Kreis Ahrweiler

Nach der verheerenden Flut an der Ahr: Landrat weist Schuldzuweisungen zurück

Von Lars Hennemann, Manfred Ruch, Uli Adams, Angela Kauer-Schöneich
Die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal hat viele Menschenleben gekostet und ein riesiges Ausmaß der Zerstörung hinterlassen.
Die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal hat viele Menschenleben gekostet und ein riesiges Ausmaß der Zerstörung hinterlassen. Foto: Sascha Ditscher

Der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), hat nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal Schuldzuweisungen zurückgewiesen. Die Flutkatastrophe habe „unermessliches Leid“ über den Kreis Ahrweiler gebracht, sagt Pföhler, der sich seit dem 14. Juli nicht mehr öffentlich geäußert hat, im Gespräch mit unserer Redaktion. „In dieser Situation sage ich ganz klar: Gegenseitige Schuldzuweisungen helfen uns überhaupt nicht weiter.“ Damit verwahrt sich Pföhler auch gegen Äußerungen von Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD). Lewentz hatte unserer Zeitung am Freitag auf die Frage, ob man das Gebiet hätte evakuieren können, gesagt: „Nur der Landrat und der zuständige Brand- und Katastrophenschutzinspekteur hätten das aus der Erfahrung von 2016 wissen können. Ich kann diese Lücke nicht füllen.“

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Als Landrat, so stellt Pföhler klar, sei er gar nicht, wie von Lewentz behauptet, Teil der technischen Einsatzleitung. „Um es ganz klar zu sagen: Nach meinem Eindruck reagierten alle zuständigen Behörden, der Deutsche Wetterdienst, der Hochwassermeldedienst Rheinland-Pfalz, der Kreis Ahrweiler und alle Katastrophenschutzeinheiten unverzüglich und warnten die Bevölkerung frühzeitig zu unterschiedlichen Zeitpunkten“, sagt Pföhler – allerdings vor Hochwasser. Was sich dann aber entwickelt habe, sei eine Ausnahmesituation gewesen, die es so in der ganzen Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben habe.

Diese „Ausnahmesituation“, die Stand Sonntag mindestens 132 Menschenleben gekostet hat, baute sich nach bisherigem Stand der Erkenntnisse folgendermaßen auf: Am Mittwochmorgen dümpelt der Pegel Altenahr noch bei 90 Zentimetern herum. Um 11 Uhr steigt er auf 1,14 Meter, das Landesamt für Umwelt ruft die Warnstufe Rot aus – das ist die Zweithöchste. Und tatsächlich steigt der Pegelstand immer weiter. Um 17.17 Uhr werden schon 2,78 Meter erreicht. Lila. Das ist die höchste Alarmstufe überhaupt. Das Landesamt für Umwelt gibt die bedrohlichen Daten an alle Kreise und Kommunen im Land weiter. Prognosen des Hochwassermeldedienstes zufolge könnte der Pegel auf bis zu fünf Meter steigen. Im Kreis Ahrweiler haben sie da längst eine Einsatzzentrale in der Kreisverwaltung eingerichtet, die örtlichen Einsatzleiter der Kommunen werden in das Geschehen eingebunden. In der Einsatzzentrale trifft auch Lewentz um kurz nach 19 Uhr ein und mit ihm der Landrat. Allerdings, so sagt Pföhler nun, werden die Hochwasserprognosen just zu diesem Zeitpunkt korrigiert – und zwar nach unten. Die Prognose um 19.09 Uhr lautet vier Meter. Das sind immer noch knapp 30 Zentimeter mehr als beim auch schon verheerenden Hochwasser 2016. Einen Anlass, die Bevölkerung aus dem Gebiet zu bringen, sieht die Einsatzleitung aber nicht. „Auch Minister Lewentz hatte keine andere Einschätzung“, sagt Pföhler. Denn wenn er sie gehabt hätte, hätte laut Pföhler auch Lewentz die Einsatzleitung übernehmen können – nicht er persönlich, aber die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier, deren Koordinierungsstelle zu dieser Zeit ebenfalls schon besetzt war. Aber dazu habe es zu diesem Zeitpunkt keinen Anlass gegeben, sagt Pföhler

Der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), hat nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal Schuldzuweisungen zurückgewiesen.
Der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), hat nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal Schuldzuweisungen zurückgewiesen.
Foto: Vollrath

Der Pegel Altenahr meldet um 20.45 Uhr zum letzten Mal: 5,75 Meter. Danach reißt er ab, die Fluten haben ihn mitgerissen. Das fällt in der Einsatzzentrale aber erst mit zeitlicher Verzögerung auf, da sich der Pegelstand nicht mehr verändert. Laut Kreisverwaltung ist das normal, weil die Meldung eben nicht minütlich erfolgt. Erst kurz nach 23 Uhr, genauer: um 23.09 Uhr, geht die Meldung raus, dass ein 50 Meter breiter Streifen rechts und links der Ahr geräumt werden soll. Für viele zu spät. „Das Wasser kam so schnell und so gewaltig das war gewissermaßen ein Tsunami – dass weder die Katastrophenschutzeinheiten noch die Menschen überhaupt angemessen reagieren konnten“, sagt Pföhler. „Unsere Warnsysteme konnten damit überhaupt nicht umgehen.“

Vor diesem Hintergrund fordert Pföhler eine Neuaufstellung des Katastrophenalarms in Deutschland. Im Kreis Ahrweiler könne die Bevölkerung beispielsweise gar nicht über Sirenen gewarnt werden. Über Sirenen werde ausschließlich die Feuerwehr alarmiert. „Die Integrierte Leitstelle in Koblenz kann keine flächendeckende Sirenenwarnung auslösen, da die digitale Alarmierungstechnik hierfür fehlt. Der Aufbau eines digitalen Alarmierungsnetzes ist Aufgabe des Landes. Dies ist bisher nicht erfolgt“, sagt Pföhler.

Lewentz kündigt tatsächlich eine grundlegende Überprüfung des Katastrophenschutzes an. „Das Ganze kommt auf den Prüfstand“, sagte er im Gespräch mit unserer Zeitung. Dies reiche von Warn- und Alarmierungssystemen bis hin zur technischen Ausstattung mit sicheren Funksystemen etwa für den Fall, dass – wie an der Ahr geschehen – Erdkabel von Fluten weggerissen würden. Außerdem soll es möglichst ein länderübergreifendes Katastrophenschutzzentrum unter permanenter Beteiligung der Länder geben. Darüber habe die Landesinnenministerkonferenz auf Antrag von Rheinland.-Pfalz bereits vor Wochen gesprochen. „Wir haben gute Erfahrungen mit dem gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“, erklärte der Minister. In einem gemeinsamen Katastrophenschutzzentrum habe man etwa sofortigen Zugriff in alle Länder, auch die Lagebeurteilung im Katastrophenfall könne dort überprüft werden. „Ich will alles dafür tun, dass wir alle Lehren ziehen, die daraus zu ziehen sind“, sagte der Minister. „Das sind wir jedem einzelnen Verstorbenen pflichtig.“

Das Gespräch führten Lars Hennemann, Manfred Ruch, Uli Adams und Angela Kauer-Schöneich