Professor Georg Wieber kramt in seinem blauen Schnellhefter nach einem Foto. Das soll zeigen, wie es hier, am Ausgang des Tunnels in Altenahr, am 14. Juli aussah. Der Leiter des Landesamtes für Geologie und Bergbau in Rheinland-Pfalz blättert. Es dauert ein paar Sekunden, dann hat er das Bild.
Es zeigt eine braune Flut, die durch den Tunnel schießt, zwei Häuser am Hang unterspült und eine Kläranlage zerstört. Wieber erläutert: „Der Tunnel war randvoll. Das Hochwasser vom Juli war über sechs Meter höher als das nächsttiefere. So extrem ist es an keiner anderen Stelle gewesen.“
Als der Geologieprofessor das berichtet, steht er in einem Pulk von rund 40 Personen. Um ihn stehen unterhalb der Ruinen der Burg Are Abgeordnete des Untersuchungsausschusses, Vertreter der Landesregierung, Journalisten. Georg Wieber sagt als Sachverständiger im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe aus. Der kommt an diesem Tag zu einer auswärtigen Sitzung im Ahrtal zusammen. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, welche Rolle die geologischen Gegebenheiten beim Unglück, bei dem 134 Menschen starben, gespielt haben.
Hier in Altenahr muss die Ahr mäandern. In Schlangenlinien fließt der Fluss um die mächtigen Felsen des Rheinischen Schiefergebirges. Normalerweise. Mitte Juli klatscht die Flut gegen die Klippen unweit der Winzergenossenschaft und sucht sich seinen kurzen Weg durch den Straßen- und den Eisenbahntunnel. Der Sachverständige sagt: „Die Tunnel haben für eine Entlastung gesorgt. Sonst wäre das Wasser im Ort noch viel höher gestiegen.“
Sieben Stationen fahren die Parlamentarier und die Journalisten in zwei Reisebussen an. Von Schuld flussabwärts nach Hönnigen, Altenahr, über Dernau nach Sinzig. Zum ersten Mal machen die Busse in Schuld halt. An der Stelle, wo einst ein Tennisplatz und mehrere Häuser standen, ist ein einziges braunes Matschfeld übrig. Hier zeigt Professor Wieber auf den Prallhang. Hier sei das Wasser auf die Gesteinswand gestoßen, der sogenannte Hangfuß destabilisiert worden. Der Geologe erläutert, dass die Böden im Tal relativ gleichmäßig seien. Bei langsamen Landregen könnten sie Wasser aufnehmen, „bei Starkregen dominiert der Abfluss“. Und: Zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe sei der Grund wegen der lang anhaltenden Regenfälle gesättigt gewesen. Das habe ein nachträgliches Gutachten des Landesamtes für Umwelt gezeigt. Die Frage von Stephan Wefelscheid (Freie Wähler), seit wann die geringe Aufnahmefähigkeit bekannt sei, beantwortet Wieber mit der Auskunft, dass seit fünf Jahren daran geforscht werde. In Hönningen schaut sich der Ausschuss oberhalb der Waldstraße eine Mure an. Aus einem Trockental im Wald sei ein Strom aus Schlamm und Gesteinsmaterial in den Ort geschossen, berichtet der Geologe. 70 Lkw-Ladungen erodiertes Material seien es gewesen. In Hönningen bedrohen die Schlamm- und Wassermassen die Bewohner links von der B 257 von zwei Seiten, vom Wald und von der Ahr. Eine Anwohnerin sagt: „Wir wurden am 14. Juli abends um 20 Uhr aus dem Haus geklingelt, haben alles stehen und liegen lassen. Das Motto war: nichts wie rüber über die Brücke auf die andere Seite des Flusses.“ Im gesamten Ahrtal gibt es laut Wieber 100 bis 200 solcher Trockentäler mit Gefahrenpotenzial.
Immer wieder geht es an diesem Tag auch um die Frage: Hätte man mehr tun können? Der Professor beantwortet sie so: „Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.“ Die Frage, warum die Menschen nicht früher gewarnt wurden, ist eine zentrale des Ausschusses.
Die Abgeordneten betonen am Ende der Tour, dass der Vor-Ort-Termin wichtige Erkenntnisse geliefert habe – etwa, dass die Böden im Tal überall gleich seien und der Grund durch die Regenfälle gesättigt gewesen sei.