutige Frau leicht temperamentvoll zur Zelle, öffnete die Tür und erkundigte sich, wo die Bekannte denn so lange bleibt. Auf meine Frage ob sie die Anstandsdame sei, zog sie wieder leicht aufgeregt ab. Später haben wir uns dann in der Disco nett unterhalten, einige Tage später waren wir ein Paar, und das sind wir nun schon seit mehr als 38 Jahren.“ Weingart schließt: „Als ich sah, dass die Telefonzelle abgebaut war, machte mich das schon ein wenig wehmütig, aber so ist das Leben.“
Ganz so romantisch sind die Erinnerungen von Marietta Eberz aus Oellingen, einem Ortsteil von Höhn (Westerwaldkreis), nicht. Und doch spricht sie wohl vielen aus der Seele, wenn sie schreibt: „Meine Erinnerung besteht darin, dass mir, wenn ich die Tür zum gelben Telefonhäuschen aufzog, ein dermaßen kalter, ekliger Zigarettengeruch entgegenkam und dass im Telefonbuch immer die Seiten fehlten, welche man dringend brauchte.“ Natürlich, schreibt Eberz augenzwinkernd weiter, durfte der sofortige Blick und Griff ins Rückgabegeldfach nicht fehlen: „Es konnte ja sein, dass jemand mal 10 Pfennig vergaß, die oft sehr entscheidend waren bei Ferngesprächen. Zum Beispiel bei Anrufen, welche ins nahe gelegene Ausland gingen. Das heißt, nach Westerburg oder Hachenburg.“ Ferngespräche waren ja viel teurer damals: „Das Kleingeräppel im abgegriffenen Brustbeutel zählte man ganz aufgeregt. Reichte es? Man hörte immer dieses Geräusch vom in den Münzschacht fallenden nächsten 10-Pfennig-Stück und zitterte, dass dieses Tutzeichen nie vor der Verabschiedung zu hören war.“ Geradezu sehnsüchtig formuliert die Westerwälderin: „Was hätte ich drum gegeben, zu den Mädchen zu gehören, die auch mal 50 Pfennig am Stück hatten.“
„In meiner Kindheit gab es keine Telefonzelle“, berichtet hingegen Inge Schaefer aus Koblenz-Metternich. „Wenn man telefonieren wollte, ging man zur schräg gegenüberliegenden Post. Für wichtige Mitteilungen von weiter entfernt lebenden Verwandten wurde die Poststelle angerufen. Von dort kam dann eilig der Schalterbeamte an die Türe klingeln, und man lief rüber. Dort lag der Hörer bereit in der kleinen Telefonkabine der Post.“
Manche Zeitreise per Telefonzelle regt zum Schmunzeln an. Etwa das Erlebnis von Klaus Adolphi aus Roßbach (Kreis Neuwied): „Nach dem Ende des Karnevalsumzuges und der Einnahme einiger Getränke ging ich zu einer Telefonzelle. Ich wollte meiner Frau sagen, dass sie mich nun mit dem Auto abholen könne. An der Zelle angekommen, lehnte sich ein junger Mann aus der Tür und sah mich an. Ich fragte ihn spontan: ,Brauchst du noch ein paar Groschen?‘ – ,Nein. Wo bin ich hier?‘ Er wusste nicht, dass er in Roßbach war.“ tim