Meteorologe erklärt, was zur Katastrophe im Ahrtal geführt hat - und wieso Mittelgebirge gefährdet sind
Meteorologe Goldhausen zur Katastrophe im Ahrtal: „Das Wasser ist nicht aufzuhalten“
Björn Goldhausen.  Foto: privat

Der extreme Regen der vergangenen Tage hat den im Westerwald lebenden Meteorologen Björn Goldhausen nicht überrascht – das Wetter war prognostiziert. Mit den fatalen Folgen aber konnte niemand rechnen, sagt der Sprecher von WetterOnline. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert er, was zur Katastrophe an der Ahr führte und weshalb in Mittelgebirgen mit ähnlichen Vorfällen zu rechnen ist.

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Herr Goldhausen, wieso hat es das Ahrtal so heftig getroffen?

Dort – generell über der Nordeifel – kamen drei Punkte zusammen. Zuerst natürlich die Wetterlage: Wir hatten es mit einem Tief über Deutschland zu tun, was aus dem Mittelmeerraum feuchte und warme Luft über Ostdeutschland nach Westen gelenkt und gleichzeitig kühlere Luft auf der Westseite angesaugt hat. Dadurch ist eine Konvergenz entstanden: Wind strömt aus unterschiedlichen Richtungen zusammen, dort steigt die Luft auf. Diese Konvergenz reichte über das südöstliche Ruhrgebiet, Bergisches Land, Sauerland bis runter zur Eifel. Und weil die Luft in dieser Konvergenz warm und feucht ist, konnte sie super viel Wasser aufnehmen – es schüttete über Stunden. Punkt zwei: Weil der Regen aus Nordosten kam, hat die Eifel ihn noch einmal verstärkt. Sie steht den Wolken wie ein Bollwerk gegenüber, selbst wenn sie an sich kein hohes Gebirge ist. Wir Meteorologen sprechen dann von einem Regenstau. Kommt Niederschlag aus Südwest, ist das meist kein Problem in der Eifel, auch wenn es regional Staueffekte geben kann. Heftig sind sie, wenn der Regen aus Norden oder Nordosten kommt.

Was ist der dritte Punkt, der zur Katastrophe führte?

Er liegt in der Natur der Sache: dass die Eifel ein Mittelgebirge ist. Auf dem platten Land kann sich Wasser nach rechts und links ausbreiten, das funktioniert im Gebirge nun einmal nicht. Da macht das Wasser, was es kann – es fließt in Richtung Tal. Hier hatten wir nun den Fall, dass extreme Regenmengen nicht an einem Ort gefallen sind, sondern über der kompletten Eifel bis ins Ruhrgebiet. Und die Eifel hat als Mittelgebirge viele kleine, größere, mal enge und mal weniger enge Täler, wo sich das Wasser sammelt und schlagartig in Richtung Ahr und Rhein fließt – mit entsprechenden Konsequenzen.

Hat die Eifel eine geologische Besonderheit, die das Zusammenfließen der Wassermassen fördert? Oder könnten sich solche Szenen auch im Westerwald, im Hunsrück oder sonst einem Mittelgebirge ereignen?

Jein. Die Eifel hat eine Besonderheit im Vergleich zu Hunsrück und Westerwald: Sie hat schroffere Täler. Die Tallagen sind einen Tick schroffer, als es beispielsweise im Westerwald der Fall ist. Das ändert aber nichts daran, dass sich so ein Vorfall nicht auch in einem anderen Mittelgebirge ereignen könnte. Die Frage ist: Ist es nächste Woche – oder in 15, 20 Jahren? Das kann niemand beantworten, aber es wird kommen. Just der Westerwald hatte extremes Glück. Einen Tag vorher sah es so aus, als ob der heftige Niederschlag bei uns runterkommt. Es hat sich ja nun so entwickelt, dass sich das Ganze 50 Kilometer weiter westlich abgespielt hat. Das hilft den betroffenen Menschen dort natürlich überhaupt nicht ...

Als Experte: Wie sehr haben Sie die katastrophalen Folgen des Regens und des Hochwassers überrascht? War davon etwas vorhersagbar?

Rein aus meteorologischer Sicht muss man sagen: Die Niederschlagsmengen und das Gebiet waren Tage vorher perfekt vorhergesagt. Aber das Ausmaß der Folgen – das hat niemand so auf dem Schirm gehabt. Wir haben im Vorfeld gesagt: Es wird schlimme Bilder geben. Aber dass diese Bilder noch getoppt wurden – was in der Eifel und auch in NRW passiert ist, hat nichts mehr mit schlimm zu tun, das ist katastrophal –, konnte niemand vorhersagen. Wir Meteorologen haben Tage vorher staunend vor dem Wetterband gesessen und gesagt: Diese Wetterlage, die kann so gar nicht kommen. Dennoch haben wir davor gewarnt, weil sich alle Berechnungen einig waren. Wir waren daher nicht überrascht, dass es viel regnet. Aber wie gesagt: Dass die Ausmaße so folgenreich sind, hätte niemand erwartet. Wir haben es mit einem Jahrtausendereignis zu tun.

Was muss getan werden, um die Menschen vor solchen Hochwassern zu schützen?

Es ist sehr schwierig. Wenn man diese Szenen aus der Eifel und NRW sieht – da fehlt mir jegliche Vorstellung, dass der Menschen diesen Gewalten irgendetwas entgegenzusetzen hat. Für die Eifel sehe ich nur zwei Möglichkeiten. Wenn es absehbar ist, dass ein solches Wetterereignis kommt, evakuiere ich alles. Wer diese Entscheidung trifft: Hut ab. So etwas im Vorfeld eines Unwetters zu tun, wird nicht auf Gegenliebe stoßen. Gleiches gilt für den anderen Punkt: insbesondere in Mittelgebirgen zu sagen, unten an den Bächen, dort darf es keine Siedlungen mehr geben. Das Wasser ist mit baulichen Maßnahmen nicht aufzuhalten, es wird nicht funktionieren. Wenn man die Bilder der vergangenen Tage sieht: Es ist unmöglich.

Welche Rolle spielt der Klimawandel bei der Katastrophe?

Ich will mich nicht festlegen, zu welchem Prozentsatz er schuld ist. Sicher ist: Der Klimawandel ist da, und er macht solche Wetterphänomene heftiger und wahrscheinlicher, sodass man sagen kann: Wir haben es jetzt leider gesehen, wie sich solche Regenereignisse auswirken – und wir werden es wieder sehen. Die Frage ist wo und wann.

Das Gespräch führte Anke Mersmann

Moselhochwasser mitten im Sommer überrascht selbst Alteingesessene

Das Hochwasser an der Mosel kam mitten im Sommer – und es war höher als noch Anfang Februar dieses Jahres: Sowohl in Zell als auch in Alf schwappte die braune Brühe über die Schutzwände. In Zell war es am Donnerstagabend gegen 19 Uhr so weit, in Alf „ging es so gegen 1 Uhr los“, hält Ortsbürgermeisterin Miriam Giardini-Molzahn fest. In Cochem hatte das Wasser um 10 Uhr seinen Scheitelpunkt erreicht (8,38 Meter), um 14 Uhr lag der Pegel schon wieder zehn Zentimeter tiefer. „Für Briedel rechnen wir damit, dass in den nächsten Stunden die Pumpen angeschaltet werden, um den Ort wieder leer zu pumpen“, sagt Markus Hensler, Wehrleiter der VG Zell, gegen 13.20 Uhr. Und er weist darauf hin, dass die Feuerwehren in den Moselgemeinen ungewöhnlich viele Fahrzeuge aus dem Wasser ziehen mussten.

Ein Sommerhochwasser wie dieses ist selbst Moselaner „etwas Besonderes“, sagt Bernhard Himmen, Bürgermeister der Ortsgemeinde Ediger-Eller. Zwar greifen grundsätzlich übliche Routinen, es wird geräumt, Barrieren werden errichtet, ufernahe Straßen gesperrt. „Wir hatten diesmal allerdings einen erheblichen Aufwand mit der Feuerwehr, den Campingplatz zu räumen.“ Erst am Donnerstagabend haben wir die letzten Campingwagen auf der Bundesstraße noch einmal zwischengesichert. Die Besitzer hatten sie zunächst dorthin gestellt – hoffend, dort würden sie vom Wasser verschont. Doch es kam anders. Ähnliche Vorkommnisse schildert Wehrleiter Markus Hensler aus der VG Zell. „Die Anwohner kennen die Mosel und bringen ihre Autos rechtzeitig in Sicherheit.“ Bei einigen Gästen war das nicht so. Circa 30 Fahrzeuge mussten von den Wehren in den Moseldörfern aus dem Fluss geholt werden. An der Mosel beginnt jetzt das große Aufräumen – wie auch in der Westeifel. In Prüm etwa beteiligten sich viele Bewohner am Beseitigen der Hochwasserspuren. „Das Wasser ist soweit abgeflossen“, sagte Bürgermeister Aloysius Söhngen. „Die Leute packen an, helfen sich.“ Die Schäden schätzte er „vorsichtig auf eine siebenstellige Summe“, also mehr als 1 Million Euro. Erste Aufräumarbeiten gab es auch in Kordel im Landkreis Trier-Saarburg. Auch wenn die Pegel sinken: Die Lage sei nach wie vor kritisch, sagte ein Sprecher der Kreisverwaltung. Noch gebe es Bereiche in dem Ort mit 2000 Einwohnern, die nicht erreichbar seien. Kordel ist wegen überschwemmter Zufahrtswege weiter zum Großteil abgeschnitten. In weiten Teilen gibt es nach wie vor keinen Strom. dad/ker/dpa

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